Joe Bidens Rückzug und die Demokratie: Haben Parteien so wenig gutes Personal?

Doppelporträt Donald Trump und Joe Biden. Joe Biden ist verschwommen.

Bild: Muhammad Alimaki / Shutterstock.com

Nur zwei Kandidaten für 335 Millionen Menschen? Das Problem ist das Wahlsystem. Politik müsste weg vom Personenkult. Alternativen? Ein Einwurf.

Amtsinhaber Joe Biden hat sich von der erneuten Präsidentschaftskandidatur zurückgezogen, "im besten Interesse meiner Partei und unseres Landes" – nur vier Monate vor der Wahl am 5. November 2024.

Über seine mentale Eignung wurde schon lange hitzig diskutiert, der Schritt wurde gerade auch medial herbei gewünscht (vor allem natürlich von Anhängern der Demokraten bzw. Trump-Widersachern).

Zwei Kandidaten, eine Wahl: Ist das wirklich Demokratie?

Dabei stand schon viel länger eine viel grundsätzlichere Frage im Raum: Wie kann es sein, dass für die politische Führung der größten Macht des sog. Westens überhaupt nur zwei Personen zur Auswahl stehen? Und wie kommt es zu diesen beiden Kandidaten?

Für die USA wird dies mit dem dort gültigen Mehrheitswahlrecht begründet, das in allen wesentlichen Bereichen zu einem Zwei-Parteien-System führt. Gewählt ist in solchen Systemen, wer die Mehrheit der Stimmen bekommt - alle anderen gehen leer aus, anders als beim Verhältniswahlrecht.

Deshalb sitzen in Kongress und Senat der Vereinigten Staaten nur Vertreter von zwei Parteien: Republikaner und Demokraten. Zwar gibt es auch dort eine Grüne Partei, doch da sie bisher nirgends eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen kann, stellt sie auch keine Abgeordneten und Senatoren.

Über die Präsidentschaftskandidaten der beiden Parteien entscheiden ihre Anhänger in den sogenannten Vorwahlen (Primaries), in deren Verlauf nach und nach Kandidaten aufgeben, wenn sie keine Chancen auf ihre Kür am Ende des Prozesses mehr sehen.

Warum nur einen Besten nehmen?

Dennoch bleibt die Frage, ob mit egal welchen Wahlverfahren eine sinnvolle bzw. demokratisch akzeptable Vorsortierung getroffen werden kann, die im Ergebnis zu genau zwei Kandidaten führt – bei immerhin 335.000.000 Einwohnern.

Wenn diese beiden, Joe Biden und Donald Trump, "die Besten" sein sollten, die sich in einem Land finden lassen, könnte man auf eine Entscheidung zwischen diesen vielleicht gleich ganz verzichten: Warum nur einen Besten nehmen, wenn man zwei bekommen könnte? Denn ein bisschen von beiden zu nehmen, ist schließlich nicht vorgesehen.

Warum sollten sich dann diese zwei Kandidaten nicht für jede Einzelentscheidung einigen müssen?

Dieser Gedanke gilt natürlich als verrückt, schließlich können sich beide Seiten gegenseitig nicht ausstehen. Es gibt nur Schwarz oder Weiß, Grautöne sind nicht zugelassen. Der Beste soll es richten, die anderen dürfen sich ja in vier Jahren wieder bemühen.

Wie wenig es tatsächlich um die Besten geht, zeigt jedoch gerade der Rückzug von Biden. Einige andere Namen wurden schon lange als "Ersatz" gehandelt – sie müssen also auch von den Anhängern für geeignet gehalten werden. Trotzdem ging es jedenfalls in der deutschen Presse nur um: Trump vs. Biden.

Die demokratische Auswahl

In Deutschland ist zwar das Wahlsystem anders als in den USA, die Problemlage aber gar nicht so verschieden. Seit Willy Brandt werden von Parteien Kanzlerkandidaten benannt – und das waren auch lange nur zwei, nämlich einer von der CDU/CSU und einer von der SPD, als beide sich ihrer Größe nach noch als Volksparteien verstanden und alle übrigen als Klein- oder Klientelparteien.

Entsprechend gab es dann "Kanzlerduelle" im Fernsehen, also Wortschlachten zwischen den beiden, die für das künftige, real mächtigste politische Amt antraten.

Auch hier sollten demnach aus mehr als 80 Millionen Menschen nur zwei zur Führung einer Bundesregierung infrage kommen. Inzwischen benennen zwar auch andere Parteien Kanzlerkandidaten, doch letztlich erhebt ohnehin nur die stärkste Partei einer Koalition den Anspruch auf das Amt und verpflichtet ihre Kompagnons zur Wahl (vgl. Art. 63 GG).

Die demokratische Auswahl ist demnach in den USA wie Deutschland sehr bescheiden. Dagegen, dass die Qualifikation an sich überzeugt, sprechen die zugehörigen Wahlkampagnen, die sich von Werbung für Waschmittel oder Chips nicht grundlegend unterscheiden: statt Käufern sollen eben Wähler gewonnen werden. Es zählt nicht das Argument, sondern die Parole, das Bild, der stigmatisierte Gegner.

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So wurde auch mit Joe Bidens Rückzug sofort von einflussreichen Menschen erklärt, wen sie nun unterstützten wollten, wen sie zur Kandidatur oder Wahl vorschlagen.

Dabei sollte dies nach dem Verständnis einer freien Wahl doch völlig unerheblich sein: der Souverän, die freien Bürgerinnen und Bürger, entscheiden völlig alleine, wem sie die Herrschaft über sich übertragen wollen. Da braucht es keinen Ratschlag von Ex-Präsidenten, Ex-Bewerbern, Milliardären oder Show-Stars.

US-Amerikaner demokratisch besser dran als Deutsche?

An dieser Stelle sind die US-Amerikaner trotz aller Kritik an ihrem teuren Wahlkampf vielleicht sogar demokratischer aufgestellt: Denn in Deutschland können die Bürger bekanntlich den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin gar nicht wählen.

Sie geben ihre Stimmen einer Partei und einem Wahlkreiskandidaten. Den Rest regeln dann das so zusammengesetzte Parlament bzw. die Vertreter der darin vertretenen Parteien untereinander. Kein Kandidat fürs Kanzleramt muss später auch im Bundestag zur Wahl stehen, ebenso wie in den Landesparlamenten bei der Kür des Ministerpräsidenten (oder bei der Wahl einer EU-Kommissionspräsidentin).

Vorschläge für Alternativen

Um das Angebot für solch wichtige Posten wie US-Präsidentschaft oder deutsche Kanzlerschaft zu erhöhen, gibt es viele Vorschläge. Die Direktwahl mit (beliebig) vielen Kandidaten ist einer. Das wichtigste Gegenargument hier ist jedoch wie bei jeder Personenwahl, dass die Wahlberechtigten nur über wenige Kandidaten genügend wissen werden, um sachlich zu entscheiden.

Am Ende bleibt so doch wieder nur die PR der Parteien, ein hübsches Bild oder ein wohlklingender Name (oder ein Lacher an vermeintlich falscher Stelle). Eine dünne Grundlage angesichts der weitreichenden Entscheidungen, die derzeit anstehen, bei denen es unter anderem um Krieg oder Frieden gehen wird.

Die sog. Aleatorische Demokratie, die auf Auslosung unter gleichermaßen Geeigneten statt Wahl der Besten setzt, bietet hier eine Alternative, die auch das ganze Drama um Joe Biden verhindert hätte:

Jede Partei oder sonst wie zur Aufstellung berechtigte Gruppe benennt nicht einen, sondern viele Kandidaten, die sie als geeignet für das Amt ansieht. Und die Wähler entscheiden sich für eine solche Gruppe. Wer den Job dann am Ende erhält, entscheidet das Los - da alle gleichermaßen vom "Anbieter" für geeignet gehalten wurden.

Muss dann jemand ausscheiden, etwa weil er gesundheitlich nicht mehr zur Fortführung des Amtes in der Lage ist, rückt einfach der nächste an seine Stelle, wieder per Los bestimmt. Biden hätte in diesem Pool mitschwimmen können, wäre aber jederzeit ersetzbar geblieben.

Und auch Donald Trump als derzeitiger Herausforderer hätte natürlich noch Menschen neben sich, denen die Anhänger der Republikaner zutrauen, den Job ebenso in ihrem Sinne erledigen zu können.

Sollte eine Partei oder Gruppierung nicht zehn oder zwanzig Personen finden können, denen sie aus voller Überzeugung zutraut, ihre Anliegen gut vertreten zu können, - dann steht es weit schlechter um die Demokratie, als uns der bisherige Showkampf um eine einzelne Person glauben machen will.