It's moving - it's alive

Über die Retrospektive "Künstliche Menschen" auf der diesjährigen Berlinale

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Es ist nicht angenehm zu entdecken, dass man erfunden worden ist.

Arnold Schwarzenegger als Jack Slater in "Last Action Hero"

Ray Kurzweil gibt uns noch drei Jahrzehnte - nicht mehr. Dann, im Jahr 2029, so der amerikanische Spezialist für Künstliche Intelligenz, wird es in unserem Alltagsleben nicht mehr möglich sein, zwischen biologischen und elektronischen Systemen, also zwischen Mensch und Maschine, zu unterscheiden. Wesen, mit Selbstbewusstein und einer dauerhaften physischen Präsenz, gehören demnach in naher Zukunft der Vergangenheit an. Wie in Andy und Larry Wachowskis Film "The Matrix" (1999) könnte dieses Szenario dazu führen, menschliches Gedächtnis und menschliche Individualität in Datennetz einzuscannen.

"Künstliche Menschen. Manische Maschinen. Kontrollierte Körper" hieß zum 50. Jubiläum der Berlinale die Retrospektive des Festivals, die in diesem Jahr keinem Regisseur, sondern einem Thema gewidmet war. Damit unterbrachen die Festivalveranstalter ihre Reihe, die in den letzten Jahren Regisseuren wie William Wyler, G.W. Papst oder Otto Preminger gewidmet war. Gezeigt wurden so unterschiedliche Filme wie Heinz Schalls "Eskimobaby" (1916) mit Asta Nielsen in der Hauptrolle und Red Dekkers "Robocop 3" (1995) oder Robert Longos "Johnny Mnemonic" (1995). Dazu durften natürlich einige Klassiker des Genres nicht fehlen - James Whales "Frankenstein" (1931) mit Boris Karloff etwa oder in einer Sondervorführung Paul Wegeners "Der Golem, wie er in die Welt kam" (1920). Insgesamt wurden 59 Filme in der thematisch sehr weit gefassten Retrospektive gezeigt, dazu fanden Vorträge, Lesungen und ein nicht gerade alltägliches Robot-Soccer-Fußballspiel statt.

Künstliche Menschen - alles begann mit der Herausforderung des göttlichen Schöpfungsaktes, dem der Mensch auf Dauer nicht widerstehen konnte. "It's moving - it's alive! Now I know what it feels like to be God!", ruft ein enthusiastischer Doktor Frankenstein aus, als der aus Leichenteilen und einem vom Friedhof gestohlenen Gehirn zusammengebastelte Körper seines Monsters zum ersten Mal den rechten Finger bewegt. Ein großer Augenblick der Filmgeschichte, denn mit James Whales "Frankenstein" von 1931 ist das Filmmotiv des künstlichen Menschen eigentlich bis heute ikonografisch umschrieben.

Unzählige "mad scientists" wurden seither, besessen von dem Wunsch, es Gott gleich zu tun, durch die turbulente Geschichte der B- und C-Pictures getrieben. Doch im Gegensatz zu dem griechischen Halbgott Prometheus, der bestraft wurde, weil er seine Geschöpfe nicht nur ins Leben rief, sondern ihnen auch noch das Feuer beschaffte, müssen seine Nachfolger schon dafür büßen, dass sie keine Verantwortung für ihre Kreaturen übernehmen. In der Regel werden die Erfinder am Ende von den Monstern umgebracht, denen sie selber das Leben eingehaucht haben und auf die sie eben noch so stolz waren.

James Whales Film, der auf Mary Shelleys "Frankenstein"-Roman von 1816 zurück geht, unterstreicht die negativen Folgen, die ein künstlicher Schöpfungsakt mit sich bringt, wenn er verantwortungslos und nur von wissenschaftlichem Ehrgeiz getrieben, ausgeführt wird. Der Roman hatte schon im 19. Jahrhundert eine ungeheure Breitenwirkung und regte die Fantasie zahlreicher Nachahmer an. Der erste Film, der Mary Shelleys künstliche Geburtsphantasie in Bilder umsetzt, ist der 1910 gedrehte "Frankenstein". Von diesem Film, der sich auf wenige Szenen des Romans stützt, existieren allerdings nur noch einzelne Sequenzen und Standfotos. Auch von der zweiten und dritten Verfilmung, "Life without Soul" von 1915 und "Il mostro di Frankenstein" von 1920 gibt es heute keine Kopien mehr.

Wenn von dem Beginn des Frankenstein-Mythos im Film die Rede ist, ist damit James Whales Verfilmung gemeint. Sein "Frankenstein" ist die erste Tonfilm-Aufarbeitung des Stoffes und war ein großer Publikumserfolg, von der "seriösen" wurde er natürlich verrissen, Politiker und Kirchen sahen die Moral gefährdet. Er ist zugleich Ausgangspunkt, Höhepunkt und Vorbild unzähliger Folgefilme.

Dabei hat der Drehbuchautor Robert Florey einige entscheidende Veränderungen zum Roman vorgenommen, die fortan von fast allen Regisseuren übernommen wurden und erst wieder in den letzten Jahren, zum Beispiel in Kenneth Branaghs "Mary Shelleys Frankenstein" (1994) rückgängig gemacht wurden: Das Geschöpf, das seinem Schöpfer im Roman geistig zumindest ebenbürtig ist, sich sogar durch die "besondere Rede" auszeichnet, lässt Florey zu einem Furcht einflößenden Monster werden, das allenfalls Grunzlaute von sich geben kann. Und das bei der entscheidenden Operation verwendete "abnormale Gehirn", das Frankensteins natürlich klumpfüßiger Gehilfe vom Friedhof klauen musste, erklärt die Bösartigkeit des künstlichen Menschen. Damit wurde Shelleys eigentlich humanistischer Ansatz aufgegeben, nach der das Geschöpf nicht von Anfang an "schlecht" ist, sondern erst durch den Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft "böse" wird.

Filmisch lehnt sich James Whale bewusst an Rotwangs Kreation des künstlichen Menschen in Fritz Langs Klassiker "Metropolis" (1926) an, der leider in der Retrospektive genauso fehlte wie Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey" (1968). Der Frankenstein-Stoff, der in den fünfziger und sechziger Jahren noch in den Produktionen des britischen Hammer-Studios als Horrormaterial verwendet wurde, überlebte nur als Parodie seiner selbst: Mel Brooks machte sich in seinem "Frankenstein Junior" (1974) vor allem über die sexuelle Metaphorik von James Whales Schöpfungsszene lustig. Vor den Originalkulissen der 1931er Verfilmung ruft Doktor Frankenstein nun im entscheidenden Moment seinem Gehilfen zu: "Zieh ihn mir hoch!"

Ob Alraune, Roboter oder Androiden - durch die gesamte Filmgeschichte gilt die Regel, dass die Kunstwesen im Grunde den Menschen ähnlicher sind, als es ihre Schöpfer jemals zu hoffen wagen durften. Gefühle und Sehnsüchte sind ihnen nicht unbekannt, nur leider haben sie dazu auch den menschlichen Überlebensinstinkt übernommen.

Das beginnt schon bei dem aus Lehm geformten Golem, der dagegen rebelliert, mit der Drehung seines Brustmedaillons abendlich wieder abgestellt zu werden. Und auch die Roboter in Michael Crichtons "Westworld" von 1972, die in einem Vergnügungspark als Zielscheiben für schießwütige Menschen herhalten müssen, geben sich schließlich nicht mehr damit ab, dass ihnen am Ende eines langen Tages der Saft abgedreht wird, sondern wollen eigenverantwortlich über ihr Leben bestimmen. Die Künstliche Intelligenz übertrumpft die menschliche, bis die Maschinen eines Tages, so wie in Ridley Scotts "Blade Runner" (1982), die Herrschaft über die Welt übernehmen.

Und wie könnte die Zukunft des Genres aussehen? Wie geht es weiter? Parallel zu neuen digitalen Formaten ist ja gegenwärtig zu beobachten, dass sich neue Formen von Stars herausbilden: virtuelle Persönlichkeiten, die Menschen als "Trägermedien" schon gar nicht mehr benötigen. Webbie Tookay oder Lara Croft - sind das die neuen Filmstars, die dazu noch auf ihrer Homepage quasi "zu Hause" besucht werden können? Künstliche Menschen scheinen bis zum Jahr 2029 nicht nur unser Alltagsleben zu übernehmen, sondern sich auch unserer Fantasie zu bemächtigen. Menschen sind abkömmlich. Dazu passt eine Meldung, dass die Model-Agentur Elite Models vor kurzem angekündigt hat, neben ihren Superstars wie Cindy Crawford oder Claudia Schiffer nicht nur Models aus Fleisch und Blut über die Laufstege zu schicken, sondern auch virtuelle Models anzubieten.

Der von Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Gabriele Jatho herausgegebene Katalog zur Retrospektive "Künstliche Menschen. Manische Maschinen. Kontrollierte Körper" ist im Jovis Verlag erschienen und kostet 78 Mark. TP - Retro -2- 22.02.00