Juncker will nicht zurücktreten

Der EU-Kommissionschef bestreitet, Alkoholiker zu sein

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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte der französischen Zeitung Le Soir am Wochenende, er werde nicht von seinem Posten zurücktreten - "vor allem nicht unter Druck". Und wenn er irgendwann aufhöre, dann werde er das machen, "ohne jemanden zu fragen", denn er sei ein "freier Mann".

Von Rücktrittsforderungen aus Polen, Tschechien und Ungarn sowie über Unzufriedenheit in anderen EU-Mitgliedsländern (über die letzte Woche unter anderem die Zeitung berichtet hatte, der er jetzt ein Interview gewährte) gab sich Juncker überrascht und meinte, es sei "niemals" erklärt worden, warum er zurücktreten solle. Einen der Gründe, die unausgesprochen im Raum schweben, sprach er im Interview jedoch direkt an: Er sei kein Alkoholiker und "küsse nicht die ganze Welt". Hintergrund sind virale Videos, die den Kommissionspräsidenten dem Anschein nach stark alkoholisiert bei dienstlichen Terminen zeigen (vgl. Hält sich Juncker?).

Der englische Komiker John Cleese nennt den EU-Kommissionspräsidenten seit diesem Video "Jean-Claude Druncker"

Gegen Polen - eines der Länder, in denen Rücktrittsforderungen laut wurden - hat Juncker ein EU-Rechtsstaatsverfahren eingeleitet und verschärft, weil die dortige Regierung die Kompetenzen des Verfassungsgerichts verändert hat. Dass dieses Verfahren mit aller Strenge verfolgt wird, hat insofern ein "Geschmäckle", als Juncker gleichzeitig von Strafen gegen Spanien und Portugal absah, obwohl die beiden Länder sehr eindeutig gegen die Stabilitätsvorschriften verstoßen. Der Tagessspiegel meinte dazu:

Wenn Schiedsrichter ein Foul sehen, sollten sie es gemäß dem Regelhandbuch ahnden. Jean-Claude Juncker ist so etwas wie der oberste Regelhüter in der EU. Die Entscheidungen, die der EU-Kommissionschef derzeit trifft, lassen ihn wie einen schlechten Schiedsrichter aussehen. […] Mit seiner […] Entscheidung, Spanien und Portugal nicht zu bestrafen, dürfte der Luxemburger den Argwohn der Osteuropäer nun noch weiter schüren.

Auch gegen Ungarn könnte Juncker ein EU-Verfahren einleiten, wenn die Regierung des Landes die Bürger am 2. Oktober darüber abstimmen lässt, ob das Land Migranten aufnimmt oder nicht. Hier beklagt sich Juncker schon vorab darüber, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán der EU-Kommission in diesem Fall "vorwerfen" werde, sie "verklage das ungarische Volk".

Risiko für Scheitern des Migrationsdeals mit Erdoğan "groß"

Die Vereinbarungen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die Juncker und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schlossen, um die Migration zu verringern, könnten dem EU-Kommissionspräsidenten zufolge nach dem Putschversuch in der Türkei und nach den Reaktionen Erdogans darauf scheitern. Das Risiko, dass dies geschieht, ist seinen Worten nach "groß". Erdoğan habe nämlich bereits mehrfach zu erkennen gegeben, dass er das Abkommen (dessen "bisherigen Erfolg" Juncker im Kurier als "fragil" bezeichnete), kündigen könne.

Als konkreten Ausschlussgrund für eine Aufnahme der Türkei nannte Juncker nicht die massenhaften Festnahmen und Entlassungen von regierungskritischen Richter, Lehrern, Militärs, Polizisten und Beamten oder die Einschränkung der Pressefreiheit, sondern nur die Wiedereinführung der Todesstrafe, über die Erdogan sein Volk entscheiden lassen will.

Strache fordert Wirtschaftssanktionen

Deutlich kritischer äußerte sich Heinz-Christian Strache, der Vorsitzende der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) am Wochenende: Er forderte in der Zeitung Österreich neben einem "sofortigen Stopp der Beitrittsverhandlungen und der Milliardenzahlungen" auch Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei, um nach den Vorgängen dort (die auf ihn "den Eindruck eines gesteuerten Fake-Putsches [machten], um endgültig die ganze Opposition auszuschalten) Druck aufzubauen, "die demokratischen Spielregeln wieder sicherzustellen".

Wenn die türkische Staatsführung 60.000 Menschen festnehmen oder suspendieren, die Pressefreiheit "unglaublich" einschränken, "einen Straßenmob [...] Lynchjustiz betreiben" lasse und "einen Krieg gegen die Kurden im eigenen Land" führe, dann sei "die rote Linie [...] längst überschritten" und eine EU-Politik, die die Einführung der Todesstrafe als 'rote Linie' sieht, "blanker Zynismus". Strache glaubt allerdings nicht, dass man auf seine Forderungen eingehen wird. Dazu sei die EU (die seiner Ansicht nach "völlig unsinnige Sanktionen gegen Russland verhängt, aber bei der Türkei wegschaut") "zu scheinheilig".

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