Kalter Krieg am Karibikstrand?

Die geopolitischen Veränderungen in Lateinamerika beschwören das Gespenst eines kalten Krieges in der Region herauf

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Immer häufiger taucht in politischen Statements und in den Medien in Lateinamerika der Begriff des kalten Krieges auf, seitdem der Subkontinent durch Nationalisierungen der Energiereserven in Bolivien und Auflösungserscheinungen regionaler Wirtschaftsgemeinschaften einen tiefen strukturellen Wandel durchmacht. Der Schuldige dafür wurde bereits ausgemacht: Dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez wird wegen dessen konfrontativer Regionalpolitik von gemäßigten Linksregierungen in Brasilien und Chile verhalten die Verantwortung zugeschoben. Die USA dagegen setzen neben Rhetorik bereits auf handfeste Aktionen: Spionage-U-Boote und Aufklärungsflugzeuge wurden in die Karibik geschickt, um wieder Herr der Lage in ihrem jahrelang vernachlässigten Hinterhof zu werden.

Die letzten Wochen hatten es in sich in Lateinamerika. In Bolivien nationalisierte Präsident Evo Morales im Handstreich die Energiereserven des Landes ("Die Ausplünderung der Bodenschätze ist beendet"), Paraguay und Uruguay stellten den Sinn der Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR mit ihren Nachbarländern in Frage. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez kündigte an, aus der Andengemeinschaft CAN und G3 mit Mexiko und Kolumbien aussteigen zu wollen, nachdem Bogotá und Peru Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnet hatten. Fest steht: den Kontinent durchzieht derzeit ein tiefer struktureller und politischer Wandel, der ihn nicht nur politisch zu spalten scheint, sondern auch die Alarmsirenen im Weißen Haus anspringen ließ.

Washington verliert seinen traditonellen Einfluss auf die südamerikanischen Regierungen, nachdem dort in den letzten Jahren linke Strömungen an die Macht gekommen sind. Dieser zeichnete sich erstmals deutlich bei der Wahl des Vorsitzenden der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im Jahr 2005 ab, bei der sich der chilenische Linkskandidat José Miguel Insulza – promoviert von Chávez – gegen die US-Interessen durchsetzen konnte. Auch wenn die OAS schon seit Jahren nur das Image eines anscheinend vereinigten Amerikas lieferte, kann davon mittlerweile überhaupt keine Rede mehr sein.

Chávez mischt auf

Der Motor für diese Entwicklung ist zweifelsohne der venezolanische Präsident Hugo Chávez. Nicht nur hat dieser in den letzten zwei Jahren dem Ansinnen Washingtons einer riesigen amerikanischen Freihandelszone (ALCA) einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern promoviert stattdessen die alternative Version für Lateinamerika ALBA (ALBA gegen ALCA), die seit Ende April mit Evo Morales in Bolivien neben Kuba ein neues Mitglied gefunden hat. Den USA blieb daraufhin nichts weiter übrig, als in Eile einige andine Länder für ihr Vorhaben zu gewinnen. Peru und Kolumbien unterzeichneten Anfang diesen Jahres Freihandelsabkommen, deren Ratifizierung durch die Parlamente noch aussteht. Ein mögliches Abkommen mit Ecuador steht in den Sternen, nachdem dort die Regierung ein Gesetz über die Energiereserven reformiert hat (Südamerikanische Regierungen trotzen Erdölkonzernen bessere Bedingungen ab).

Chávez scheint dies jedoch nicht ohne weiteres in Kauf nehmen zu wollen, was nicht zuletzt deshalb den Begriff des Kalten Krieges aufkommen lässt. Dieser erklärte die Andengemeinschaft CAN und G3 für tot, da “das Ziel nicht im Norden liegt, sondern im Süden”. Umverblümt mischte er sich in den peruanischen Wahlkampf ein und rief die Wähler zur Stimmenabgabe für den nationalistischen Präsidentschafts-Kandidaten Ollanta Humala auf, was zu einer diplomatischen Krise mit Lima ausartete. Beide Länder zogen ihre Botschafter ab, ein Ende der Konfrontation ist nicht abzusehen. Chávez´ Ziel ist klar: nur eine Linksregierung kann verhindern, dass dort das Freihandelsabkommen in Kraft tritt.

Als diplomatischer Feuerwehrmann trat Chávez überraschend im Konflikt zwischen Brasilien und Bolivien ein. Nachdem Evo Morales die Öl- und Gasreserven für verstaatlicht erklärte und die Raffinerien des brasilianischen Ölmultis Petrobras militärisch besetzen liess, traf sich dieser mit seinen beiden Kollegen in La Paz, um dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva zu beschwichtigen. Zunächst mit Erfolg: Lula erklärte den Schachzug von Morales als “souverän”, den man akzeptieren müsse, und kündigte an, dass sich Petrobras nicht aus Bolivien zurück ziehen werde. Chavéz, der dank 20 Milliarden US-Dollar Mehreinnahmen aus dem Erdölgeschäft im letzten Jahr großzügig sein kann, bot Brasilien zwei venezolanische Gasfabriken zur Unterstützung an, um eventuelle Engpässe bei der brasilianische Gasversorgung zu verhindern.

Doch damit nicht genug der diplomatischen Tour, die Chávez allein im April vollzogen hat. Dieser traf sich zuvor bereits mit Fidel Castro und Morales auf Kuba, um der Wirtschaftsgemeinschaft ALBA Kontur zu geben und mit seinen Kollegen aus Paraguay, Uruguay und nochmals Bolivien, bei dem ein Energieabkommen abgeschlossen wurde. Chávez ist darum bemüht, gemeinsam eine Mega-Gaspipeline von Patagonien bis zur Karibik von 6.000 Kilometer Länge zu bauen, welche die Energieprobleme des Kontinents lösen soll (Pipeline für Südamerika). Zwar stellen die meisten Regierungen dieses Vorhaben als utopisch dar, doch Chávez scheint kein Vorhaben zu klein zu sein. Eines hat er bisher zumindest geschafft: den Kontinent politisch aufzumischen.

Brasilien deplatziert

Glaubte man noch vor wenigen Jahren, dass der wirtschaftliche Koloss Brasilien mit seinem gemäßigten linken Präsidenten Lula da Silva den Ton auf dem Kontinent angeben würde, hat Chávez seinen Kollegen eines Besseren belehrt. Die Vision einer südamerikanischen Kopie der Europäischen Union namens Südamerikanische Ländergemeinschaft (CSN), die Lula Ende 2004 unter dessen Führung im peruanischen Cusco mit seinen Kollegen suchte, ist obsolet geworden, nachdem Chávez seinen diplomatischen Vormarsch auf dem Kontinent begonnen hatte, um seine eigenen, radikaleren Visionen umzusetzen.

So platzte dieser Tage dem Berater für internationale Angelegenheiten von Lula letztlich der Kragen: “In Lateinamerika macht sich ein Klima des Kalten Krieges breit”, warnte Marco Aurelio García in Bezug auf die anhaltende verbale und ideologische Konfrontation zwischen Venezuela und den USA. “Unsere Politik für Südamerika und den Rest der Welt ist nicht von der Vorsilbe ´anti´ dominiert, wir sind pro”, machte sich García in klarer Anspielung auf Chávez Luft und ließ durchblicken, dass Brasilien den Einfluss von Caracas auf die Politik in Bolivien Präsident Chávez nachträgt. Auch die chilenische sozialdemokratische Präsidentin Michelle Bachelet äußerte ihre Besorgnis. “Ich will nicht in die Zeit des Kalten Krieges zurück kehren und dass wir einige Länder dämonisieren”, so Bachelet, die für mehr internationale Zusammenarbeit plädierte.

Rice: “Unsere Hilfe hat keinen ideologischen Preis”

Mit Zuckerbrot und Peitsche beginnt nun Washington auf die Situation in Südamerika zu reagieren. US-Aussenministerin Condoleezza Rice kündigte an, dass die Vereinigten Staaten sich stärker bemühen wollen, wieder “Partner” Südamerikas zu werden. Jahrelang hatte Washington den Kontinent politisch vernachlässigt, was sich etwa bei der Entwicklungshilfe abzeichnete. Unter der Bush-Administration wurde der Haushalt vom Internationalen Entwicklungshilfebüro (USAID) um 19 Prozent gekürzt. Die humanitäre Hilfe seitens der USA soll unter Rice wieder in den Vordergrund gestellt werden, um das Image aufzupolieren.

Rice stellte dabei klar, dass die Hilfe zwar keinen ideologischen Preis habe und man sowohl linken als auch rechtsorientierten Regierungen gleichermaßen die Hand reichen wolle. Doch unter einer Kondition: “Wer demokratisch gewählt wurde, muss auch demokratisch regieren”, so Rice indirekt gegenüber Chávez, dem diktatorische Züge vorgeworfen werden. Von US-Kongressabgeordneten wurde Rice dagegen vorgeworfen, sich bisher nicht um eine Verbesserung der Beziehungen zu Venezuela gekümmert zu haben. Diese konterte dagegen, dass dies unmöglich sei, da Chávez nur Beschimpfungen für US-Politiker übrig hätte. Der Umstand, dass sich Außenministerin Rice in den letzten zwei Wochen mehrfach zu Südamerika geäußert hat, macht jedoch deutlich, dass der Subkontinent wieder in den Vordergrund zu rücken scheint. Auch militärisch.

Spionage-U-Boot in der Karibik

Der Leiter der US-Geheimdienste John Negroponte sagte im April, dass verstärkt U-Boote und Aufklärungsflugzeuge zu Spionagezwecken in die Region gesendet werden sollen. “Wir verstärken uns in den Gebieten, in denen sich die Dinge seit dem Ende des Kalten Krieges für uns verschlechtert haben oder wo wir nicht präsent waren: Lateinamerika und Afrika”, erklärte Negroponte, der in Lateinamerika in der Zeit des Kalten Kriegs Botschafter in Honduras gewesen ist. So wurde das U-Boot USS Virginia für 90 Tage zu Spionagezwecken in die Karibik geschickt.

Zukünftig sollen diese Aktivitäten ausgeweitet werden. Momentan befindet sich ein 2,4 Milliarden US-Dollar teures High-Tech-U-Boot in Bau, welches in erster Mission nach Südamerika geschickt werden soll, um Handy-Gespräche abhören zu können. “Wie im Kalten Krieg”, kritisierten US-Funktionäre die hohen Kosten für die Planspiele der Bush-Administration. So soll besonders die “menschliche Spionage” auf Befehl von Bush wieder ausgeweitet werden, sprich Rekrutierung von Spionen in den jeweiligen Ländern und mehr US-Personal.

Die US-Spionage-Politik in Lateinamerika geriet in den neunziger Jahren in Verruf, nachdem enge Verbindungen von CIA-Leuten etwa zu Diktaturen in Peru und Panama offen gelegt wurden, und geriet durch den öffentlichen Druck weitgehend in die Defensive. Doch unter den neuen Gegebenheiten will Washington wieder auf dieses Mittel verstärkt zurück greifen, um die Oberhand auf dem Subkontinent zurück zu gewinnen.

Vorauskommando aus Kolumbien

Seinen stärksten – und bald vielleicht einzigen – Allierten in der Region findet Washington in dem kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe Vélez. Dieser bemüht sich seit geraumer Zeit, die diplomatischen Feuer im Sinne Washingtons zu löschen und den Diskurs zwischen Rechts und Links in der Region abzuschwächen. Um eigene diplomatische Probleme mit Venezuela zu lösen, kontaktierte Uribe in der Vergangenheit mehrfach den kubanischen Präsidenten Fidel Castro, der sich vermittelnd einschaltete, obwohl Uribe im aktuellen Wahlkampf den kolumbianischen Wählern mit der Alternative “Kommunismus oder demokratische Sicherheit” Angst einzuflößen versucht.

Erweiterte Befugnisse räumte diesem denn auch Washington ein. In der US-Finanzhilfe für Kolumbien, die überwiegend in die Militärhilfe zur Aufstandsbekämpfung fließt, war ein signifikativer Wandel fest zu stellen. Hieß es in der Begründung für die Geldzuwendungen in den Jahren zuvor, dass diese “für die Bekämpfung des Drogenhandels und der terroristischen Gruppen FARC, ELN (Guerilla) und AUC (Paramilitärs) verwendet werden”, kam dieses Jahr ein weiterer Punkt dazu: “Andere Bedrohungen für die nationale Sicherheit Kolumbiens”.

“Sprechen wir vielleicht von Venezuela? Normale Kriminalität? Strassenproteste?”, warf Adam Isacson vom Zentrum für Internationale Politik in einem Brief an den Kongress auf. Deutlich wird in jedem Fall, dass Kolumbien mehr denn je zur entscheidenden Figur für Wahington wird, was die Verteidigung der US-Interessen in Südamerika betrifft. Umso wichtiger scheint deshalb dessen Wiederwahl für Washington zu sein, die am 28. Mai ansteht. “Die Wiederwahl von Uribe würde eine Unterbrechung der Linkstendenz auf dem Kontinent markieren”, konstatiert das Council of Foreign Relations.