Kämpfer fürs Gute, Kämpfer für den Profit
Seite 2: 8. Manifester Druck: Proteste und Angriffe
- Kämpfer fürs Gute, Kämpfer für den Profit
- 8. Manifester Druck: Proteste und Angriffe
- 9. Disqualifikation (in Reputation und Beruf)
- 10. Direkte (juristische) Angriffe
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Dass die "moralische Delegitimierung" den (wissenschaftlichen) Austausch sich mehr als nur verbal äußern kann, beschreibt Kostner in ihrem eigenen Beitrag zum ZfP-Buch Wissenschaftsfreiheit.
Darin erinnert sie an eine Veranstaltung zum Thema "20 Jahre Asylkompromiss" in Bremen 2012, die von "gewaltbereiten Störern aus der autonomen Szene" mit Lärm und Wurfgeschossen zum Abbruch gezwungen wurde. Die Redner um CSU-Innenminister Günther Beckstein wurden dabei als Nazis und Rassisten tituliert.
Solche Vorfälle sind nicht selten, auf der Website des Netzwerks haben die Wissenschaftler zahlreiche weitere Beispiele zusammengetragen. Eines der (medial) herausragendsten ist wohl der Protest gegen den Vortrag der Verhaltensbiologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität Berlin im Juni 2022.
Aktivisten hatten im Vorfeld zum Boykott aufgerufen, weil Vollbrechts Vortrag über zwei Geschlechter in der Biologie und ihre Mitautorenschaft am polarisierenden Welt-Gastbeitrag zur "Indoktrination" von Kindern durch ARD und ZDF als transfeindlich empfunden wurden.
Aber ist – abgesehen von der physischen Bedrohung durch die Aktivisten – der Widerspruch gegen wissenschaftliche letzte Wahrheiten nicht legitim, im Sinne Humboldts? Auch hierzu findet sich eine interessante Perspektive im ZfP-Beitrag des Wissenschaftsphilosophen Michael Esfeld1:
Von der Skepsis als Methode der Wahrheitsfindung, die die moderne Naturwissenschaft kennzeichnet, ist die intellektuelle Dekonstruktion zu unterscheiden, die das postmoderne Denken charakterisiert. Diese Dekonstruktion besteht darin, den Einsatz von Vernunft und das Erheben von Wahrheitsansprüchen als Machtansprüche zu disqualifizieren.
Von direkter Agitation abgesehen, üben Demonstranten und Aktivisten auch mittelbar einen enormen Einfluss auf die Bevölkerung (und damit die Wissenschaftler) aus, wo sie ins Zentrum der medialen Berichterstattung rücken.
Klima-Aktivisten wie die Letzte Generation oder Just Stop Oil können somit nicht nur ihrem moralischen Gebaren größeren Ausdruck verleihen, sondern publikumswirksam die Reklamation der Wissenschaft ("follow the science") inszenieren.
Besonders problematisch wird es, wenn hinter den Aktivisten eine einerseits professionalisierte, andererseits intransparente Organisation steht, die Geldgeber und deren Beweggründe verschleiert.
Man muss deshalb nicht gleich von "hybrider Kriegsführung" sprechen wie Angela Merkel 2019, dennoch sollte man sich Beispiele wie die oben genannte Solar-Allianz NTSA ins Gedächtnis rufen (siehe Teil 2), die als pseudo-zivilgesellschaftliche Bewegungen unter den Begriffen "Astroturfing" oder "Deep Lobbying" zusammengefasst werden.