Kaffee: Zurecht im Höhenrausch
Kaffee ist auf den Weltmärkten teurer als je zuvor. Das hat seine Gründe und ist gut so, auch wenn gerne den Spekulanten die Schuld daran gegeben wird
Espresso, Latte, Capucchino, frisch gemahlen, to-go oder bei Starbucks: Die Kaffeemaschinen-Barbarei ist Vergangenheit. Nun gibt es Zeichen, dass auch die Barbarei des Kaffeehandels, in dem die einen trinken, die anderen verdienen und die Farmer verelenden, dem Ende zugeht. Möglich, dass die Kaffeeländer gelernt haben, aus der Kaffeesucht des Nordens Profit zu schlagen.
Es wäre ein riesiger Fortschritt, wenn die Farmer je Kilogramm Rohkaffee 1,10 Dollar erhielten, sagte Tadesse Meskela, Manager der Oromia Coffee-Farmer Cooperative Union im Dokumentarfilm Schwarzes Gold. Das war 2003: ein Pfund Kaffee kostete auf dem Weltmarkt 70 cent, Starbucks verzeichnete Rekordgewinne und Äthiopien stürzte in eine Hungerkrise. Heute kostet das Pfund etwa 2,30 Dollar - was für 2011 kein Rekord, sondern ein Tiefpunkt ist - und Äthiopien nimmt Hungerflüchtlinge aus Somalia auf.
Der Kaffeemarkt ist exemplarisch für die Asymetrie der Weltwirtschaft: Rund 100 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern leben vom Kaffeeexport in die Länder der ersten Welt, die Stabilität ihrer Volkswirtschaften hängt vom Kaffeepreis ab. Seit dem Ende des internationalen Kaffeeabkommens 1989 wird dieser vor allem an den Börsen der Konsumländer gebildet - mit der Folge, dass die Kaffeeländer im Handel mit ihrem wichtigsten Exportgut systematisch im Nachteil sind. Wenn der Kaffeepreis nun auf einem stabilen Hoch ist, könnte dies ein Hinweis auf die Normalisierung des Kaffeemarktes sein. Es könnte bedeuten, dass die Ökonomien der Entwicklungsländer tun, was sie tun sollten - sie entwickeln sich - und den Konsumländern vermehrt als gleichberechtigte Handelspartner gegenübertreten.
Alles nur Spekulantenwerk?
Die hiesigen Medien präsentieren den hohen Kaffeepreis jedoch eher als einen Ausnahmezustand, der von Ausnahme-Phänomenen verursacht wird und am besten bald wieder vorübergeht. Als bevorzugte Ursache wird genannt, was derzeit für fast alle Übel der Welt die Schuld zu tragen scheint:"Die Preise werden ausschließlich von Spekulanten getrieben", erklärte etwa Starbucks-CEO Howard Schultz in mehreren Interviews anlässlich der Starbucks-Ausweitung in Deutschland. So ist es in den meisten Artikeln zum Thema zu lesen: Spekulanten hätten sich auf Rohstoffe eingeschossen, weshalb die Preise unplausible Höhen erreichten. Die Spekulanten seien es demnach auch - soweit es Schultz beurteilen könne - die an den hohen Preisen verdienten, nicht die Farmer. Damit bleibt das Weltbild geschlossen: die Farmer sind die Verlierer, die Spekulanten die Übeltäter, und die Konsumenten, denen Starbucks für die Edel-Latte noch mehr abverlangen muss, die Betrogenen.
Dieser Deutung widerspricht José Sette, Geschäftsführer der Internationalen Kaffeeorganisation (ICO): Der Einfluss von Spekulanten, so Sette auf Anfrage, könne zwar den Preis kurzfristig aufblähen, "doch mittel- und langfristig setzen sich die Markt-Fundamentals durch. Und bei Kaffee gibt es klare Gründe für eine Preiserhöhung: Im letzten Jahrzehnt stieg der Konsum um 2 bis 2,5 Prozent, die Produktion dagegen um 1,5 Prozent." Geht es nach ihm, kann der Preis noch weiter ansteigen, da er inflationsbereinigt "noch weit entfernt von historischen Rekorden" sei.
Sette, der 50 exportierende und 35 importierende Länder vertritt, begrüßt offensichtlich den hohen Preis. Denn der werde auf den Inlandsmärkten bezahlt und komme durchaus bei den Farmern an, wenn auch zu unterschiedlichen Anteilen.
Wenn Sette, dessen Behörde die weltweite Statistik zu Kaffeeproduktion und -handel erfasst, richtig liegt, scheinen die hohen Kaffeepreise eine dauerhafte Erscheinung zu sein, von der die Produzentenländer profitieren. Äthiopien etwa nahm 2010 durch den Kaffeehandel mehr ein als jemals zuvor. Und das liegt nicht nur an der steigenden Nachfrage: Dem Land ist es gelungen, die Verhandlungsposition der Farmer nachhaltig zu verbessern.
Das Starbucks-Prinzip
Äthiopien ist extrem abhängig vom Kaffeehandel: er macht mindestens 60 Prozent des Exports aus und ist die wichtigste Devisenquelle. Als der Preis während der Kaffeekrise 2001 auf 40 cent schrumpfte und bis 2005 unter einem Dollar blieb, fehlten dem Land die Devisen, um dringend nötige Nahrungsmittel zu importieren. Die Bilder, die in "Black Gold" ausgemergelte Farmer aus Sidamo zeigten, waren erschütternd - vor allem, weil Kaffeeliebhaber zur selben Zeit für Sidamo-Bohnen mehr bezahlten als jemals zuvor. Starbucks kaufte in diesem Jahr renommierte Röstereien an, expandierte nach Südamerika und schlug seine 7225. Filiale auf, wo begeisterte Kunden den Mitarbeitern die sündhaft teuren Latte-Varianten aus den Händen rissen. Das ist das Kaffee-Paradoxon: Im Kaffeehandel sind riesige Gewinnspannen möglich - wenn man an der richtigen Stelle der Wertschöpfungskette agiert. Der Kaffee, den Äthiopien 2006/2007 für 100 Mio. Dollar exportiert hatte, wurde weltweit für etwa 2 Mrd. Dollar verkauft. Der Trick dabei ist auch als Starbucks-Prinzip bekannt: Design, Werbung und Servier-Variationen machen aus Kaffee einen Lebensstil. Eben die Latte, für die man gerne vier Euro bezahlt.
Mittlerweile hat Äthiopien von Starbucks gelernt. Getachew Mengistie, Chef des äthiopischen Büros für intellektuelles Eigentum, erklärte 2007: "Wir haben keinen Massenkaffee, sondern Spezialitätenkaffee." Äthiopischer Kaffee habe einen großen immateriellen Wert, der aber nicht ausgeschöpft werde.
Der Kaffeekrieg zwischen Äthiopien und Starbucks
Mengistie hat in London Patent- und Urheberrecht studiert. Zurück in Äthiopien setzte er sich dafür ein, den Einfluss äthiopischer Farmer auf die Bildung des Preises zu stärken: Er ließ mithilfe von Hilfsorganisationen den unter Experten weltweit geschätzten Kaffee aus den Regionen Sidamo, Harar und Yirgacheffe als intellektuelles Eigentum patentieren. Dies sollte die Nachfrage nach Kaffee aus diesen Regionen erhöhen, wodurch die Farmer bessere Verhandlungspositionen haben und "Preis-setter" anstatt "Preis-taker" sein würden.
Bei Starbucks überschritt Äthiopien damit allerdings die Grenze des selbstgesetzten Zieles, "den Kaffeefarmern zu helfen, sich eine bessere Zukunft aufzubauen". Denn der Konzern machte bereits Gewinne mit den erlesenen Bohnen aus Sidamo - er kaufte sie für etwa 80 Cent je Pfund bei den Farmern ein und verkaufte sie unter der Marke Sidamo für rund 13 Dollar.
Als Äthiopien nun Starbucks bat, die eigenen Ansprüche auf den Markennamen fallen zu lassen, reagierte der Konzern ablehnend. Starbucks setzte anschließend, ohne zunächst selbst in Erscheinung zu treten, beim US-Patentamt eine Ablehnung der Patentierung durch. Als Hilfsorganisationen jedoch öffentlich machten, dass der Konzern an der Entscheidung des Patentamtes beteiligt gewesen war, erwies sich dieses Vorgehen als PR-Selbstmord - Starbucks gab nach Äthiopien hatte den Kaffeekrieg gewonnen.
Mit erfreulichen Folgen: Das Land konnte bereits im Geschäftsjahr 2007/08 den Erlös aus Kaffee verdoppeln. Den Fortschritt dieser Erfolgsgeschichte zeigen die aktuellen Geschäftsberichte der Yirgacheffe Coffee Farmer Cooperative Union: Die Genossenschaft hat während des im Juli zu Ende gegangenen Geschäftsjahrs je Pfund Kaffee 2 Dollar eingenommen und rechnet für das folgende Jahr mit Erlösen von gut 3 Dollar je Pfund. Einen Spitzensatz von 2,60 Dollar je Pfund erreichte auch Sidamo-Kaffee 2010/2011.
Allerdings macht der Spezialitätenkaffee lediglich fünf Prozent des in Äthiopien produzierten Kaffees aus. Für die übrigen 95 Prozent ist der zweite Fortschritt des afrikanischen Landes bedeutender: die erste äthiopische Lebensmittelbörse ECX. Sie schafft einen zentralen Marktplatz für Kaffee und sorgt für transparente Preise.
Die Lebensmittelbörse ECX
Die "Ethiopian Crop Exchange" (ECX) ist das Lebenswerk von Eleni Zaude Gabre-Medhin, die in Äthiopien 2010 zur "Person des Jahres" gekürt wurde. Wie Mengistie hat die promovierte Ökonomin im Westen gelernt und kehrte mit einer Vision in ihr Heimatland zurück.
Nach Gabre-Medhin war auch die mangelhafte Finanzinfrastruktur schuld an der äthiopischen Hungerkrise 2002: Es fehlte ein Markt, an dem die Farmer ihre Produkte profitabel verkaufen konnten - und damit der Profit, den sie in produktivitätssteigernde Technologien investieren sollten. Die ECX sollte beides möglich machen und damit Gabre-Medhins Vision einer "Transformation der äthiopischen Wirtschaft in einen globalen Markt für Qualitätsgüter" verwirklichen.
Im Frühling 2008 nahm die mithilfe der Weltbank, der UN, der USAID, der CIDA, dem World-Food-Program sowie der äthiopischen Regierungspartei TPLF gegründete erste äthiopische Börse den Betrieb auf.
"1000 Tage, 1 Milliarde Dollar, kein Zahlungsausfall"
Die ECX ist zunächst ein zentraler Handelsplatz in Adis Adeba, an dem Käufer und Verkäufer einen Preis bilden - was zuvor ausschließlich an den Börsen der Konsumländern geschah. Dieser Preis wird an 20 Zweigstellen im ganzen Land sowie per SMS an die Händler und Farmer weitergeleitet, die dadurch wissen, was ihre Produkte wert sind und so eine bessere Verhandlungsposition gegenüber ausländischen Händlern einnehmen können. "Sie können national und global anstatt lokal denken und handeln", so Gabre-Medhin. Zudem stellt die ECX ein Netz von Warenhäusern bereit, die eine pünktliche Lieferung von Kaffee garantieren.
Trotz Kritik von internationalen Kaffeehändlern sowie der äthiopischen Opposition zog die ECX nach 1.000 Tagen Betrieb stolz und mit dem Slogan "1.000 Tage, 1 Milliarde Dollar, kein Zahlungsausfall" Zwischenbilanz.
Der Erfolg der ECX dürfte vor allem an Zahlen zu messen sein - und die sind für das Geschäftsjahr 2010/2011 eindeutig: Es war für die äthiopischen Kaffeeexporteure das historisch bei weitem erfolgreichste. Der Export ist nicht nur um 38 Prozent auf 196.118 Tonnen gestiegen, sondern auch es stieg auch - und das ist entscheidend für die Steigerung des Wohlstandes der Farmer - der Erlös je Pfund von durchschnittlich 1,50 Dollar auf 2 Dollar. Es scheint, als seien dies Preise, an die sich der Welthandel gewöhnen müssen.