Kämpfer fürs Gute, Kämpfer für den Profit
Seite 4: 10. Direkte (juristische) Angriffe
- Kämpfer fürs Gute, Kämpfer für den Profit
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Wo es um mächtige (Profit-)Interessen geht, können Wissenschaftler auch zur Zielscheibe von juristischen Angriffen werden.
Sogenannte strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung ("Slapp suits") können sich etwa gegen Umweltforscher oder Biologen richten, die aufgrund von Naturschutz-Bedenken die Interessen industrieller Unternehmen untergraben.
In (noch) selteneren Fällen können solche Klagen auch genutzt werden, um wissenschaftliche Dispute auszufechten.
So im Falle des Stanford-Klimatologen Marc Jacobson, der in einem Paper behauptet hatte, die USA könnten bis 2055 ihre Energie vollständig aus erneuerbaren Energien beziehen. Als Kritiker ihm in einer Antwort-Studie methodische Schwächen und Modellierungsfehler vorwarfen, verklagte er sie 2017 auf zehn Millionen Dollar Schadensersatz. In den USA gilt jedoch in fast allen Staaten eine Anti-Slapp-Rechtssprechung, in Europa wird noch daran gearbeitet.
Obwohl die Klage mit dem Verweis auf die Anti-Slapp-Rechtssprechung abgewiesen wurde, sprach Jacobson von einem erfolgreichen Abschreckungsbeispiel und berief sich dabei auf einen anderen Fall, der für viel Aufsehen sorgte: der des Klimawissenschaftlers Michael E. Mann.
Mann, Urheber des sogenannten Hockeyschläger-Diagramms zur Veranschaulichung der Erderwärmung und Mitautor des einflussreichen Dritten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC, hatte im Oktober 2012 Klage gegen das konservative Blatt National Review und den Koch-finanzierten kanadischen Thinktank Competitive Enterprise Institute erhoben.
Der Grund: Ein CIS-Autor warf Mann Manipulation von Daten vor, insbesondere in Bezug auf das Hockeyschläger-Diagramm. Der Prozess zieht sich bis zum heutigen Tag. Das erklärte Ziel von Mann, der auch im Fokus des sogenannten Climategate-Vorfalls stand, ist der Kampf gegen Desinformation.
Im April 2020 unterzeichnen Mann und Jacobson den offenen Brief des Dokumentarfilmers Josh Fox (Gasland), der sich für ein Verbot der von Michael Moore produzierten Dokumentation Planet of the Humans ausspricht.
Der Film setzt sich kritisch mit dem Geschäftsmodell der erneuerbaren Energien auseinander. Zwar hatten die Bemühungen zeitweise Erfolg und der Film wurde auch von der Videoplattform YouTube entfernt, auf Drängen des Autorenverbands Pen America wurde er allerdings wieder freigeschaltet. Pen sprach von "Zensur".
Angriffe gegen Wissenschaftler können noch bedenklichere Formen annehmen. 1999 berichtet die Zeitung The Australian, dass im Zuge einer Sammelklage gegen Merck eine interne Liste über Wissenschaftler veröffentlicht wurde, die sich kritisch über das – hier im Zusammenhang mit Ghostwriting (siehe Teil 1) bereits erwähnte – Schmerzmittel Vioxx geäußert hatten.
Neben den Namen fanden sich die Vermerke "neutralisieren" und "diskreditieren" auf der vom US-Sender CBS später "Abschlussliste" genannten Zusammenstellung. Die Liste deckte sich mit Zeugenberichten über Einschüchterungsversuche und Bedrohungen.
Berichte über Fälle in dieser Dimension finden sich wenige, es gibt aber mindestens einen weiteren Fall, der ein ähnlich schlechtes Licht auf die Pharma-Branche wirft. Die Union of Concerned Scientists hat ihm 2017 einen Artikel gewidmet.
Im Mittelpunkt steht das Diabetes-Medikament Avandia des Herstellers GlaxoSmithKline (GSK), für das die US-Gesundheitsbehörde FDA 2010 wegen des Risikos für lebensbedrohliche Herzerkrankungen Einschränkungen erlassen und dessen Rückruf gefordert hatte. Im Zuge einer Untersuchung des Finanzkommittees des US-Senats kam Überraschendes ans Licht3:
Ein Jahrzehnt zuvor, im Jahr 1999, hatte Dr. John Buse von der Universität von North Carolina festgestellt, dass Avandia-Anwender ein hohes Risiko für Herzerkrankungen haben, und seine Ergebnisse veröffentlicht. Daraufhin, so Buse, habe sich ein Vertreter des Unternehmens mit seinem Chef in Verbindung gesetzt, ihn der Lüge bezichtigt und gedroht, ihn zu verklagen, weil die Aktienbewertung des Unternehmens um 4 Milliarden Dollar gesunken sei.
Union of Concerned Scientists, Oktober 2017
Daraufhin sah sich Buse gezwungen, eine Stellungnahme zu verfassen, die GSK einsetzte, um die Aktionäre zu besänftigen. In dieser Stellungnahme bezeichnete Buse seine Forschungsergebnisse als "aus dem Kontext gerissen" und verwies auf eine vermeintlich mangelnde Datenlage.
Acht Jahre später erschien eine Meta-Analyse, die Buses Ergebnisse bestätigte: Avandia-Konsumenten hatten demnach eine 43 Prozent höhere Chance für Herzerkrankungen.