Italien: Neuwahlen im Herbst?

Bild Matteo Salvini: Ministero dell'interno / CC BY 3.0 IT

Lega kündigt Misstrauensvotum gegen Conte an - Uneinigkeit nicht nur beim Eisenbahnausbau, sondern auch bei den anstehenden Themen Steuern und Subsidiarität

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Die italienischen Regierungsparteien M5S und Lega geben sich zu vielen politischen Fragen unterschiedlicher Ansicht: Im Europaparlament stimmten die M5S-Abgeordneten beispielsweise für Ursula von der Leyen als neue EU-Kommissionspräsidentin, was der italienische Innenminister Matteo Salvini (dessen Lega gegen die ehemalige Bundesverteidigungsministerin votierte) öffentlich verurteilte. Das Abstimmungsverhalten der M5S im Europaparlament war allerdings insofern nicht überraschend, als sich der parteifreie italienische Ministerpräsident in der Runde der Staats- und Regierungschefs der EU vorher mit auf von der Leyen geeinigt hatte.

Kurz danach schien sich die Lega gegen die M5S durchgesetzt zu haben, als Conte Brüssel den Weiterbau der Schnellzugstrecke TAV zusagte (vgl. Rom sagt Brüssel Weiterbau der Schnellzugstrecke TAV zu). Im italienischen Senat brachten die Abgeordneten der Grillo-Gründung dann aber diesen Mittwoch trotzdem einen Antrag gegen den Weiterbau der Schnellzugstrecke TAV ein. Das war auch insofern bemerkenswert, als Salvini am Montag öffentlich gewarnt hatte, wer so etwas mache, der gefährde die Regierung und riskiere eine vorgezogene Neuwahl.

"Wenigstens zehn, elf Monate gearbeitet und Italien Gesetze beschert, auf es seit vielen Jahren gewartet hat"

Nach der Abstimmung meinte er zu Anhängern im mittelitalienischen Seebad Sabaudia: "Wenigstens zehn, elf Monate haben wir gearbeitet und Italien Gesetze beschert, auf es seit vielen Jahren gewartet hat" - aber "in den letzten zwei, drei Monaten" habe "sich etwas verändert", und es sei "etwas kaputtgegangen". Am Tag darauf teilte er mit, er habe Conte gesagt, der Ministerpräsident solle "anerkennen, dass es keine Mehrheit mehr gibt" und deshalb wäre es richtig, "das Wort schnell an die Wähler zurückzugeben". Darüber hinaus gehende Berichte, er habe Contes Rücktritt gefordert und mit dem Rückzug der Lega-Minister gedroht, ließ er dementieren.

Conte meinte dazu, "über den Ablauf einer politischen Krise" entscheide nicht ein Innenminister, sondern "ganz andere institutionelle Akteure". Danach unterbrach der Ministerpräsident die Parlamentsferien, damit Salvini nächste Woche Gelegenheit hat, sich dort zu "erklären". Die Lega gab darauf hin bekannt, sie werde im Senat ein Misstrauensvotum gegen Conte einbringen.

Verliert Conte dieses Misstrauensvotum, liegt es der italienischen Verfassung nach am italienischen Staatspräsident Sergio Mattarella, Neuwahlen anzusetzen. Davor könnte der Sozialdemokrat versuchen, Parteien zu einer neuen Koalition oder zur Duldung einer "Technokratenregierung" zu drängen, die für Brüssel den Ende September fälligen neuen Haushalt erstellt. Diese Alternativen zu Neuwahlen lehnte Salvini heute Mittag via Twitter als "Palastspiele" ab.

Auch neue Koalitionspartner wären zentralstaatsorientiert

Ein Hintergrund der Koalitionskrise ist, dass ein bisher weitgenend außen vor gelassenes Thema nach über einem Jahr Regierungszusammenarbeit auf seine Behandlung drängt. Das Gründungsthema der Lega, die früher Lega Nord hieß: Mehr Subsidiarität und mehr Autonomie für die italienischen Regionen. Das kommt vor allem im wirtschaftlich erfolgreichen Norden an, wo man weiß, dass die Steuern auch deshalb so hoch sind, weil viel Geld in den Süden fließt. Dort, wo die M5S viele Wähler hat, steht man mehr Autonomie in Fiskalsachen deshalb eher ängstlich gegenüber.

Die beiden Parteien, die nach einer Neuwahl als Koalitionspartner der Lega infrage kämen - die Forza Italia und die Fratelli d'Italia - sind in der Subsidiaritätsfrage allerdings ebenfalls anderer Meinung als der dann wahrscheinliche Wahlsieger (vgl. Europa der Regionen vs. Europa der Nationalstaaten). Und auch dann, wenn sie in einer neuen Koalition über weniger Stimmen verfügen als die M5S in der jetzigen, könnten sie ihre Vorliebe für einen starken Zentralstaat mit starken Führungspersönlichkeiten wie Silvio Berlusconi und Giorgia Meloni möglicherweise entschiedener verfechten als der bislang eher handzahme M5S-Capo Luigi di Maio.

Mögliche Kompromisse

Auf offenere Ohren stoßen bei der Forza Italia und den Fratelli d'Italia andere Vorhaben Salvinis: Maßnahmen gegen die Migration (bei deren Durchsetzung sich die M5S im Parlament unlängst enthielt) und eine Steuerreform, nach der Italiener mit einem Einkommen unter 50.000 Euro nur noch pauschal 15 Prozent zahlen sollen (vgl. Italien: Salvini fordert Steuerreform als Wirtschafts-Defibrillator).

So eine Steuersenkung passt jedoch schlecht in das Konzept der EU, die Italien zwingen will, seine alten Staatsschulden abzubauen (vgl. Italien: Drei Milliarden EU-Bußgeld gegen 30 Milliarden Euro Steuersenkung). Eine Möglichkeit, dem deshalb zu erwartenden Druck aus Brüssel zu begegnen, wäre es, Ausgaben wie die von der M5S durchgesetzte Grundsicherung für Arbeitslose zu beschneiden.

Deshalb könnten zumindest Teile der M5S ein Interesse daran haben, dass die aktuelle Koalition trotz Spannungen weiterbesteht. Mit oder ohne Conte als Ministerpräsidenten. Und daran, dass Kompromisse gefunden werden, mit denen beide Regierungspartner leben können. In der Autonomiefrage könnten sie so aussehen, dass sich eine verstärkte Selbstverwaltung auf den Ausbau kultureller und rechtlicher Kompetenzen konzentriert und Geldabflüsse entweder außen vor lässt oder über komplizierte Umbauten verschleiert. In der Steuerfrage wäre als Ausgleich zur Flat Tax für Gering- und Normalverdiener das Schließen von "Steuersparlöchern" denkbar, die von allem vom Juste Milieu und von anderen Beziehern höherer Einkommen genutzt werden.

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