Japans Corona-Management: zwischen Resilienz und falscher Sparsamkeit

Alltagsszene aus der japanischen Präfektur Chiba im Mai 2020. Foto: Ka23 13 / CC0 1.0

Die Bevölkerung des ostasiatischen Inselreichs hält sich überwiegend an Empfehlungen. Sonst wurde auf strikte Einreisebeschränkungen gesetzt und wenig getestet

Anders als in der westlichen Welt erlaubt die japanische Gesetzgebung, genauer gesagt das Epidemiegesetz, keine harten Lockdowns. Das ostasiatische Inselreich hat sich mit seinen 126 Millionen Einwohnern von Anbeginn an für einen eigenen Weg der Pandemiebekämpfung entschieden.

Man setzte auf strikte Einreisebeschränkungen und ein intensives Kontakt-Tracing. Die Infizierten wurden zunächst ausschließlich in Krankenhäusern, im späteren Verlauf in vom Staat angemieteten Hotels isoliert. Ein flächendeckendes Corona-Testsystem wurde nicht etabliert, getestet wurden nur symptomatische Fälle, deren Kontaktpersonen und nach Japan Einreisende.

Die Regierung griff bei den Corona-Maßnahmen auf ein Gesetz aus dem Jahr 1998, das seinerzeit im Hinblick auf HIV/Aids verabschiedet worden war, zurück. Einschränkungen im Alltag fielen moderat aus, sie waren nur lokal begrenzt und am ehesten mit dem schwedischen Modell vergleichbar.

Es wurden lediglich Empfehlungen zur Kontaktreduzierung, zum Maskentragen und zur Hygiene ausgesprochen. Präfekturen mit höheren Fallzahlen riefen einen eher zahnlosen Notstand aus: Karaoke und Alkoholausschank wurden eingeschränkt, Gastronomie- und Nachtlokale blieben die meiste Zeit über offen.

Impfkampagne spät gestartet

Die Impfkampagne lief holprig und spät an. Erst Mitte Februar 2021 erhielt das medizinische Personal seinen ersten Stich, die Allgemeinbevölkerung folgte ab Ende April, das Online-Anmeldesystem war daraufhin teilweise überfordert. Das Gesundheitsministerium verzögerte die Zulassung der Vakzine von Pfizer/BioNTech, Moderna und AstraZeneca mit dem Argument, in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit importierten Impfstoffen gemacht zu haben.

Tatsächlich war das Land nach dem Krieg von einigen Impfskandalen erschüttert worden. In den 1970er-Jahren beschäftigten Zwischenfälle nach Pockenimpfungen die Gerichte – und ein Jahrzehnt später musste ein Impfprogramm gegen gängige Kinderkrankheiten aufgrund von Nebenwirkungen gestoppt werden.

Seit 1994 bestehen deshalb keine Impfpflichten, sondern nur Impfempfehlungen der Regierung. Gleichzeitig wurden staatliche Subventionen für die Entwicklung und Produktion von eigenen Vakzinen ausgesetzt. Die Regierung hoffte dennoch darauf, die japanischen Pharmaunternehmen könnten in Eigenregie Impfstoffe entwickeln und herstellen.

Als sich dies als unmöglich erwies, sah sich Japan gezwungen, die benötigten Impfdosen aus dem Ausland zu importieren. Die Bürokraten im Gesundheitsministerium pochten diesmal auf eine zusätzliche Prüfung der Vakzine auf Verträglichkeit speziell in der japanischen Bevölkerung, was das Ausrollen der Impfkampagne um Monate verzögerte.

Durch die späte Immunisierung befürchten Experten, dass die japanische Bevölkerung angesichts der sich momentan ausbreitenden Omikron-Virusvariante über einen schwächeren Schutz verfügt als jene in Ländern mit früh begonnenen Impfkampagnen. Stand Anfang Februar 2022 waren knapp 80 Prozent der Menschen in Japan mindestens zweimal, aber nur vier Prozent dreimal geimpft.

Ein weiterer Grund, warum die Regierung so zögerlich auf die Pandemie reagierte, ist die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft in Japan. Die Liberaldemokratische Partei (LDP), die das Land seit knapp 70 Jahren fast ununterbrochen regiert, schuf ein System von Abhängigkeiten zwischen Politikern, Bürokraten und Industrie- und Wirtschaftslobbys, das die Politik wie wohl in kaum einem anderen Land der OECD mitbestimmen.

Nicht zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte Japans wurde angesichts einer Krise der Schutz der wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund gestellt. Mit bisher knapp 19.000 Todesfällen war die Covid-19-Sterblichkeit auf die Einwohnerzahl bezogen dennoch gut zehnmal niedriger als etwa in Deutschland oder Österreich, von den USA oder Großbritannien ganz zu schweigen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie starben in Deutschland rund 118.000 Menschen im Zuge einer Covid-19-Infektion. Das entspricht rund 1405 Todesfällen pro eine Million Einwohner. Damit gehört Deutschland hinsichtlich des Beherrschens der Pandemie bislang zu den erfolgreicheren Ländern der OECD. Zum Vergleich: Bezogen auf eine Million Einwohner starben im benachbarten Österreich 1570, in Tschechien fast 3466 Menschen, in Großbritannien 2305, in den USA 2664 und in Schweden 1523 Menschen.

Im selben Zeitraum lag diese Kennzahl in Japan bei nur 148 Todesfällen. Dies ist ein relativ zuverlässiger Parameter für die Aktivität der Erkrankung und für die Effektivität von Eindämmungsmaßnahmen, trotz der Kritik, dass die Definition eines Corona-Sterbefalles von Land zu Land unterschiedlich definiert wird (Stichwort "mit oder an Covid-19 verstorben") und dass nicht alle Verstorbenen vor ihrem Ableben auf SARS-CoV-2 getestet worden sind.

Ein weiterer harter Parameter, der relativ verlässlich anzeigt, wie stark ein Land von der Pandemie betroffen wurde, ist die Übersterblichkeit. Sie gibt Auskunft darüber, wie viele Menschen in einem Jahr mehr verstarben als im Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre.

Auch diese Kennzahl ist mit dem Fehler behaftet, dass sie nicht zwischen direkten Covid-19-Todesfällen und jenen unterscheidet, die zum Beispiel durch Verzögerung der Therapie bei einer anderen Erkrankung, bzw. etwa durch Selbstmord infolge existenzieller Sorgen oder Depression entstanden (Kollateralschäden der Anti-Covid-Maßnahmen).

Sie wird als Zahl der überzähligen Toten je 100.000 Einwohner angegeben. Hier liegt Deutschland mit 143 Toten je 100.000 Menschen im europäischen Mittelfeld. In Österreich waren es 187, in Italien 289, in Tschechien 393 und in Russland 748 Tote auf 100.000 Einwohner mehr als in den Vorjahren. In Japan liegt dieser Wert bei 16 Verstorbenen.

Deutlich weniger Intensivbetten als in Deutschland

Der enormen Belastung zum Trotz hat das deutsche Gesundheitswesen die Pandemie bisher gut gemeistert. Deutschland liegt mit 45 Ärzten pro 10.000 Einwohner weltweit unter den Ländern mit den meisten Medizinern. In Japan sind es nur 25 Ärztinnen und Ärzte. Auch bei der Zahl der Intensivbetten gehört Deutschland mit 34 Betten je 100.000 Einwohner weltweit zu den Ländern mit höchsten Kapazitäten. In Japan hingegen sind es nur fünf Intensivbetten pro 100.000 Einwohner.

Als durch die explodierenden Infektionszahlen auch die Zahl schwerer Corona-Fälle stieg, gab es in Deutschland Befürchtungen, dass die Kapazitätsgrenze dieser Abteilungen erreicht werden könnte, doch konnten letztlich Engpässe, die eine Triage der Patienten erfordert hätten, weitgehend verhindert werden. Man setzte bei leichteren Fällen vor allem auf Schnelltests und Heimquarantäne. Dadurch konnte ein Ansturm auf Krankenhäuser, wie in der Anfangsphase in Italien oder derzeit in Japan größtenteils vermieden werden.

Heimquarantäne war in Japan zunächst ein Tabuthema. Das japanische Gesundheitssystem ist sehr kliniklastig und "kundenorientiert". Einmal in Anspruch genommen, erwartet der japanische Patient eine sehr persönliche Rundumbetreuung und gutes Service.

Ein Hausärztesystem wie in den meisten europäischen Ländern ist nur teilweise etabliert, das Gesundheitssystem ist ein Flickwerk von zumeist privaten Einrichtungen, die untereinander nicht vernetzt sind, zudem hat jede Präfektur eigene Organisationsstrukturen. Andererseits sind mobile Dienste trotz schnell alternder Bevölkerung weit weniger entwickelt als etwa in Mitteleuropa. Im Gesundheitsbereich sind caritative Organisationen oder freiwillige Helfer kaum vorhanden.

Alle symptomatischen Corona-Patienten, selbst jene mit leichten Beschwerden, wurden deshalb zunächst stationär betreut. In weiterer Folge mieteten Stadtverwaltungen Hotels an, um Erkrankte mit milden Symptomen dort zu isolieren.

Als vor wenigen Wochen die ersten Omikron-Infektionsfälle auftauchten, wurden auch diese Patienten in den Krankenhäusern isoliert. Angesichts der rasch steigenden Zahlen – seit Tagen werden in Japan mehr als 100.000 neue Fälle täglich registriert – werden alle unter 50-Jährigen gebeten, sich einen Schnelltest zu besorgen und zu Hause zu bleiben. Vielerorts sind die Testkits bereits ausverkauft.

Anders als in Japan sind die meisten Krankenhäuser in Deutschland öffentlich und in großen Städten miteinander vernetzt. Während der Infektions-Peaks konnten so die Bettenkapazitäten rasch und flexibel erweitert werden, dabei übernahmen auch die privaten Krankenhäuser Patienten auf ihre Intensivstationen.

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