Italien: Koalition zerbrochen
Ministerpräsident Conte hofft auf neue Unterstützer
Gestern Abend verkündete Matteo Renzi, der ehemalige italienische Ministerpräsident und jetzige Chef der PD-Abspaltung Italia Viva (IV), den Rückzug seiner Partei aus der Regierung. Anlass für diesen Rückzug ist ein Streit darum, ob diese Regierung außer auf 209,9 Milliarden Euro aus dem Coronatopf der EU (vgl. Merkel und Macron vereinbaren Quasi-Eurobonds) auch auf 36 Milliarden Euro aus dem in der Eurokrise eingerichteten "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) zugreifen soll. Die Regierungspartei M5S ist - anders als die PD und Italia Viva - gegen einen solchen Zugriff, weil sie für diesem Fall eine ähnliche Einmischung der EU, der EZB und des Weltwährungsfonds in die italienische Politik wie in Griechenland befürchtet.
Zuerst hatte Renzi sein Beharren auf den ESM-Zugriff damit begründet, dass das italienische Gesundheitssystem andernfalls unterfinanziert sei. Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte daraufhin die Mittel für dieses Gesundheitssystem im Kabinettsentwurf für seinen "Wiederaufbauplan" verdoppelt. Trotzdem ließ der IV-Chef Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova und Familienministerin Elena Bonetti am Dienstag nicht für diesen Entwurf stimmen. Nun verlautbarte er, Conte stütze mit der Verteilung der Gelder alte Misswirtschaften und vertue die Chance auf eine "wirkliche Veränderung".
Unabhängige und kleine Parteien sichern Conte eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus - und möglicherweise auch im Senat
Bis gestern bestand die Regierungsmehrheit in der insgesamt 630 Sitze zählenden Abgeordnetenkammer aus 191 Abgeordneten der M5S, 92 Abgeordneten der sozialdemokratischen PD, 30 Abgeordneten von IV, zwölf der Linkspartei LeU und drei Auslandsitalienern von der Movimento Associativo Italiani all'Estero (MAIE). Fallen die 30 der IV weg, bedeutet das nicht automatisch, dass Conte eine Vertrauensabstimmung verliert, weil weitere 18 Abgeordnete regelmäßig mit der Regierung stimmen - darunter vier von Bruno Tabaccis christdemokratischem Centro Democratico (CD) und vier aus den ethnischen Minderheiten. Außerdem ist einer der Abgeordnetenkammersitze derzeit vakant.
Im Senat mit seinen insgesamt 321 Sitzen verfügt die M5S über 92, die PD über 35, die IV (die sich dort mit der sozialdemokratischen Splitterpartei PSI zusammengetan hat) über 18, die LeU über fünf und das MAIE über vier. Hier wird die Regierung regelmäßig von 19 weiteren Senatoren unterstützt, von denen neun aus Südtirol und dem frankophonen Aostatal kommen. In dieser Kammer reicht die Mehrheit nicht mehr, wenn sich alle 18 Senatoren der IV und der PSI aus den Reihen der Unterstützer verabschieden. Conte müsste dann mindestens sechs neue Unterstützer unter den 13 unabhängigen Senatoren und Mitgliedern kleiner Parteien wie der christdemokratischen Movimento IdeA, der progressivistischen Azione, der EU-euphorischen Più (+Eu) und der Forza-Italia-Abspaltung Cambiamo! (C!) finden.
Rechtsbündnis liegt in Umfragen vorn
Gelingt ihm das nicht, könnte Staatspräsident Sergio Mattarella ihn oder eine andere Person mit der Bildung einer Expertenregierung beauftragen. Kommt auch die auf keine Mehrheit, würde es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen. Der aktuellen Tecnè-Umfrage vom 11. Januar nach würde Matteo Salvinis Lega bei solchen Neuwahlen mit 23,4 Prozent stärkste Partei werden. Zusammen mit 16,6 Prozent für Giorgia Melonis Fratelli d'Italia (FdI) und 10,5 Prozent für Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) könnte dieser Stimmenanteil für eine Regierungskoalition reichen.
Bei Institut SWG, das vom 7. bis zum 11. Januar befragte, wäre der Wahlausgang stärker davon abhängig, wie viele der kleinen Parteien es über die Drei-Prozent-Hürde schaffen. Hier liegt die Lega bei 23,2 Prozent, die FdI bei 17,2 und die FI bei 5,9. Auch diese Stimmenanteile könnten für eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer reichen, wenn dort weder Renzis bei 2,9 Prozent gemessene IV noch die bei 2,4 Prozent gemessenen Grünen und die bei 2,1 Prozent liegende +Eu vertreten sind. Die mit den Werten chancenloser Parteien addierten 11,2 Prozent würden dann dafür sorgen, dass 46,3 Prozent für eine Rechtskoalition reichen, weil 19,4 Prozent für die PD, 14,7 Prozent für die M5S und 3,1 Prozent für die Linkspartei La Sinistra (LS) addiert weniger als 46,3 Prozent ergeben. Auch ein Bündnisbeitritt der bei 4,1 Prozent gemessenen Azione würde daran nichts ändern.
Die geringen Chancen, die kleine Parteien bei einer vorgezogenen Neuwahl haben, erhöhen aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Angehörigen im Parlament Conte bis zum nächsten regulären Wahltermin 2023 stützen.
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