Japan: Firmenumstrukturierung gefährdet Medienkunst-Institutionen
Kuratoren des Canon ARTLAB geben auf; Veränderungen auch bei NTT[ICC]
Für mehr als ein Jahrzehnt hat das Canon ARTLAB in Tokyo herausragende Arbeiten der Medienkunst in Auftrag gegeben und koproduziert. Zugleich war das Inter Communication Center des japanischen Telekommunikationsriesen NTT (NTT[ICC]) eine der mit den besten Ressourcen ausgestatteten Medienkunstinstitutionen in Tokyo und weltweit. Doch zehn Jahre Rezession in Japan und was man euphemistisch "Firmenumstrukturierung" nennt, gefährden nun die Weiterführung der Arbeit dieser Institutionen in der bestehenden Form.
Die Neuigkeiten, was ARTLAB betrifft, erreichten die Öffentlichkeit auf unverdächtige Weise. "Ende Juli erhielt ich eine Postkarte von der Abteilung für soziale und kulturelle Programme von Canon Inc., in der die Verlegung des Büros an einen neuen Ort angekündigt wurde," schrieb Tetsuya Ozaki in der neuesten Ausgabe seines Newsletters RealTokyo vom 10.August 2001. Die Karte erklärt, dass ARTLAB seine Räumlichkeiten in dem zentral gelegenen Bezirk Roppongi aufgibt und in den Hauptsitz des Unternehmens in Shimo-Maruko, Ota-ku, umzieht. "Die Karte enthielt auch einen typisch japanischen Spruch, nämlich 'zu diesem Anlass empfinden wir eine nur noch größere Motivation unseren Pflichten mit verstärktem Einsatz nachzukommen'. Doch in Wirklichkeit sieht die Sache ganz anders aus," erklärt Tetsuya Ozaki. Yukiko Shikata and Kazunao Abe, die beiden Kuratoren von ARTLAB, die bei dem Projekt von Anfang an dabeigewesen waren, mussten die Konsequenzen ziehen, da sie unter den gegebenen Umständen nicht länger für ARTLAB arbeiten konnten. Das bedeutet mit allergrößter Wahrscheinlichkeit, dass es das ARTLAB, wie man es gekannt hatte, nicht mehr geben wird.
ARTLAB nahm eine nahezu einzigartige Stellung in der internationalen Medienkunstlandschaft ein. Es stellte die Mittel für zwei Auftragsarbeiten pro Jahr zur Verfügung und gab Kuratoren, Künstlern und Entwicklern die Möglichkeit zu enger Zusammenarbeit. Mit dieser interdisziplinären Zugangsweise und der Zurverfügungstellung adäquater Finanzierung konnten Projekte entstehen, die sowohl hinsichtlich ihrer künstlerischen Konzeption als auch bezüglich ihrer technologischen Komplexität kaum ihresgleichen fanden. Unter den japanischen und internationalen Künstlern, die am ARTLAB Projekte realisierten, waren u.a. Ulrike Gabriel mit "Perceptual Arena", knowbotic research mit "IO_dencies", "SoundCreatures" von Kouichirou Eto und kürzlich "polar" von Carsten Nicolai und Marko Peljhan. Nachdem die Arbeiten ihre Premiere in einem eleganten unterirdischen Ausstellungsraum in Daikan-yama erlebten, ein von Mies van der Rohe inspiriertes architektonisches Juwel in Tokyo, wurden viele der Arbeiten auf der ganzen Welt gezeigt, da Medienkunstfestivals ein starkes Interesse zeigten, Arbeiten von solcher Qualität präsentieren zu können.
Nicht länger, meint CANON Inc. Unter dem derzeitigen CEO wurde auch die Leitung des ARTLAB ausgetauscht und der neue Mann an der Spitze der Medienkunstabteilung betrachtet ARTLAB als eine direkt verkaufsfördernden Zwecken gewidmete Abteilung und bringt kein Verständnis für den künstlerisch-experimentellen Charakter auf. Das Unternehmen "ist nur mehr an kurzfristigen Profiten in einer sehr engstirnigen Perspektive interessiert", beklagt Yukiko Shikata, "woraus abzuleiten ist, dass Canon Medienkunst nie verstanden hat, leider". Sie erklärt darüber hinaus, dass das ARTLAB im Verhältnis zu der Größe des Unternehmens "kaum etwas" gekostet habe und mit einem verhältnismäßig kleinen Budget globale Beziehungen aufgebaut und zu einem positiven und innovativen Image des Unternehmens beigetragen habe.
Unter diesen Umständen mussten sich Yukiko und Kazanao entschließen, dass es Zeit ist, weiterzuziehen und als freie Kuratoren und Kritiker zu arbeiten. "Wir hoffen nur, dass Canon die Verantwortung für das Archiv des ARTLAB übernimmt und dieses auf der Website CAST weiterhin für die Öffentlichkeit bereitstellt, weil dieses eine spezifische Geschichte der Medienkunst in den 90er Jahren repräsentiert", meint Yukiko.
Sie lässt durchblicken, dass die Zeit für die großen, zentralisierten, von multinationalen Konzernen subventionierten Medienkunstinstitutionen abgelaufen ist. Bildungseinrichtungen wie Kunsthochschulen und technische Universitäten haben neue Studiengänge für Informationsdesign und Medienkunst eingerichtet. Ausstellungsorte für Medienkunst entstehen nun auch in kleineren Städten, abseits der großen Zentren. Medien- und Netzkunst werden znehmend auch von der normalen zeitgenössischen Kunstszene verstanden und mit Interesse betrachtet, außerhalb bekannter "Ghettos" der Medienkunst. "Die Szene verbreitet und verfielfältigt sich", meint Yukiko, "und ich bin zuversichtlich, daran weiterhin beteiligt zu sein." Sie arbeitet bereits an einer Reihe neuer Projekte, darunter ISEA 2002, das in Nagoya, Japan, stattfinden wird, sowie bei YARD, das "Yamaguchi Art Development and Research"-Zentrum, das im Herbst 2003 im Westen Japans eröffnet werden soll.
Verschlankungskur beim [ICC]
Zur gleichen Zeit gab es auch bei NTT[ICC] Veränderungen, allerdings mit weniger drastischen Folgen. Das Medienkunstzentrum und Museum, das im gigantischen Firmenprunktempel Opera City Center in Tokyo angesiedelt ist, wurde nach Umstrukturierungen im April neu eröffnet. Von zwei Stockwerken wurde eines aufgegeben und entsprechend der geringeren Flächen sind auch wesentlich weniger Arbeiten aus der permanenten Sammlung zu sehen. Der ehemalige Chef-Kurator hat das Zentrum verlassen und arbeitet nun für ein Museum in Hiroshima. Eine Gruppe von vier jungen Kuratoren, zwischen denen es keine Hierarchie gibt, hält nun das Zepter in der Hand, über ihnen ein Manager mit rein administrativen Aufgaben. Dieses "gemeinsame Kuratieren" hat in der englischsprachigen japanischen Tageszeitung Japanese Times Kritik hervorgerufen, die dem jungen Team vorwarf, keine gemeinsamen Selektionskriterien zu haben.
Aber so schlecht ist die Bilanz des abgespeckten [ICC] nun auch wieder nicht. Die Wiedereröffnung erfolgte mit einer Ausstellung der italienischen Designgruppe Studio Azzuro, im Juli wurde die vernetzte Installation "baby.play" von Shu Lea Cheang gezeigt und derzeit läuft eine Retrospektive des japanisch-amerikanischen Künstlers John Maeda. Das neue Arrangement, mit kleiner permanenter Ausstellung, dafür einer neuen kuratierten Ausstellung jeden Monat, sollte dem jungen Team mehr Flexibilität geben, eine größere Spannbreite von Arbeiten vorzustellen.