Kafka trifft auf den Kapitalismus
Schwierigkeiten wegen der Gebühren für einen nicht vorhandenen DSL-Anschluss mit der Bürokratie
Wie viel von der Geschichte müssen Sie hören, um zu erkennen, dass es sich um die Ihre handelt?
Bitte wählen Sie im folgenden Menü. Sie müssen die Rechnungsstelle anrufen. Der Computer hätte dies machen müssen. Ich weiß nicht. Bitte bleiben Sie dran. Wen wollen Sie sprechen? Bitte bleiben Sie dran. Bitte wählen Sie im folgenden Menü.
Wir kennen das alle. Den Kampf darum, dass die zufällige Belastung unserer Kreditkartenrechnung mit 25 Dollar zusammen mit der Gebühr rückgängig gemacht wird, die sie zusätzlich erhoben haben. Zahllosen ratlosen Angestellten, die für die Kundenbetreuung zuständig sind, die Geschichte immer wieder zu erzählen - und bei dem Streit so viel Zeit zu verschwenden, dass selbst eine Entscheidung zu unseren Gunsten vor allem für Telefongebühren sorgt.
Derartige Geschichten sind es wert, erzählt und verstanden zu werden, weil sie symptomatisch dafür sind, wie die Marktbürokratie im Hintergrund scheitert. Das sieht dem teuflisch ähnlich, wenn der Totalitarismus scheitert oder wenn er, wie dies für manche verwirrten Menschen erscheint, erfolgreich ist. Und all das ist so beunruhigend wie eine Geschichte von Kafka.
Nehmen wir beispielsweise nur meinen noch immer anhaltenden Kampf mit dem Telekomunternehmen. Ich habe vor über einem Jahr einen DSL-Internetzugang bestellt. Nach einem Monat begann ich Briefe zu erhalten, die mich mit Entschuldigungen darüber in Kenntnis setzten, dass meine Wohnung nicht mit DSL ausgestattet werden kann. Ich sollte das Modem zurücksenden und warten, bis dieser Zugang für meine Wohngegend verfügbar sei. Prima.
Einen Monat später tauchte auf meiner Rechnung die Gebühr für den DSL-Anschluss auf. Ich rief die Nummer auf der Rechnung an und wurde für den Großteil des restlichen Tages weiter geleitet und wieder abgehängt. Nach einer Woche hatte ich es endlich geschafft, jemanden am Telefon zu haben, der wusste, was DSL ist.
"Aber Sie haben doch keinen DSL-Anschluss, Sir", meinte er.
"Ich weiß schon."
"Das ist die Abteilung für DSL."
"Ich weiß, ich muss aber für einen DSL-Anschluss zahlen."
"Das sollte nicht sein."
"Ja, eben."
"Gut. Was darf ich für Sie tun?"
"Nehmen Sie die Gebühr von meiner Rechnung."
"Sie müssten mit der Rechnungsstelle sprechen."
"Dort sagte man mir, ich müsse mit Ihnen sprechen."
"Ich werde Sie mit der Rechnungsstelle verbinden."
"Hier ist die Rechnungsstelle."
"Die Gebühr für einen DSL-Anschluss muss aus meiner Rechnung verschwinden."
"Sind Sie mit DSL unzufrieden?"
"Ich habe gar keinen DSL-Anschluss."
"Warum steht das dann auf Ihrer Rechnung?"
"Ich weiß es nicht."
"Lassen Sie mich das schnell bei der DSL-Abteilung überprüfen. Bitte, bleiben Sie dran."
Pause.
"Sir, Sie haben keinen DSL-Anschluss."
"Ich weiß."
"Wie stellen Sie sich dann vor, dass wir ihn wieder entfernen."
Und so ging das immer weiter. Niemand von dem Telekomunternehmen konnte sich vorstellen, warum die Rechnung ausgestellt wurde und wo das geschehen ist. Nachdem ich ein halbes Jahr lang die Firma Monat um Monat angerufen und stets wieder dasselbe Ritual durchlaufen hatte, traf ich auf Alicia.
Alicia war eine Kundenbetreuerin mit Verstand. Sie liebte ihre Firma und ihre Vorgesetzten. Sie verstand, dass mein Problem durch eine wirkliche Lösung behoben werden musste. Sie gab mir ihre persönliche Nummer und versprach, das mit mir bis zum Ende durchzufechten.
Ich habe mit Alicia fünf Wochen lang gearbeitet. Wir haben jeden Tag miteinander gesprochen und unermüdlich daran gearbeitet herauszufinden, welche Abteilung der Firma noch immer denkt, dass ich einen DSL-Anschluss habe, und warum sie das macht. Alicia brachte meinen Fall schließlich bis zum Büro des Firmenvorstands. Letztendlich wurde beschlossen, einen radikalen Schritt zu unternehmen: Mein ganzer Anschluss würde "gesäubert" und dann "wieder eingerichtet" werden. Mit diesem Prozess sei garantiert, dass alles gelöscht werde, was die Firma über mich weiß. Ich würde neu geboren werden.
Der Vorgang brauchte drei Tage. Ich konnte sogar für ein paar Stunden nicht mehr telefonieren, während mein symbolischer Tod und meine Wiederauferstehung stattfand. An einem kühlen, aber sonnigen Dienstag Morgen rief mich dann Alicia an, um mir zu sagen, dass die Operation ein voller Erfolg gewesen sei. Meine Anschlussnummer war so frisch und sauber wie ein neugebornes Baby. Und es war nirgendwo eine Spur von DSL zu sehen. Alicia und ich seufzten erleichtert zusammen, und dann verabschiedeten wir uns.
Einen Monat später erhielt ich wieder meine Telefonrechnung. Und da stand sie wieder: die Gebühr für den DSL-Anschluss. Eine Gebühr für sechs Monate, die die gesamte fiktive Zeit beinhaltete. Natürlich rief ich sofort Alicia an. Die Nummer wusste ich noch auswendig. Dieses Mal war aber nur der Anrufbeantworter dran. Ich sprach all das, was sich ereignet hat, auf die Maschine, aber Alicia rief nicht zurück. Eine Woche lang rief ich jeden Tag den Anrufbeantworter an. War sie vielleicht auf Urlaub?
Also rief ich bei der Zentrale der Firma an, um mich zu erkundigen, was mit Alicia los war. Aber dort kannte sie niemand. Sie hat nicht bei der Firma gearbeitet. Niemals.
Nach ein paar weiteren Tagen hatte sich die Ansage auf dem Anrufbeantworter verändert. Jetzt gehörte dieser zu einem Mann namens Martin, der in der Personalabteilung arbeitete. Martin erzählte mir, dass Alicia zu den Angestellten gehören musste, die bei der letzten Entlassungsrunde "gegangen" sind.
Meine neuen Freunde bei der Firma sagen, dass ich lernen soll, damit zu leben. "Ist es wirklich so schwierig, die Firma einmal im Monat anzurufen und die Gebühr löschen zu lassen?" fragen sie mich. "Schließlich müssen Sie den Anschluss doch nicht bezahlen."
Das Ziel des Spiels ist nach dieser neuen Generation von Kundenbetreuern einfach, in der neuen Umgebung der computergestützten Wirtschaft zu überleben. Diese Philosophie ist allgemein und profitabel. Wenn kurzfristige Gewinne als Ergebnis der Weigerung oder Unfähigkeit einer Firma steigen, falsch berechnete Gebühren zu erstatten, dann gibt es kaum einen Antrieb für sie, hier etwas zu tun. Da Maschinen die Entscheidungen sowieso treffen und da sie niemand bestraft, wenn sie Kunden ärgern, macht man so weiter.
Wie lange wird ein Mensch für 6, 30 oder 100 Dollar kämpfen? Jeder hat eine Preisschwelle. es geht nur darum, unterhalb dieser Toleranzschwelle des Kunden zu bleiben und sie langsam in die Höhe zu treiben. das aber führt langfristig zu einer Spirale mit immer kleineren Gewinnen. Die Kunden haben irgendwann genug und wechseln die Firmen oder vereinfachen schlicht ihre Lebensweise aus Angst, wieder ausgenommen zu werden. Wir sind darauf konditioniert, nicht mit großen Firmen umzugehen. Mit schrumpfenden langfristigen Einkünften müssen die Firmen Angestellte entlassen. Den Computern wird noch ein größerer Anteil des Umgangs mit den Kunden übertragen. Und so geht der Kreislauf weiter.
Letztendlich wird der Markt auch dies korrigieren - und selbst wenn dies bedeutet, dass er seinen Einfluss auf unser Leben verringert. Ebenso wie die bürokratischen Exzesse des Kommunismus zu so großen Mängeln führten, dass das System zusammenbrach, schaffen die entmenschlichenden Auswirkungen des Kapitalismus schließlich so schlimme Kundenerfahrungen, dass die Menschen nach Rollen suchen werden, bei denen sie keine Kunden spielen müssen.
Copyright by Douglas Rushkoff
Distributed by New York Times Special Features
Übersetzt von Florian Rötzer