Jüdische Hitler-Jugend

Die israelische Polizei hat eine Gruppe von Neonazis verhaftet

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Die jugendlichen israelischen Staatsbürger stehen im Verdacht, orthodoxe Juden, Homosexuelle, Drogenabhängige und sozial Schwache überfallen und misshandelt zu haben. Israel ist geschockt - ein Anlass darüber nachzudenken, ob Jude zu sein und gleichzeitig Rechtsextremist ein Widerspruch in sich ist.

Die acht Verdächtigen sind allesamt Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Ein neunter Mann, ein 21-jähriger Soldat der Streitkräfte, ist noch flüchtig. Die Polizei ermittelte über ein Jahr, nachdem eine Synagoge in Petach Tikwa mit Hakenkreuzen beschmiert worden war. Die Polizei fand bei den Neonazis Waffen, waffenähnliche Gegenstände und Sprengstoff, die Mitglieder hatten sich mit Keltenkreuzen tätowiert und ihre Überfälle auf Video festgehalten. Auf den Computern der Verdächtigen fanden sich Hinweise darauf, dass diese Hitlers Geburtstag in Yad Vashem feiern wollten, der Gedenkstätte und dem Museum zur Geschichte des Holocaust.

Die jetzt festgenommenen Neonazis werden vermutlich nur wegen Körperverletzung und illegalem Waffenbesitz belangt werden können, da sie keine öffentliche Propaganda betrieben haben. Es gibt kein Gesetz in Israel, das speziell Neonazi-Propaganda verbietet. Die Rechtsprechung steht in der liberalen angelsächsischen Tradition, die Redefreiheit so weit wie möglich zu schützen. Arabischstämmige Parlamentarier durften zum Beispiel ungestraft in der Knesset behaupten, Mord für die palästinensische Sache sei etwas "Nobles und Gerechtes". Erst 2002 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Verherrlichung von Gewalt und die Aufstachelung zum Rassenhass unter Strafe stellt. Laut der Tageszeitung Haaretz behauptete Arik Bunyatov jedoch, der mutmaßliche Anführer der Neonazi-Gruppe, er sei "kein Nazi". Die anderen Mitglieder haben die ihnen vorgeworfenen Taten laut Polizeiangaben teilweise zugegeben; drei sind Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren.

Unter "Rechtsextremist" assoziierte man in Israel bisher vor allem Meir Kahane, das ehemalige Mitglied der Knesset und Gründer der verbotenen Kach-Bewegung, sowie den Terroristen Baruch Goldstein, der 1994 beim sogenannten Hebron-Massaker (tinyurl.com/37zmxs) 29 Palästinenser ermordete. Die Anhänger des 1990 ermordeten Kahane und die Sympathisanten Goldsteins sind militante Rassisten, die ein Groß-Israel und die Vertreibung nicht nur der Palästinenser und Araber, sondern auch der arabischstämmigen israelischen Staatsbürger fordern.

Antisemitismus in der Tradition des christlichen Antijudaismus oder der nationalsozialistischen Ideologie sind in Israel, so sollte man meinen, unbekannt. Ähnlich wie in der DDR behauptet man jetzt, Neonazis seien aus dem Ausland importiert worden oder das Problem sei ein Resultat jugendlichen "Frusts". Vor allem die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion werden beargwöhnt, keine "richtigen" Juden zu sein und dementsprechend anfällig für neonazistische Umtriebe. In Petah Tiqwa, einer der größten Städte in Israel, wo sich die meisten neonazistischen Vorfälle ereigneten, bilden die Russischstämmigen die Mehrheit. Ivo Bocic schrieb im März 2007 in der Jungle World: "Viele Russen profitieren dabei von der israelischen Einwanderungsgesetzgebung, die seit einer Änderung des Rückkehrrechts (Law of Return) 1970 nicht nur Juden ein Aufenthaltsrecht in Israel und die Staatsbürgerschaft zubilligt, sondern auch allen, die nach den Nürnberger Rassegesetzen als Juden angesehen würden. Es reicht also, wenn ein Großvater jüdisch ist, um einwandern zu dürfen, während nach jüdischem Recht die Mutter jüdisch sein muss, um als Jude zu gelten." Seit 2002 seien über 500 antisemitische Vorfälle registriert worden, Übergriffe auf orthodoxe Juden, Vandalismus auf Friedhöfen, Schmierereien mit Nazi-Symbolen.

Im Juni 2003 ermittelte der israelische Generalstaatsanwalt gegen die Website einer "White Israeli Union", die ebenfalls von russischen Einwanderern in Israel betrieben worden sein soll (Antisemitismus in Israel). Dort wurden Juden aufgefordert, einer paramilitärischen Einheit beizutreten, deren Ziel es war, Araber, Muslime aus ehemaligen Sowjetrepubliken und ausländische Arbeiter, vor allem Asiaten, zu ermorden. Die israelische Website pogrom.org.il, die Zalman Gilichensky betreibt, hat Vorfälle mit ähnlichem Hintergrund seit den 1990er Jahren aufgeführt. Der nationalreligiöse Gilichensky, der Kronzeuge für die These, es gebe immer mehr Neonazis und rechte Skinheads in Israel, betreibt jedoch Lobbyarbeit gegen das "Law of Return" und mahnt und warnt daher aus eigenem politschen Interesse.

Die Haaretz schrieb im Mai 2003 süffisant, die Zahl der russischen Juden, die aus Israel nach Deutschland auswandern wollten, sei größer als die Zahl derjenigen, die nach Israel immigrierten. Israel hat das nur scheinbar paradoxe Problem, dass sich Ressentiments primär nicht gegen Einwanderer richten, sondern vor allem die Immigranten Vorurteile gegen "etablierte" Gruppen und Milieus der israelischen Gesellschaft haben. Das ist nicht neu und in jedem Einwanderungsland so: Sind die sozialen Grenzen scharf gezogen, bleibt wenig Hoffnung auf den gesellschaftlichen Aufstieg, werden rassistische, scheinbar "natürliche", in Wahrheit aber nur phänotypische Kategorien des Oben und Unten attraktiv.

Schafft es Israel nicht, die Immigranten zu assimilieren, droht ihm eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland - die so genannte Selbst-Ethnisierung. Es ist dann vorteilhaft, sich einer gefühlten Volksgruppe anzuschließen und deren vermeintliche Identität zu übernehmen, auch - wie in den USA - um als Minderheit in den Genuss staatlicher Minderheiten-Förderung zu kommen. Neonazis in Israel - das heißt dann zum Beispiel: Ich bin stolz, kein Jude, sondern Russe zu sein - ein neuer Albraum für die Überlebenden der Shoah.