Junge Union fordert Zuwanderungsobergrenze
Niederbayerischer Landrat will Asylbewerber mit Bussen zum Bundeskanzleramt transportieren
Nachdem bekannt wurde, dass den Zahlen des Bundesinnenministeriums nach alleine in den letzten 40 Tagen 409.000 Asylbewerber nach Deutschland kamen, hat sich die Junge Union (JU) gestern für eine "Obergrenze für Asylbewerber" ausgesprochen, "die mit den Institutionen und Gruppen festgelegt werden muss, die vor Ort die Flüchtlingshilfe konkret leisten". Bundeskanzlerin Merkel lehnt solch einer Obergrenze bislang explizit ab. Diese Ablehnung äußerte sie auch auf dem Deutschlandtag der Jugendorganisation von CDU und CSU.
Ein Vertreter der JU Bayern forderte deshalb erstmals ganz offen, was in der Union seit Wochen hinter verschlossenen Türen debattiert oder nur sehr indirekt angeregt wird: Dass Angela Merkel wegen ihrer in der Dritten Welt als Lockruf verstandenen Äußerungen abgelöst wird, damit in Afrika und im Orient ein Gegensignal ankommt. Dass der bayerische JU-Vertreter dabei keine abseitige Einzelmeinung äußerte, zeigte sich unter anderem daran, dass EU-Kommissar Günther Oettinger auf dem Deutschlandtag sehr ausführlich vor einer "Personaldebatte" warnte.
Auch auf die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann sich Merkel der Zeitung Die Welt zufolge nur noch bedingt verlassen: Als sie letzte Woche in einer Sitzung die rhetorisch gemeinte Frage stellte: "Oder glaubt hier jemand ernsthaft, dass wir Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen können?" sollen mehrere Abgeordnete laut "Ja" gerufen und dafür demonstrativen Applaus erhalten haben.
Der argumentative Gegenwind kam angeblich vor allem von zwei ehemaligen Polizisten: Clemens Binninger und Armin Schuster. Sie sollen Merkels Alternativlos-Behauptungen mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis widerlegt und klar gemacht haben, warum Grenzkontrollen ohne Zurückweisungen nichts bringen. Mit am deutlichsten wurde dem Informanten der Welt nach der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl, der vor einer "Regierungsabwahl" warnte. Andere Teilnehmer erklärten nach der Sitzung, sie hätten "so etwas habe noch nie erlebt" und Merkel sei teilweise "regelrecht vorgeführt worden". Demonstrativ unterstützt wurde sie allerdings von dem als möglichen Nachfolger gehandelten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und vom stellvertretenden Fraktionschef Thomas Strobl, der sich vorher in der Öffentlichkeit eher als Kritiker ihrer neuen Einwanderungspolitik positioniert hatte.
Ein anderer Politiker, der Merkel öffentlich kritisiert aber politisch weiter duldet, ist der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Er hat seine Drohung, "im Notfall" vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um die Kanzlerin zur Einhaltung der Dublin-Abkommen, des Artikels 16a Absatz 2 Grundgesetz und anderer Vorschriften zu zwingen, bislang noch nicht wahr gemacht. Der bekannte Staatsrechtsprofessor Christoph Degenhart hält solch eine Klage nicht für aussichtslos, weil die einseitige Aussetzung von Verträgen und Vorschriften ein "rechtserhebliches Unterlassen" sein könnte, das die Handlungsfähigkeit Bayerns und anderer Bundesländer finanziell und anderweitig so stark einschränkt, dass diese ihren verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr nachkommen können. "Ein Rechtsstaat", so Degenhart, "kann nicht einfach die Grenzen öffnen und alle Regeln außer Kraft setzen."
Seehofer bekommt Druck von Kommunalpolitikern, die sowohl ihre Aufnahmekapazitäten als auch die ehrenamtlichen Helfer vor Ort erschöpft sehen: Der Landshuter Landrat Peter Dreier, der nicht der CSU, sondern den Freien Wählern angehört, hat deshalb einen Aufnahmestopp angekündigt: Er will neu ankommende Asylbewerber in Busse nach Berlin setzen, wo sich Merkel selbst um sie kümmern soll. In einem Brief an die Bundeskanzlerin fordert er eine Zuwanderungsbegrenzung, ohne die seiner Ansicht nach weder eine menschenwürdige, winterfeste und geordnete Unterbringung noch eine erfolgreiche Integration möglich sind.
Weiterhin ungeklärt ist, wo die Mittel für die Kosten einer Asylbewerberaufnahme ohne Obergrenze herkommen sollen: Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow hält hierfür Steuererhöhungen für unvermeidlich, "wenn die Schuldenbremse halten soll". In der Neuen Osnabrücker Zeitung regte er eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung einer Vermögensteuer an. Die Süddeutsche Zeitung hatte letzte Woche von EU-Plänen für einen "Flüchtlings-Soli" auf die Mehrwert- oder die Mineralölsteuer berichtet, die von Merkel inzwischen dementiert wurden (vgl. Link auf 46234). Der Spiegel geht dagegen unter Berufung auf interne Informationen aus dem Finanzministerium davon aus, dass das im September von Bundesfinanzminister Schäuble gegebene Versprechen, man werde den Asylbewerberansturm ohne neue Schulden bewältigen, nicht eingehalten wird.