Jetzt amtlich: Rechtsextremist leitete sechs Jahre lang deutschen Inlandsgeheimdienst

Hatte von 2012 bis 2018 die Definitionsmacht über Extremismus in Deutschland: Hans-Georg Maaßen. Hans-Georg_Maa%C3%9Fen.jpg:Foto: Elekes Andor / CC-BY-SA-4.0

Ex-BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen wird beobachtet. Von der Behörde, die er einst leitete. Schützte er in seiner Amtszeit wirklich die Verfassung?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat seinen Ex-Chef Hans-Georg Maaßen als Rechtsextremisten abgespeichert und beobachtet ihn.

Dies ergaben nicht nur Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste und des Nachrichtenportals t-online: Maaßen veröffentlichte auf seiner Internetseite am Mittwochnachmittag selbst einen Bescheid des BfV – die Antwort seiner Ex-Behörde auf ein Auskunftsersuchen seines Anwalts, der wissen wollte, welche Informationen über seinen Mandanten gespeichert wurden.

Maaßen wollte Deutschland schmerzhafte Operationen verordnen

Neben lobenden Erwähnungen Maaßens durch bekannte Rechtsextremisten sind auf den rund 20 Seiten auch einige Äußerungen des Ex-Geheimdienstchefs selbst aufgelistet.

Unter der Überschrift "Chemotherapie für Deutschland" hatte Maaßen im November in der Schweizer Weltwoche Migration mit Krebsgeschwüren gleichgesetzt und "schmerzhafte Operationen" zur Rückabwicklung des Zuzugs gefordert: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies nicht mehr mit Pülverchen und Mistel-Therapie möglich ist."

Radikaler als AfD und Identitäre?

Das rechtsextreme Compact-Magazin schrieb daraufhin, er habe "einen Ton angeschlagen, den sich noch nicht einmal AfD-Politiker getrauen würden".

Tatsächlich übertreffen Maaßens Äußerungen in der Weltwoche an Schärfe sogar die bisher bekannten wörtlichen Zitate vom Potsdamer Treffen zwischen AfD-Politikern, ultratrechten Identitären und Unternehmern, das vom Recherche-Netzwerk-Correctiv ausgespäht wurde. Dort hatte der Indentitäre Martin Sellner von "maßgeschneiderten Gesetzen" zur Umsetzung der "Remigration" gesprochen.

Der Ex-Geheimdienstchef sieht überall Sozialisten

Das BfV hat zudem öffentliche Äußerungen von Maaßen aufgelistet, die davon zeugen, dass er glaubt, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) wollten den Sozialismus einführen.

Nichts davon scheint Maaßen peinlich zu sein – vielmehr wirft er Faeser auf der Plattform X einen Missbrauch des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung politischer Gegner vor. Konkret meint er den Verein Werteunion, mit dem er eine Parteigründung anstrebt, nachdem in der CDU ein Ausschlussverfahren gegen ihn angestrengt wurde.

Missbrauch des Verfassungsschutzes: Spricht er aus Erfahrung?

Andere fordern schon seit Monaten einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der klären soll, inwieweit Maaßen die Behörde in seiner sechsjährigen Amtszeit von 2012 bis 2018 selbst politisch instrumentalisiert hat.

Eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom 29. August 2023 trägt die Überschrift "Amtsführung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen".

Verdacht: Schützende Hand über Reichsbürger im Geheimdienst

Unter anderem wollen sie wissen, ob es in seiner Amtszeit Hinweise auf Angehörige der extrem rechten oder der Reichsbürger-Szene unter den Beschäftigten des BfV gab, nach denen "keine disziplinarischen oder sonstige Maßnahmen ergriffen wurden", weil Maaßen sich für diese Mitarbeiter einsetzte.

Laut Antwort der Bundesregierung sind ihr zwar derartige Fälle nichts bekannt – sechs von insgesamt 13 weiteren Fragen wollte sie aber aufgrund des "unzumutbaren Aufwands" nicht beantworten. Darunter zum Beispiel die Frage, ob es "Hinweise auf Aktivitäten eines ausländischen Nachrichtendienstes" gab, "denen auf Weisung des damaligen BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen nicht nachgegangen wurde".

Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, verdächtigte Maaßen Anfang September der "Konspiration mit der AfD" und des Geheimnisverrats.

Nach NSU-Skandal: Mit Maaßen sollte alles besser werden

Dabei sollte mit ihm an der Spitze des BfV vorgeblich alles besser werden, nachdem sein Vorgänger Heinz Fromm wegen des NSU-Skandals und der V-Mann-Aktenvernichtung "Operation Konfetti" seinen Hut nehmen musste.

In Zeiten der Großen Koalition war Maaßen seine Noch-Partei CDU unter Kanzlerin Angela Merkel für seinen Geschmack zu liberal geworden – vor allem ihr Umgang mit der sogenannten Flüchtlingskrise passte ihm nicht, das hatte er sich gegen Ende seiner Amtszeit auch anmerken lassen.

In einer Abschiedsrede als BfV-Präsident vor europäischen Kollegen in Warschau hatte sich Maaßen dann als Opfer von "linksradikalen Kräften in der SPD" dargestellt – nachdem ihn ein Bundesinnenminister mit CSU-Parteibuch in den einstweiligen Ruhestand geschickt hatte.

Wann begann Maaßens Radikalisierung?

Für diejenigen, die jetzt einen Untersuchungsausschuss fordern, stellt sich aber auch die Frage, ob Maaßens Rechtsentwicklung wirklich erst in der Mitte seiner Amtszeit eingesetzt hat, als 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen.

In seiner Doktorarbeit "Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht" hatte der Jurist in den 1990er-Jahren über Möglichkeiten geschrieben, das Asylrecht weiter einzuschränken – obwohl es gerade erst eingeschränkt worden war und die Flüchtlingszahlen nach unten gingen.

Vom Asylrecht hält er schon lange wenig

"Das, was Asylrecht in Europa heute kennzeichnet, ist sein Missbrauch", befand er damals und schrieb von "unkontrollierter Einwanderung", "sogenanntem Asyltourismus" und einer steigenden Ausländerkriminalität. Seiner Karriere war das keineswegs abträglich.

Den aktuellen Berichten zufolge ist er nun im nachrichtendienstlichen Informationssystem des Verfassungsschutzes im Bereich Rechtsextremismus gespeichert und gilt damit auch als Beobachtungsobjekt.