US-Wahl: Warum Joe Bidens Rückzug eine Wiederwahl von Donald Trump wohl nicht verhindern wird
Biden gibt auf: Zwang oder Strategie? Stehen Demokraten vor historischer Niederlage? Und welchen Beitrag leistet Kamala Harris dazu? Ein Telepolis-Leitartikel.
Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, jetzt ist die Entscheidung gefallen: Der umstrittene und viel belächelte Joe Biden zieht sich aus dem Wahlkampf zurück. Gut für ihn und gut für die Demokraten. Ob es gut für die USA und die Welt ist, wird sich zeigen. Zweifel sind angebracht.
Biden hatte am Sonntag überraschend angekündigt, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 zurückzuziehen. Der 81-jährige Demokrat erklärte in einem Social-Media-Post, es sei im besten Interesse meiner Partei und des Landes", auf eine erneute Kandidatur zu verzichten und stattdessen Vizepräsidentin Kamala Harris zu unterstützen. Ob und inwiefern diese Entscheidung tatsächlich von Biden getroffen wurde, ist fraglich.
Denn der Rückzug des 81-Jährigen erfolgt nach wochenlangem Druck aus Bidens eigenem Lager. Insbesondere nach seinem desaströsen Auftritt in der ersten TV-Debatte gegen Ex-Präsident Donald Trump Ende Juni mehrten sich die Stimmen, die Zweifel an Bidens mentaler und körperlicher Fitness äußerten. Selbst enge Verbündete und Geldgeber drängten den Präsidenten zum Rückzug und plädierten für einen Wechsel in letzter Minute.
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Und damit ist die erste Legende geboren: Biden habe sich selbst von der Kandidatur zurückgezogen. Tatsächlich scheint er zu diesem Schritt gezwungen worden zu sein. Selbst Ex-US-Präsident Barack Obama, der das Amt zweimal innehatte und deshalb nicht noch einmal kandidieren darf, hatte ihm zuletzt die Gefolgschaft verweigert. Auch andere enge Unterstützer hatten ihm in der vergangenen Woche die Gefolgschaft aufgekündigt. Es war eine kleine Palastrevolte bei den Demokraten, getrieben von der Panik der Umfragen.
Mit Bidens Rückzug rückt nun Vizepräsidentin Harris ins Rampenlicht. Die 58-Jährige wäre die erste schwarze Präsidentschaftskandidatin einer der beiden großen Parteien. Doch auch Harris hatte in der Vergangenheit mit niedrigen Zustimmungswerten zu kämpfen. Vielen Wählern gilt sie als zu unerfahren.
Angriffe von Republikanern
Die Republikaner nutzen den unerwarteten Wechsel im demokratischen Lager bereits für Angriffe. Ex-Präsident Trump, der von seiner Partei nominiert wurde, erklärte, Biden sei nie für das Präsidentenamt geeignet gewesen. Andere Republikaner forderten sogar Bidens sofortigen Rücktritt.
Doch auch wenn einige Demokraten erleichtert sein dürften, dass der angeschlagene Biden nun nicht mehr ins Rennen geht – die Nominierung von Harris ist keineswegs sicher. In den kommenden Wochen dürften sich weitere Kandidaten aus den Reihen der Demokraten melden. Namen wie der von Verkehrsminister Pete Buttigieg, Gouverneur Gavin Newsom aus Kalifornien oder auch Senatorin Elizabeth Warren sind bereits im Gespräch.
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Der Weg ins Weiße Haus ist für Harris also noch lang und steinig. Sie muss nicht nur die eigene Partei hinter sich vereinen, sondern auch unentschlossene und konservativere Wähler der Mitte überzeugen. Keine leichte Aufgabe angesichts der tiefen Spaltung des Landes. Und: Durch das Hickhack um die Kandidatur bei den Demokraten geht nun weitere wertvolle Zeit verloren.
Immerhin kann Harris auf die Unterstützung einflussreicher Parteigrößen wie der Clintons oder Barack Obamas zählen. Und sie hat den Vorteil, als amtierende Vizepräsidentin über die nötige Bekanntheit und Erfahrung zu verfügen. Allerdings muss sie sich auch von der teilweise unpopulären Politik Bidens abgrenzen.
Demokraten müssen Wähler zurückgewinnen
Vor allem die migrantische Wählerschaft in den USA hatte sich von Biden abgewandt. Einer der Hauptgründe: seine Nahost-Politik. Fraglich ist, ob sich Harris als bisherige Vizepräsidentin davon lösen kann.
Sollte Harris die Vorwahlen für sich entscheiden und im November gegen Trump antreten, wäre das ein historischer Erfolg. Noch nie wurde eine Frau - noch dazu eine Frau of Color - zur Präsidentin der Vereinigten Staaten gewählt.
Gleichzeitig wären die Erwartungen an eine Präsidentin Harris enorm. Sie müsste nicht nur die Wunden der Trump-Ära heilen, sondern auch die großen Herausforderungen unserer Zeit angehen: Klimawandel, soziale Ungleichheit, Rassismus. Keine Präsidentin vor ihr hätte ein schwierigeres Erbe anzutreten.
Ungewisse Zukunft für die Demokraten
Sollte Harris scheitern und Trump erneut ins Weiße Haus einziehen, wäre das ein schwerer Schlag für die Demokraten. Sie würden nicht nur zum zweiten Mal in Folge gegen den umstrittenen Republikaner verlieren, sondern müssten sich auch grundsätzlich hinterfragen. Hat die Partei den Kontakt zur Mehrheit der US-Amerikaner verloren? Braucht es einen radikalen Kurswechsel?
Denn den haben die Demokraten angesichts des drohenden Untergangs bisher versäumt. Biden ist auch ein Produkt der innerparteilichen Strukturen. Er wurde aufgebaut und trotz offensichtlicher Verfallserscheinungen lange verteidigt.
Dabei hatte er schon zu Beginn seiner Präsidentschaft erkennbare Aussetzer. Diese gesundheitlichen Probleme hatten zuletzt ein fast unerträgliches Ausmaß erreicht. Biden konnte kaum noch allein gehen, Treppen steigen oder nur wenige Sätze konzentriert und fehlerfrei vortragen. Dass es so weit kommen konnte, wirft grundsätzliche Fragen über die Politikfähigkeit der zweitgrößten Partei der Vereinigten Staaten von Amerika auf.
Die Einschätzungen über Harris' Chancen gehen auseinander. Nach einer Umfrage von Economist/YouGov würde Biden mit 41 zu 43 Prozent gegen Trump verlieren, während Harris mit 39 zu 44 Prozent etwas schlechter abschneiden würde. Eine Analyse von Five Thirty Eight zeigt jedoch, dass die Chancen von Harris gegen Biden mit 38 Prozent zu 35 Prozent etwas besser sind.
Selbst Michelle Obama würde laut Reuters/Ipsos-Umfrage mit 50 zu 39 Prozent besser gegen Trump abschneiden als Harris, Biden und andere potenzielle Nachfolger.
Solche einzelnen Umfrageergebnisse lassen sich beliebig fortsetzen. Fakt ist aber: In kaum einer wichtigen Umfrage würde Harris derzeit vor Trump liegen. Mit dem wahrscheinlichen Wechsel zur bisherigen Vizepräsidentin drohen die Demokraten vom Regen in die Traufe zu kommen.