Ist jetzt Abschreiben erlaubt?
Mangelnde eigenschöpferische Leistung: Problematische Folgen missglückter Gerichtsstreits
Der Ingenieur und Rechtsanwalt Freiherr von Gravenreuth ist für umstrittene Prozesse bekannt. Sein neuester Coup ist jedoch möglicherweise für alle Beteiligten - eingeschlossen ihn selbst - zum Eigentor mutiert - und die Berufung leider ausgeschlossen.
"Vor Gericht bekommt man nicht Recht, sondern ein Urteil." Das meist danach ausfällt, welche Seite den besseren Anwalt hatte oder welche der Parteien den Richter besser kennt. So kommen Dinge zustande wie die 40-Watt-Birne, die eine halbe Million Strafe kostet, wenn sie noch einmal brennt. Der Besitzer hat sie nun entnervt abmontiert und versteigert, denn da kommt ihn ein Einbruch immer noch billiger, sofern der Nachbar mit dem leichten Schlaf dann nicht wegen der entstehenden Lärmbelästigung erneut vor Gericht zieht, versteht sich! Allerdings decken die ersteigerten 570 Euro auch nicht annäherungsweise die Gerichtskosten und wurden deshalb gleich gemeinnützig gespendet.
Ein weiterer juristischer Fauxpas ist die "Explorer"-Marke der Ratinger Softwarefirma Symicron, zu der nach Meinung etlicher Sachverständiger gar kein Produkt existiert, die aber dennoch die Gerichte landauf-landab auf Trab hält. Der ehemalige Chip-Redakteur Claus Vester hatte sich 1991 laut eigener Aussage lediglich vertan und eine als "Explora" auf einer Computermesse vorgestellte Software später als "Explorer" in der Computerzeitschrift Chip beschrieben. Dieser Lapsus wurde nun vom Unternehmen Symicron 1995 dazu genutzt, neben "Explora" auch eine Marke "Explorer" anzumelden - interessanterweise nur kurze Zeit, nachdem in den USA Microsoft sich wegen eben diesem Wort bzw. genauer "Internet Explorer" mit einem kleinen Provider unter Zahlung einer Lizenzgebühr einigen musste. Dies soll dann auch in Deutschland zwischen Microsoft und Symicron der Fall gewesen sein, über Details schweigen sich die Beteiligten aus und das Ganze hätte auch niemand mehr weiter interessiert.
Ab 1999 wurden jedoch viele private Hobby-Webmaster kostenpflichtig abgemahnt, weil sie einen HTML-Kurs anboten, innerhalb dessen auf eine Reihe von FTP-Programmen gelinkt wurde, darunter auf ein Programm namens FTP-Explorer. Seitdem ist der schon seit 1985 als "Tanja" berüchtigte, aber zumindest im breiten Publikum zunächst in Vergessenheit geratene Anwalt wieder im Dauerfeuer der Kritik, da ihm niemand abnimmt, aus dem auf allen Seiten identisch hinterlegten HTML-Kurs nicht gleich dessen eigentlichen Urheber Stefan Münz ermittelt zu haben, um diesen abzumahnen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es lukrativer war, alle Webmaster einzeln abzumahnen und Münz erst zum Schluss, der dann auch prompt seinen Prozess gewann. Gravenreuth nimmt seine Unbeliebtheit mit der Auffassung "viel Feind, viel Ehr" und geht nur gegen Beschimpfungen vor, wenn sie ihm zu plump werden - gegen entsprechende Gebühr versteht sich.
Die Marke "Explorer" wurde am 17.11.2000 fünf Jahre alt, womit ihre Schutzfrist ablief: Wenn kein Produkt zur Marke existiert, kann diese nämlich nach fünf Jahren gelöscht werden. Damit kam Symicron in Zugzwang und benutzte nun ausgerechnet den alten Chip-Artikel von Claus Vester als Beleg für die Existenz der Software. Dass so wegen seines einstigen Tippfehlers andere abgemahnt werden, ärgerte den Redakteur natürlich. Außerdem kopierte Symicron jedoch kurzerhand den Text 1:1 auf ihre Website und schrieb - wie unter alle ihre Webseiten - auch noch ihr eigenes Copyright darunter, anstatt den Text zumindest als Zitat zu kennzeichnen. Dagegen klagte Vester und hoffte damit, auch endlich das Thema Explorer-Abmahnungen beenden zu können.
Dies misslang: Er verlor im September 2001 den Prozess und auch die Berufung wurde im letzten Monat abgelehnt. Begründung: Der strittige Text enthalte nicht genügend Eigenleistung des Autoren, um dem Urheberrecht zu unterliegen. Es handelte sich um eine 10 bis 15 Zeilen lange Passage.
"Diese Beschreibung ist insgesamt nicht Ausdruck einer eigenschöpferischen, eigentümlichen Gedankengestaltung, sondern ergibt sich vielmehr aus der Natur der Sache. Diese verlangt eine auf diesem Gebiet weitgehend übliche Darstellungsform, nämlich die Vorstellung des Softwareprogramms mit einer sich daran anschließenden Schilderung der Anwendermöglichkeiten dieses Programms. Diese Darstellungsart ist aus Sachgründen geboten. Einer solchen üblichen Darstellungsform fehlt aber regelmäßig eine eigenschöpferische Prägung. Dies gilt erst recht, wenn berücksichtigt wird, dass der Kläger einräumt, der Inhalt der Produktbeschreibung stütze sich auf Informationen der Beklagten. Der Kläger hat diese Informationen demnach im wesentlichen aus Sachgründen in bestimmter Weise geordnet, hierbei jedoch keine eigenschöpferische Leistung erbracht."
Nun mag eine kurze Passage, die womöglich noch aus einem Firmenprospekt abgeschrieben ist, mitunter tatsächlich keine große Kreativität und Originalität darstellen. In diesem Fall gab es aber für Vester gar keine Vorlage; im Gegenteil: Symicron hatte ja ungefragt den Text übernommen und dies auch nie bestritten. Dennoch ist nun der Abschreiber im Recht und der Beklaute geht leer aus und dies nur, weil die Textqualität nicht für einen Schutz ausreichte.
Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind bislang unabsehbar. Wenn die neue Whitney-Schmiers-Platte also absolut nicht originell und kreativ ist, sondern nur ein Recycling alter Stücke, dann darf ich sie demnach ungefragt kopieren und unter meinem Namen verkaufen? Ebenso, wenn der neue Roman von Walzer oder Schimmel nichts taugt? Wenn mein Nachbar ein absolut langweiliges japanisches Auto fährt, an dem nichts Originelles zu finden ist, dann darf ich das einfach klauen oder zumindest 1:1 nachbauen und dann als echten "Rolls-Roth" verkaufen?
Na wenn das so ist, dann ist es auch mit dem Schutz der von Anwälten verfasster juristischer Schreiben nicht mehr weit her, denn diese setzen sich meist aus vorgefertigten Textbausteinen zusammen und werden nicht mühsam individuell erdichtet. Dann darf man diese Schreiben also zukünftig unbehelligt veröffentlichen, was bisher meist untersagt wurde, auch wenn sie von Gravenreuth selbst kommen sollten?
Und was soll man da erst zu der nun überhaupt nicht originellen Marke "Explorer" sagen, die ja lediglich ein englisches Alltagswort darstellt? Was ist hieran noch schützenswert? Ob das wirklich im Sinne von Gravenreuth ist, der doch gerade die Marken vor den bösen Piraten schützen will? Es ist jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit, wann der erste Schüler, der beim Abschreiben vom Nachbarn erwischt wird, argumentiert, das sei völlig legal, da das so erfahrene "1+1=2" oder "3x3=9" ja nun wirklich keine großartige kreative Leistung darstelle...