Ist er wirklich hip?
Ein Interview mit Herbie Hancock
Er scheint wieder einmal den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Denn wer ein Interview mit Herbie Hancock über seine Neuveröffentlichung "Future 2 Future" führen will, braucht viel Geduld und muss sich am Ende mit wenig Zeit begnügen. So begehrt ist der Amerikaner derzeit. Bleibt die Frage, ob er auch wirklich Auskunft geben kann.
Würden Sie "Future 2 Future" als neu und innovativ bezeichnen?
Herbie Hancock: Für mich ist es sehr schwierig, den Klang der neuen CD in Worte zu fassen. Da gibt es sehr viele Einflüsse, Einflüsse aus der HipHop-Szene, von der heutigen Electronica-Szene, sogar aus meiner Vergangenheit. Es gibt auch sehr avantgardistische Momente. Aber wenn ich das den Leuten erzählen und sie hören sich die Musik anschließend an, sind sie immer überrascht, weil es sich so sehr unterscheidet von dem, was sie erwartet haben.
Jazz hat lange nur als Archiv für die Samplerei gedient. Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo sich das Blatt wendet, wo sich der Jazz etwas von der Electronica zurückholt?
Herbie Hancock: In gewisser Weise ja. Die jungen Leute, die diese Electronica machen, kommen in ihrer Arbeit auf die frühere Avantgarde des Jazzes als Quelle der Inspiration zurück, wir reden da von der Avantgarde der späten 60er und frühen 70er Jahre. Das ist ihre Basis. Und es geht auch um den Einfluss von Rock'n Roll. Doch die Musik, die diese Leute als Ausdruck ihrer Identität erschaffen, ist etwas ganz anderes. Das klingt nicht mehr nach Rock'n Roll oder HipHop.
Würden Sie denn "Future 2 Future" als eine Erneuerung des Jazzes auffassen?
Herbie Hancock: Auf alle Fälle. Aber ich sehe "Future 2 Future" nicht als eine reine Jazzaufnahme. Das liegt vor allem an den Rhythmen. Die meisten, die wir auf der Aufnahme verwenden, sind keine ursprünglichen Jazz- oder Swing-Rhythmen, sie kommen mehr vom Rock oder vom HipHop. Aber die Spontaneität der Aufnahme, die stammt aus dem Jazz.
Ist denn diese Erneuerung allein eine Frage der Rhythmik?
Herbie Hancock: Nein, in erster Linie ist es eine neue Perspektive auf Musik. Wobei mich die Frage der Benennung nicht interessiert. Ist das jetzt ein anderer Sound oder eine andere Form der Zusammenarbeit zwischen Musikern? Das ist nicht meine Aufgabe, darum müsst Ihr Journalisten euch kümmern. Mir geht es um die reine Physis der Musik. Darum, ob der Klang spannend ist, ob er jemanden berührt, was er mit den Menschen macht.
Im Titel der CD spielt Tradition überhaupt keine Rolle mehr. Ist sie nur noch Last?
Herbie Hancock: Keineswegs. Tradition ist das Wissen darüber, was andere, aber auch ich im Jazz gemacht haben. Ich kann dieser Tradition nicht entfliehen, weil sie Teil meines Daseins ist, weil sie meine Arbeit beeinflusst. Sie beinhaltet ja all die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Wieso sollte ich die verleugnen? Aber ich versuche, bei meiner Arbeit nicht daran zu denken, wie ich die Tradition benutzen kann. Ich versuche eher, sie aus meinem Bewusstsein zu halten, sie im Unterbewussten zu lassen. Sie kommt dort sowieso wieder heraus.
Im Kontrast dazu - Welche Aufgabe hat die Technik, die Elektronik?
Herbie Hancock: Sie ist Gerät, das den Menschen die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken. Jede neue Entwicklung schafft auch neue Möglichkeiten. Aber nicht die Technik ist bedeutend, sondern das, was die Menschen daraus machen, welche Ziele sie damit verfolgen, welche Haltung, welche Philosophie sie damit verbinden. Benutzen sie die Technik nur, weil sie hip ist, oder weil sie damit etwas bezwecken? Das wichtigste in meiner Arbeit ist für mich, dass die Menschen mehr Mitgefühl für ihre Mitmenschen und die Umwelt entwickeln.
Im ersten Stück ihrer CD beschrieben Sie Technologie als Teil der Vergangenheit, während Weisheit die Zukunft sei. Gab es denn bei der Arbeit an "Future 2 Future" Momente, in denen die Technik allzu sehr dominierte?
Herbie Hancock: In den ersten Tagen der Produktion wusste ich nicht, wohin uns das alles führen würde. Ich war ängstlich und skeptisch. Aber Bill Laswell hat mir immer von meinem Einfluss auf die Electronica-Szene erzählt und jemand hat mir dann auch etwas von der Musik vorgespielt. Von da an wusste ich, auf welchem Wege wir sind. Ich brauchte einfach nur einen winzigen Bezugspunkt, auch diese Verbindung zu meinen früheren Sachen. Dennoch ist das Endergebnis weit mehr, als ich je erwartet hatte.
Nun ist ja vieles aus der Electronica-Szene europäischen Ursprungs. Gibt es da kulturelle Unterschiede zwischen Europa und Amerika?
Herbie Hancock: Natürlich gibt es ein starkes konservatives Element im amerikanischen Jazz. Das wird in der Regel mit Wynton Marsalis verbunden. Aber das ist nicht die ganze Szene. Es gibt viele, die sich gegen diese Philosophie wenden, so wie ich oder Wayne Shorter, der keineswegs konservativ ist. Wir haben während der Arbeit an "Future 2 Future" viel über Tradition im Jazz geredet, darüber, dass man sie überprüfen muss und dass es Zeit für eine Musik ist, die mit einigen Regeln der Tradition bricht. Tradition sollte eigentlich überhaupt keine Regel darstellen, sondern einzig einen Punkt in der Entwicklung des Jazzes. Etwas, das man betrachten und studieren kann, aber nicht etwas, das die Entwicklung des Jazzes abwürgt. Wayne und ich schreiten da voran, uns geht es nicht mehr darum, Musik zu spielen, sondern das Leben.
Wo liegt da der Unterschied?
Herbie Hancock: Eigentlich sollte es keinen geben. Aber viele Leute verbinden Musik mit Üben, Regeln, Schule, Virtuosität, mit dieser westlichen Definition von Melodie, Harmonie und Rhythmik. Wayne und ich wollen all diese Regeln nicht mehr als Orientierung benutzen, sondern darüber hinaus gehen. Mich zum Beispiel interessiert das Instrument, auf dem ich spiele, nicht mehr, sondern allein die Gefühle, die ich damit erzeugen kann.
Aber um noch einmal auf den Unterschied zwischen Europa und Amerika zurück zu kommen. Gibt es in Amerika überhaupt ein Interesse für das, was hierzulande geschieht?
Herbie Hancock: Ich kenne mich nicht in der amerikanischen Szene aus, auch nicht in der europäischen. Ich habe soviel mit meinen anderen Dingen zu tun, dass ich kaum in Clubs ausgehe. Vieles von dem, was ich bekomme, um auf dem aktuellen Stand zu sein, stammt von anderen. Während der Tour-Proben gab einer eine Party für die Band und spielte die neue CD von Missy Elliott, die hat mir wirklich gefallen. Ein Journalist hatte mir bei einer Art Blind Test Musik von Björk vorgespielt. Auf diese Weise komme ich zu den Informationen über das, was in der Musik passiert.
Wie setzen Sie denn das Konzept der CD im Konzert um?
Herbie Hancock: Da mußten wir viel ausprobieren. Die CD wurde ja quasi schichtweise aufgenommen. Die Musiker waren nicht gemeinsam im Studio, sie wurden einzeln aufgenommen. Später wurde dann alles zusammengesetzt. Doch bei aller Technik, der Geist der Aufnahme ist Spontaneität, wir haben versucht, viel von der ersten Reaktion der Musiker auf die musikalischen Anfangsideen einzufangen. Im Konzert versuchen wir nicht, wie die CD zu klingen, sondern diesen Geist aufzugreifen. Wir benutzen Schlüsselmomente als Sample, so dass jedes Stück gewissermaßen die Signatur der Aufnahme trägt, zugleich aber auch die Musiker spontan aufeinander reagieren können. Wir spielen auch altes Material, aber in neuem Arrangement, so dass es zum Rest passt.