Jemen: neue Front im Kampf gegen den Terror
In dem korrupten Staat findet bereits ein Bürgerkrieg statt, den Islamisten kommen Mitglieder der erfolgreichen somalischen Shabab-Milizen zu Hilfe
Nach dem gescheiterten Bombenanschlag von Umar Farouk Abdulmutallab am Weihnachtstag im Airbus über Detroit ist "Al-Qaida der Arabischen Halbinsel" auf der Suche nach neuen Zielen. Man will an der US-Regierung Rache nehmen und ihr gleichzeitig eine Lektion erteilen. Vorerst wohl ein schwieriges Unterfangen. Die jemenitische Regierung hat 10.000 Soldaten mobilisiert, um das Projekt Al-Qaida zu beenden.
In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa herrscht gespannte Ruhe. Die Sicherheitsbehörden verstärkten Kontrollen am Flughafen und rund um die ausländischen diplomatischen Vertretungen. Anfang der Woche blieben die Botschaften der USA, Großbritanniens, Japans und Frankreichs geschlossen, Spanien schränkte den Publikumsverkehr ein.
Hintergrund dafür sollen sechs mit Waffen und Sprengstoff beladene LKWs gewesen sein, die die jemenitischen Sicherheitskräfte auf dem Weg in die Hauptstadt aus den Augen verloren hatten. Es wird befürchtet, Al-Qaida könnte auf altbewährte Ziele zurückgreifen und wie schon 2008 eine Botschaft ins Visier nehmen. Damals starben bei einem Doppelselbstmordattentat auf die US-Botschaft 16 Menschen. Die USA begründeten die Schließung ihrer Vertretung mit "anhaltenden Drohungen".
Mittlerweile ist die Vertretung wieder geöffnet und zwar aufgrund "erfolgreicher Antiterror-Operationen", wie die US-Botschaft erklärte. Die jemenitischen Sicherheitskräfte hätten sich am 4. Januar mit einer zu Sorge Anlass gebenden Gegend befasst und so zur Wiedereröffnung beigetragen. Gemeint ist damit eine Operation, etwa 40 Kilometer von Sanaa entfernt, bei der zwei vermutete Al-Qaida-Mitglieder getötet wurden.
Kein Wunder, dass der Jemen unter diesen Umständen in der US-Öffentlichkeit zunehmend ein negatives Image bekommt. Der Detroit-Attentäter Abdul Farouk Abdulmutallab, der dort ausgebildet sowie mit Sprengstoff ausgestattet wurde, scheint kein Einzelfall, sondern blutrünstige Islamisten sind dort offensichtlich zuhauf zu finden. Jemen ist der instabile Staat, der "regional und global eine Bedrohung darstellt", wie es US-Außenministerin Hilary Clinton formulierte. Nach Irak, Afghanistan und Somalia erscheint er als neue Front im Krieg gegen den Terror. "Da geht es doch um amerikanische Konsumgewohnheiten", klärt der jemenitische Publizist Abdulghani Al-Iryani schmunzelnd auf. "Die neue Terrorfront wird Primetime gerecht serviert und verkauft."
"Die Islamisten sind heute ins politische System des Landes eingebettet"
Tatsächlich ist Beziehung von Al-Qaida und Jemen nichts Neues. Im Oktober 2000 wurde im Hafen von Aden die USS Cole durch Bombenanschlag schwer beschädigt und 17 Seeleute getötet. Im gleichen Monat folgte ein Attentat auf die Britische Botschaft. Zwei Jahre später wird der französische Supertanker Limburg getroffen. Im September und im Oktober 2008 erfolgt eine ganze Reihe von Anschlägen auf Polizei-, Tourismus- und diplomatischen Einrichtungen. Darunter ist auch die US-Botschaft.
Religiösen Beistand aus dem Jemen gab der ehemalige US-Imam Anwar al-Awlaki über das Internet an Nidal Malik Hasan, dem US-Major und Psychiater, der am 9. November in Texas auf der Militärbasis, Fort Hood, 13 Menschen tötete. Umar Farouk Abdulmutallab soll auch mit diesem Geistlichen in Kontakt gestanden haben, der bereits zwei der Attentäter vom 11.September in New York betreute. In Guantanamo warten knapp 100 jemenitische Häftlinge auf eine Rückführung in ihr Heimatland.
Als im Nachbarland Saudi-Arabien die Behörden in den letzten Jahren das dortige Terrornetwerk zerschlugen, wurde Jemen zum Rückzugsgebiet der militanten Islamisten. Besonders in den ländlichen Gebieten der Stämme liegt ihr Rückhalt. Dort gibt es kaum oder gar keine staatliche Präsenz. Klanführer bestimmen das Leben ("Wir sind bewaffnet, Analphabeten, hungrig und zornig").
"Die Islamisten sind heute ins politische System des Landes eingebettet", erklärt der jemenitische Publizist Abdulghani Al-Iryani gegenüber Telepolis. "Da gibt es vielerlei Verbindungen." Eine davon ist Ali Mushin Al-Ahmar, wie Nadia Al-Sakaf, die Chefredakteurin der Tagszeitung Yemen Times Telepolis berichtet. "Er ist entfernt mit dem Staatspräsidenten verwandt." Al-Ahmar ist der Militärkommandeur von Nordwestjemen, angeblich bekannt für seine extremen religiösen Ansichten und seine Beziehungen zu Al-Qaida. Al-Ahmar soll für das Training von Dschihadisten im Jemen verantwortlich sein, bevor sie nach Afghanistan und in den Irak geschickt werden.
Namen oder Personengruppen zu nennen, die mit Al-Qaida sympathisieren oder sie unterstützen, kann im Jemen ein gefährliches Unterfangen sein. Wie weit diese Einbettung ins System geht, hält man sich also besser bedeckt.
Der Krieg hat schon vor dem gescheiterten Anschlag begonnen
Der Attentatsversuch an Weihnachten in den USA war eines der spektakulärsten Unternehmen von "Al-Qaida der Arabischen Halbinsel". Ein Anschlag, der nach mehreren Morden und Entführungen von Touristen im Laufe dieses Jahres große internationale Wellen schlug und das Fass nun zum Überlaufen brachte. "Die jemenitische Regierung musste reagieren", erklärt Abdulghani Al-Iryani, der auch als politischer Berater arbeitet. "Der Krieg gegen Al-Qaida ist unausweichlich." Begonnen hatte dieser jedoch bereits vor der Bombe von Umar Farouk Abdulmutallab im Flugzeug über Detroit.
Am 17. Dezember bombardierte die jemenitische Luftwaffe vermeintliche Al-Qaida-Trainingslager in der Nähe der Hauptstadt Sanaa sowie in der Region Abyan und Arhab. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden 34 Kämpfer getötet und 30 verhaftet. Lokale Quellen sprechen dagegen von 45 zivilen Opfern alleine in Abyan. "Insgesamt wurden 45 Frauen und Kinder sowie mehr als 1000 verschiedene Tiere der Beduinen von Haidarah al-Ambor getötet", beklagte sich Mukbel Mohammed Ali al-Ambori, Mitglied des lokalen Rats in einem Telefoninterview. "Bei uns gibt es kein Trainingslager, Al-Qaida findet man in Sanaa und Aden. Warum wird hier bombardiert?" Die Autopsie der Behörden habe allerdings ergeben, dass 12 der Toten als Al-Qaida-Mitglieder auf der Fahndungsliste gestanden hatten.
Riskante Unterstützung der jemenitischen Regierung durch den Westen
Bei den Angriffen der jemenitischen Armee sollen die USA nicht nur logistische Unterstützung geliefert, sondern auch selbst Cruise Missiles eingesetzt haben. Entsprechend reagierte Al-Qaida in ihrer Erklärung kurz nach dem Bekanntwerden des fehlgeschlagenen Flugzeugattentats in Detroit. "Wir sagen dem amerikanischen Volk, da ihr die Führer unterstützt, die unsere Frauen und Kinder töten, kommen wir, um euch hinzuschlachten und werden ohne jegliche Vorwarnung zuschlagen. Die Rache ist nahe."
"Die militärische Unterstützung der USA ist kontraproduktiv", meint Abdulghani Al-Iryani. Besonders, wenn es dabei zivile Opfer gäbe. "Das bringt den Extremisten nur Sympathien und neue Rekruten." Mit militärischem Einsatz allein erreiche man wenig. Man müsse die Bedingungen bekämpfen, die Terrorismus erst möglich machen. Es müsse gleiches Recht für alle gelten, man brauche Bildung und ökonomische Reformen. "Vor allen Dingen muss aber die Korruption bekämpft werden, die im Jemen unvorstellbar ist." Tatsächlich liegt Jemen im Korruptionsindex von Transparency International für das Jahr 2009 abgeschlagen auf Platz 154 von insgesamt 180 Ländern.
Für die nächsten drei Jahre haben die USA 121 Millionen Dollar an Hilfsgeldern versprochen. Großbritannien will von 2009 bis 2011 105 Millionen Pfund zahlen. Viel wird davon jedoch nicht in sozialen und kulturellen Projekten landen, sondern in den Militärhaushalt fließen, wenn nicht wie üblich in privaten Taschen versickern. Zusätzliche Finanzhilfe kann es geben, wenn eine internationale Jemen-Konferenz zustande kommt, zu der der britische Premierminister, Gordon Brown, bereits aufgerufen hat.
Die Frage ist nur, ob sie noch rechtzeitig stattfindet, um den Jemen aus der Krise zu bringen. Seit August 2009 bekämpft die Regierung im Norden die schiitischen Houthi-Rebellen (Der Krieg in Jemen eskaliert). Im Süden rebelliert die Bevölkerung und fordert die Abspaltung als eigenständiger Staat. Dazu jetzt noch eine Konfrontation mit Al-Qaida, der obendrein islamistische Bruderhilfe von den somalischen Shabab-Milizen versprochen wurde, die dort seit einem Jahr erfolgreich die Übergangsregierung von Präsident Scheich Ahmed bekämpfen. "Somalische Kämpfer sind bereits hier", versicherte ein Politiker aus Sanaa, der unerkannt bleiben will. "Sie fungieren als Leibwächter von religiösen Führern, sind aber auch in Scharmützel mit Regierungstruppen verwickelt gewesen."