Japan - kein Wintermärchen

Seite 2: Die Bauindustrielobby

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In den Siebziger- und Achtzigerjahren, den Zeiten des ökonomischen Aufschwungs, wurden die Bauunternehmen in Japans Wirtschaft sehr dominant. Die Liberaldemokratische Partei (LDP), die das Land seit über 70 Jahren fast ununterbrochen regiert, hat ein System von Abhängigkeiten zwischen der Politik, den Bürokraten und Baulobbys geschafften.

Praktisch ohne Konkurrenz von außen, können die Firmen auch heute Preise und Qualitätsstandards diktieren. Sie bekommen großzügige öffentliche Aufträge, die zu einem großen Teil für die weltweit höchste Staatsverschuldung Japans verantwortlich sind. Viele hochrangige Bürokraten und Politiker erhalten dafür nach ihrer Pensionierung gut dotierte Jobs im Management großer privater Bauunternehmen. Überdurchschnittlich viele Japaner, ganze 10% der Werktätigen (Deutschland etwa 2%), arbeiten in der Baubranche.

Bild: Marcin Pietraszkiewicz

Als die Immobilienblase Anfang der Neunzigerjahre platzte, hatte der Staat dieser Sparte großzügig unter die Arme gegriffen. Um sie am Leben zu erhalten, wurden zahlreiche ökonomisch fragwürdige Infrastrukturprojekte wie Tunnels und Autobahnen in entlegene, kaum bewohnten Gebiete, riesige Veranstaltungshallen oder Museen in kleinen Gemeinden, Flussregulierungen, Staudämme oder Betonschutzmauern entlang tausender Küstenkilometer in Angriff genommen, aber auch gesetzliche und steuerliche Anreize geschafften, um etwa Einfamilienhäuser möglichst kurzlebig zu bauen. Diese werden im Schnitt alle 30 Jahre abgerissen und neu errichtet. Fast 50% des gesamten Gebäudebestandes in Japan ist jünger als 25 Jahre, nur 2% wurden vor 1950 erbaut. Je nach Präfektur besitzen bis zu 80% der japanischen Familien ein Eigenheim.

Ein gebrauchtes Einfamilienhaus verliert in Japan, ähnlich einem Pkw, rasch an Wert, ein 30 Jahre altes Gebäude gilt für die meisten Japaner als nicht mehr bewohnbar, selbst wenn die Konstruktion völlig intakt ist. Der Verkauf eines Grundstücks mit einem Haus wird höher besteuert als ohne, es gibt Kreditbeschränkungen für ältere Immobilien, hinzu kommt eine exorbitante Erbschaftssteuer, sodass die meisten Grundstücke nach dem Tod ihrer Besitzer von den Erben gesplittet und danach verkauft werden. Das hat auch zur Folge, dass Baugründe und damit auch die Eigenheime in den Städten immer kleiner werden.

Der Tsunami und die Katastrophe von Fukushima vom März 2011 haben eine neue Diskussion über Nachhaltigkeit in Gang gesetzt. Bis zu den Olympischen Spielen in Tokio in 2020 will die Regierung einige Öko-Konzepte verwirklichen, bis 2030 will man die Treibhausgase bezogen aufs Jahr 2013 um 26% reduzieren. Dabei soll ab 2020 das Konzept des "Null-Energie-Hauses" bei Neubauten umgesetzt werden. Die Industrie bietet ein breites Spektrum an Fertigteilhäusern, deren Preise meist zwischen 100.000 und 200.000 Euro (ohne Grund, ohne Keller) schwanken, bei denen aber an Baumaterialien und somit an Qualität gespart wird.

Jede Generation der Japaner muss sich aufs Neue verschulden, um sich den Traum eines Eigenheims zu erfüllen, denn Mietwohnungen sind oft sehr teuer, klein und von schlechter Qualität. Besucht man Musterhäuser in Japan, geraten die Verkäufer in Unruhe, wenn man sich nach Wandaufbau und Fensterart erkundigt. Japanische Kunden würden diese Fragen nicht stellen.

Ein als "Zero-Energy-House" beworbener Kubus von insgesamt 95 m2 Wohnfläche auf zwei Stockwerken um gut 200.000 Euro entpuppt sich als ein weiteres Durchschnittsprodukt der Bauindustrie: Holzimitate aus Plastik an den Wänden und am Fußboden sollen Naturnähe vortäuschen, faserverstärkte Zementplatten in Ziegeldesign als Außenfassade, "smarte" elektronische Steuerung der Haushaltsgeräte und der Lichter, doch es sind vier summende Klimaanlagen, die für wenig behagliche 20°C Raumwärme bei Außentemperatur um 5°C sorgen. Die Doppelglas- Schiebefenster haben einen dünnen Alurahmen, die Wände eine Dicke von gerade 10 cm. Warum "Zero-Energy", will ich von der stets lächelnden Dame mit Stewardessen-Outfit wissen. Ihr verlegenes Lachen ersetzt die Antwort.

Verpasste Energiewende

Es sind nicht nur die gesundheitlichen Probleme, die die kalten Häuser mit sich bringen. Durch mehr Energieeffizienz im Wohnbau könnte sich der japanische Staat und seine Bewohner jedes Jahr Billionen Yen an Heiz- und Energiekosten sparen, von der CO2 Bilanz ganz zu schweigen. Während Japan in den Bereichen Industrie und Transport in allen Energieeffizienzrankings Spitzenplätze belegt, hinkt es bei Energieverbrauch im Wohnbereich anderen Industrienationen nach. Statistiken des Infrastrukturministeriums (MLIT) zufolge, entfiel 2015 ein Anteil von mehr als einem Drittel des Energieverbrauchs auf die Gebäudekategorie (in Deutschland weniger als 25%) und das, obwohl Japan südlich von Tokio ein sehr mildes Klima genießt.

Tisch mit einer Heizspirale (Kotatsu). Bild: Marcin Pietraszkiewicz

Derzeit werden die meisten Einfamilienhäuser und Wohnungen in Japan mit kerosinbetriebenen Standgeräten bzw. mit Klimaanlagen beheizt. Die mobilen Standgeräte werden nur dort eingesetzt, wo sich gerade Menschen befinden. Ein Gebläse verteilt dabei warme Luft im Raum, sobald es abgeschaltet wird, verpufft die Wärme augenblicklich. Andere Räume, das Vorzimmer, das Bad oder das WC bleiben kalt. Das erklärt, warum das "Hightech-Klo" mit beheiztem WC-Sitz und warmem Bidet-Wasserstrahl eine japanische Erfindung ist. Ohne dieses Hilfsmittel würde man im Winter an der Klo-Brille kleben bleiben. Dieses Wunderwerk der Technik ist weniger ein Symbol des technischen Vorsprungs, sondern zeigt den Nachholbedarf im Bereich des privaten Wohnbaus.

Nach dem Tsunami und der Nuklearkatastrophe von Fukushima vom März 2011 wurden zunächst alle japanischen Atomkraftwerke vom Netz genommen. Naoto Kan von der Demokratischen Partei, der mit dem Slogan "Weg vom Beton hin zu den Menschen" ein kurzes Zwischenspiel als Premierminister hatte, bemühte sich, die Abkehr seines Landes von der Kernkraft ernsthaft voranzutreiben. Er wurde daraufhin von der Opposition und selbst von Politikern der eigenen Partei heftig angefeindet, für sein Krisenmanagement bei der Dreifachkatastrophe kritisiert und sah sich bald gezwungen, zurückzutreten. In seinen letzten Amtstagen hatte er ein Gesetz zu erneuerbaren Energien durchgesetzt, das von seinen Nachfolgern, allen voran Shinzo Abe, stark verwässert wurde.

Das sog. "Nukleare Dorf", ein Triumvirat aus der Atomindustrie, dem Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie und der Regierung hatte die Oberhand behalten und mit Premierminister Abe von der LDP einen starken Befürworter der Atomkraft und Verfechter des bisherigen Status quo bekommen. Der Atomausstieg wurde kurzerhand abgesagt. Trotz großer Widerstände vor allem auf lokaler Ebene, will die Regierung Abe die Atomreaktoren möglichst rasch wieder ans Netz schließen. Erst Ende Dezember 2017 entschied das Oberste Gericht in Osaka, dass zwei weitere Kernkraftwerke wieder angefahren werden dürfen.

Inzwischen wurden vom Industrieministerium die fossilen Energieträger, allen voran Gas und Kohle zur Stromerzeugung wiederentdeckt. Mittlerweile halten Kohlekraftwerke 31% Anteil an der Energiegewinnung des Landes, insgesamt werden derzeit etwa 90% der Energie aus fossilen Quellen erzeugt. Entgegen weltweiten Trends planen japanische Energieunternehmen in den kommenden zehn Jahren 41 neue Kohlekraftwerke zu errichten.

Der umtriebige Antiatom-Aktivist und Rechtsanwalt Hiroyuki Kawai beschämt regelmäßig Politiker seines Landes, indem er ihnen vorhält, dass sogar der große Konkurrent China Japan punkto Ausbau und Anteil erneuerbarer Energien längst überholt hat. "Das einzige Argument, das bei unseren Volkvertretern wirkt", sagt er lachend. Während der große Nachbar beim Klimaschutz und Investitionen in den Öko-Strom die weltweite Führungsrolle übernimmt, bleibt es in Japan nur bei Worten. Der japanische Umweltminister Koichi Yamamoto befürchtet, dass Japan die angepeilten Emissionsreduktionsziele bis 2030 deutlich verfehlen könnte.

Der Ausbau von erneuerbaren Energien kommt nur schleppend voran. Lediglich die Solarenergie konnte seit 2011 kräftig zulegen- dank Naoto Kans Erneuerbare-Energie-Gesetzes, das ein Vergütungssystem nach deutschem Vorbild beinhaltete. Unter Premierminister Abe wurden die Förderungen wieder zurückgefahren, sodass auch hier ab 2018 mit einem Rückgang der Investitionen zu rechnen ist.

Wie so oft, wird von Energielobbisten das besondere Klima Japans als Ausrede vorgeschoben: Japan sei ein Land von Naturkatastrophen, Erdbeben, Taifunen, die Windkraft und die Geothermie seien deswegen keine Alternative. Dass die Wohn -und Bürotürme japanischer Städte und die gigantischen Strommasten, die die Landschaften prägen, allen diesen Katastrophen standhalten, ist für sie kein Argument. Obwohl Japan durch seinen vulkanischen Charakter für die Geothermie und durch die enorme Küstenlänge mit stabilen Windverhältnissen für die Windkraft geradezu prädisponiert ist, kommen diese Energiequellen kaum voran. Japan bezieht derzeit nur 11% des Stroms aus erneuerbaren Quellen.