Japanische Ex-Regierungschefs: "Atomkraft kann ein Land ruinieren"
Kurz bevor die EU-Kommission Atomkraft über die Taxonomie als "nachhaltig" einstufte, forderten fünf ehemalige japanische Premierminister zum Atomverzicht auf
Es war nicht anders zu erwarten. Die EU-Kommission hat nun den umstrittenen Rechtsakt angenommen, über den Atomkraft und Erdgas das grüne Siegel einer angeblichen "Nachhaltigkeit" bescheinigt wird. Trotz des Widerstands einiger Mitgliedsstaaten werden nun Investitionen in Atomkraft und Erdgas, wie erwartet, empfohlen.
Über den Deal zwischen Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsident Emanuel Macron hat Telepolis schon frühzeitig berichtet. Dass es noch zu Veränderungen am abgekartetem Handel kommen würde, war nicht zu erwarten.
Gespannt darf man nur noch sein, ob die neue Bundesregierung etwas gegen die Einstufung unternimmt, wie Österreich oder Luxemburg dagegen klagt. Angekündigt wurde, man werde die Entscheidung prüfen. "Wir haben jetzt vier Monate Zeit", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Dass die absurde Einstufung auch gegen die eigenen Taxonomie-Grundlagen verstößt, ist eigentlich alles gesagt. Deshalb soll an dieser Stelle über das gesprochen werden, was derweil verschwiegen wird. Praktisch ohne Widerhall im Blätterwald blieb ein Appell von gleich fünf ehemaligen japanischen Regierungschefs, die in einem offenen Brief vor dieser Einstufung gewarnt hatten. Und angesichts des Super-GAU im Kraftwerk von Fukushima, wo die Gefahren eine Kernschmelze zudem lange zuvor bekannt waren, forderten sie von der EU, auf Atomkraft zu verzichten.
Unter den Unterzeichnern des Offenen Briefs finden sich auch ehemalige Atomkraft-Fans wie Junichiro Koizumi und Naoto Kan. Sie haben aus der Fukushima-Katastrophe ihre Lehren gezogen, Kan war 2011 selbst japanischer Regierungschef. Beide sind zu prominenten Stimmen gegen die Atomkraft geworden.
"Als ehemalige Premierminister Japans waren wir schockiert, als wir erfuhren, dass die Europäische Kommission plant, die Atomenergie in die EU-Taxonomie aufzunehmen, welche die Investitionen in Projekte zur Bekämpfung des Klimawandels und andere nachhaltige Projekte erleichtern soll", schreiben sie. Die Übersetzung kann hier nachgelesen werden.
"Nach den Ereignissen in Three Mile Island in den USA und in Tschernobyl in der ehemaligen Sowjetunion hat die Katastrophe im TEPCO-Atomkraftwerk von Fukushima Daiichi zu einem hohen Preis bewiesen, dass die Atomkraft nicht «sicher» ist."
Was in den letzten zehn Jahren in Fukushima zu erleben ist, sei "eine unbeschreibliche Tragödie und eine Verseuchung von noch nie dagewesenem Ausmaß. Hunderttausende hätten ihre Häuser verlassen müssen, riesige landwirtschaftliche Flächen wurden verseucht, noch immer werde radioaktives Wasser erzeugt, das die Speicherkapazität bei weitem übersteigt und viele Kinder leiden an Schilddrüsenkrebs. Große Teile der Ressourcen und des Wohlstands des Landes seien verloren gegangen, erklären sie.
"Wir möchten nicht, dass die europäischen Länder denselben Fehler begehen", schreiben die fünf Ex-Premiers dazu, dass "Atomkraft keine sichere, billige und saubere Energie ist", wie Koizumi auf einer Pressekonferenz unterstrich. "Sollte die EU Investitionen in die Atomkraft unterstützen, stünde dies im Widerspruch zum Wesen des europäischen Green Deals", stellen sie fest.
Aus den eigenen Erfahrungen stellen sie fest: "Die Förderung der Atomkraft kann ein Land ruinieren." Die Förderung der Atomenergie bedrohe das Überleben und die Existenz künftiger Generationen, verweisen sie nicht nur auf Unfälle, sondern auch auf den für hunderttausende Jahre strahlenden Atommüll. Gewarnt wird aber, auch mit Blick auf Erdgas aber auch vor einer Politik, "die den Klimawandel ignoriert".
Es gebe genügend erneuerbare Energien, um den benötigten Strom zu liefern. Das gelte sowohl für Japan als auch für andere Länder der Welt. "Lassen Sie uns noch einmal betonen, dass eine dekarbonisierte Welt ohne Atomkraft möglich ist", schließen sie ihren offenen Brief ab.
Klar ist, dass man in Brüssel diesen Appell überhört hat, obwohl sowohl in Belgien als auch im Nachbarland Frankreich uralte Atommeiler dafür sorgen, dass die Gefahr eines schweren Unfalls immer größer wird. Zu hoffen ist, dass die angekündigten Klagen von Österreich und Luxemburg erfolgreich sind.
Dass sie das sein werden, davon sind Experten wie Götz Reichert überzeugt. Die Vorgaben der Kommission seien "rechtlich wirkungslos", weshalb sie der Europäische Gerichtshof (EuGH) für "nichtig" erklären müsse, erklärte der Leiter der Abteilung für europäisches Energierecht am Centrum für europäische Politik (Cep).
In einer ausführlichen Stellungnahme führt er das mit seinem Kollegen Philipp Eckhardt hier aus und sprechen von der "Taxonomie-Falle".
In Frankreich steigen derweil angesichts des altersschwachen Atomparks die Blackout-Gefahren. Die Stromversorgung ist bei einer Kältewelle ohnehin seit Jahren nicht gesichert, doch nun mussten etliche Meiler wegen Problemen vom Netz. Sogar die Kohlekraftwerke sollen jetzt wieder angefahren werden.
Doch die Korrosionsprobleme, die zur Abschaltung einiger Meiler führten, sind vermutlich nicht nur auf diese beschränkt, am Montag musste ein weiterer Meiler abgeschaltet werden, weshalb der Kraftwerksbetreiber EDF nun den gesamten Kraftwerkspark überprüfen muss.
Und der Rechnungshof, der schon die enormen Preisexplosionen beim Neubau in Flamanville und fehlende Milliarden für die Endlagerung und den Rückbau der Atomanlagen kritisierte geht nun klar auf einen kritischen Kurs gegenüber der teuren Atomkraft.