Kampf der Kulturen: Stoßlüften oder Luftfilter?

Untersuchung der Technischen Hochschule Mittelhessen zur Wirkung von Lüften und Luftfiltern im Klassenraum. Bild: THM

Der Präsenzunterricht an Schulen soll beibehalten werden. Manche setzen auf Technik zur Virenbekämpfung, andere auf das kostenlose Lüften alle 20 Minuten für 3-10 Minuten

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Einer der Streitpunkte derzeit ist, wie sich die Luft in Räumen so reinigen lässt, dass das Ansteckungsrisiko durch Sars-CoV-2 minimiert wird. Zur Debatte stehen Methoden des sogenannten Stoßlüftens auch im Winter, um die Viruslast der Aerosole durch häufigen Luftaustausch zu senken, oder aber der Einsatz von Technik in Form von Luftreinigern, die mit Hepa-Filtern (Schwebstofffilter/High-Efficiency Particulate Air/Arrestance) Schwebstoffe wie Viren, Bakterien, Feinstaubpartikel, Aerosole etc. Über 99 Prozent der für Partikel in der Größe von 0,3 µm werden damit abgeschieden. Zum Einsatz kommen auch Luftfilter, die mit UV-Licht Keime abtöten.

Die Situation ließe sich mit der Haltung zu Masken vergleichen. Zu Beginn der Pandemie galten sie als wenig geeignet, auch aufgrund des Mangels, dann gab es die Masken mitsamt der Theorie der Aerosol-Infektionen und sie wurden zwingend vorgeschrieben. Der Unterschied ist: Bezahlt werden die Masken im privaten Bereich und auch für die Schüler nicht vom Staat, Luftfilter müssten hingegen die Behörden bezahlen. In manchen Bundesländern gibt es dafür wie beispielsweise in Bayern finanzielle Unterstützung, aber bedingt. 37 Millionen Euro gibt es für die "die Beschaffung von CO2-Sensoren für jeden Klassen- und Fachraum und von mobilen Luftreinigungsgeräten mit Filterfunktion für Räume, die nicht ausreichend durch gezieltes Fensteröffnen oder durch eine raumlufttechnische Anlage (RLT-Anlage) gelüftet werden können". Ähnliche Programme gibt es in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Das Umweltbundesamt meint hingegen: "Nur im Ausnahmefall sinnvoll."

Es stehen sich Anhänger des Stoßlüftens und der technischen Lösung in Form von Apparaten gegenüber, wenn es etwa um den Präsenzunterricht an Schulen (oder den Aufenthalt in anderen Räumen) geht. Jetzt haben sich Bund und Länder geeinigt, erst in Hotspot-Regionen mit mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern bei den Schülern ab der 8. Klasse stärker auf Hybrid- und Wechselunterricht zu setzen.

Das Thema Luftverschmutzung wird bleiben

Für Lehrer und Eltern, die für alle Jahrgangsstufen kleinere Klassen in Pandemiezeiten - und vielleicht auch danach - fordern, mag die Alternative falsch sein, die sicherlich aktuell dem Druck auf Weiterführung des Präsenzunterrichts mit ganzen Klassen geschuldet ist, aber man wird auch bei kleinen Klassen überlegen müssen, wie man die Luft sauber hält, was ja nicht nur Viren oder Bakterien betrifft, die auch nach der Corona-Pandemie weiter vorhanden sein werden, sondern auch den CO2-Gehalt oder Feinstaub.

Man wird davon ausgehen müssen, dass die Gesundheits- und Hygienekonzepte, die im Zuge der Corona-Pandemie staatlich verordnet wurden, auch danach für andere Gefährdungen weiter geführt oder gefordert werden. Bei den alljährlich wiederkehrenden Grippewellen können wie zuletzt 2017/2018 geschätzte 25.000 Menschen, aber auch nur wenige hundert sterben. Ob Covid-19 auch jährlich wiederkehrt, ist offen. Allein durch Stickstoffdioxid sollen in Deutschland Tausende vorzeitig sterben. Weltweit sollen jährlich 4,5 Millionen Menschen aufgrund von Luftverschmutzung vorzeitig sterben, 400.000 in der EU, auch geschätzte 800.000 werden genannt, in Deutschland könnten es 13.000 vorzeitige Todesfälle sein, nach dem Umweltbundesamt auch über 40.000 jährlich.

Die Schätzungen gehen weit auseinander. Mit dem Verweis auf Luftverschmutzung wird klar, dass Lüften nicht immer die Luft sauberer machen kann. Aber die Regierungen sind in der Corona-Krise hin- und hergerissen zwischen dem kostengünstigen Lüften und der Empfehlung und Finanzierung von Luftfilterapparaten.

"Stoßlüftung um ein Vielfaches wirksamer als Luftfiltergeräte"

Unter dem Druck, die Schulen offenzuhalten und die Klassen nicht zu teilen, kommt es dann wie in Hessen etwa zu Studien, die eine Variante als die alleine seligmachende anpreisen. Unter dem Titel "Stoßlüftung um ein Vielfaches wirksamer als Luftfiltergeräte" veröffentlichte die Technische Hochschule Mittelhessen eine Untersuchung, die "in einem Klassenraum" an zwei Tagen durchgeführt wurde. Dabei wurden Aerosole in das leere Klassenzimmer bei geschlossenen Fenstern freigesetzt und dann die Wirkung des Stoßlüftens und von Luftreinigern gemessen:

Als wesentliches Resultat zeigte sich, dass die Stoßöffnung aller Fenster über drei Minuten bei Außentemperaturen von 7-11 Grad Celsius die eingebrachte Konzentration an Aerosolen bis zu 99,8 Prozent senkte. Damit erwies sich die Fensterstoßlüftung um das 10 - 80-Fache wirksamer als ein unlängst dokumentierter Einsatz der maschinellen Luftfilterung. Dabei war in demselben Klassenraum mit vier mobilen Luftfiltergeräten nach zirka 30 Minuten bei gleichzeitigem Dauerbetrieb eine Reduzierung der Konzentration um 90 Prozent festgestellt worden.

Die Leiter der Studie, die die Professoren Dr. Hans-Martin Seipp und Dr. Thomas Steffens, sagen, sie hätten mit Temperaturmessungen auch festgestellt, dass trotz Lüftens die "thermische Behaglichkeit" weitgehend aufrechterhalten werden könne. Wenn Stoßlüften aber alle 20 Minuten mit einer Dauer von 3-10 Minuten erfolgen soll, ist fraglich, ob dies die thermische Behaglichkeit im Winter und den Unterricht sowie die Konzentrationsfähigkeit fördert. Effiziente Hochleistungs-Partikelfilter würden gegenüber der kostenlosen Maßnahme viel Geld kosten - ausgegangen wird von mehr als 4500 Euro pro Gerät - und für eine erhebliche Lärmbelästigung sorgen, bei vier Geräten von 54-57 dB(A). Das ist deutlich mehr als die Höchstgrenze im Baurecht für Schulen (maximal 35 dB(A) bei Lüftungsanlagen), beim Arbeitsschutz dürfen 55 dB nicht überschritten werden.

Der Kreiselternbeirat des Wetteraukreises fand heraus, dass die Studie, was in der Veröffentlichung, aus welchem Grund auch immer, nicht erwähnt wurde, im Auftrag der hessischen Landesregierung erstellt wurde. Da könnte man schon ein Interesse vermuten. Überdies wird auf eine Schwachstelle verwiesen. Lüften senkt vorübergehend die Aerosolkonzentration im Zimmer - sollte die Außenluft gut sein -, aber sie nimmt dann immer wieder bis zum nächsten Lüften zu, während Luftfilter nach einer gewissen Zeit vielleicht die Konzentration konstant niedrig halten können. Und der Kreiselternbeirat betrachtet die von den Wissenschaftlern und der Landesregierung aufgemachte Alternative als falsch:

Es geht nicht um Lüften *oder* Filtern! Laut der Empfehlungen der Virolog:innen und Epidemiolog:innen sind Luftfiltergeräte eine sinnvolle Ergänzung des Lüftens.

Sandra Liebe-Brune

Luftreiniger sind "mit Abstand sicherste Maßnahme"

Im Oktober hatten Experimentelle Atmosphärenforschungs-Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt vier Luftfilter in Klassenräumen in Anwesenheit von Lehrern und 27 Schülern getestet und kamen zum Ergebnis: "30 Minuten nach dem Anschalten hatte der Luftreiniger 90 Prozent der Aerosole aus der Luft entfernt." Das Geräusch sei nicht als beeinträchtigend erlebt worden, wenn die Geräte nicht auf Hochtouren liefen. Luftreiniger senken nicht nur das Infektionsrisiko, sondern auch die Allergen- und Feinstaubbelastung. Die Wissenschaftler machen jedoch keine falsche Alternative auf: "Ein Luftfilter ersetzt allerdings nicht das regelmäßige Öffnen des Fensters, wodurch die CO2-Konzentration im Raum wieder gesenkt wird."

Professor Dr. Christian Kähler von der Universität der Bundeswehr München kam im September in einer Studie zu dem Schluss, "dass Luftreiniger mit H14-HEPA-Filter in Herbst und Winter gegenüber Lüften und anderen Techniken die mit Abstand sicherste Maßnahme ist, die Gesundheit der Schüler und Lehrer zu schützen" Notwendig seien aber "automatisch dekontaminierende H14-HEPA-Filter und mindestens sechs erfolgte Luftwechsel pro Stunde". Allerdings wurden nur Luftreiniger einer Firma verwendet. Kählers Haltung gegenüber dem Lüften: "Die Möglichkeit, die Virenlast im Raum durch das regelmäßige freie Lüften zu reduzieren, (werde) überschätzt. Die freie Lüftung ist physikalisch nur dann wirkungsvoll, wenn entweder ein großer Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen besteht oder der Wind vor den Fenstern weht." Und er macht darauf aufmerksam, dass es keine Korrelation zwischen der CO2-Konzentration und der Virenlast in einem Raum gibt.

Das Umweltbundesamt hingegen empfiehlt in einer Handreichung für die Kultusministerkonferenz am 15. Oktober: "Klassenräume regelmäßig alle 20 Minuten für etwa fünf Minuten bei weit geöffneten Fenstern zu lüften."

Mobile Luftreiniger können weder CO2 noch Luftfeuchte abführen. Zudem sind sie in der Regel nicht in der Lage, die Innenraumluft schnell und zuverlässig von Viren zu befreien, insbesondere in dicht belegten Klassenräumen. Deswegen sind mobile Luftreinigungsgeräte nicht als Ersatz, sondern allenfalls als Ergänzung zum aktiven Lüften geeignet.

Umweltbundesamt

Als problematisch gelten UV-C-Bestrahlungs- sowie Ionisation- oder Ozon-Entkeimungsgeräte (BfS und IRK). Es gibt freilich nicht nur den immer mit Geldausgaben-Argumentationen verbundenen Kampf zwischen den Stoßlüftern und Vertretern von Luftfiltern, sondern auch die Konkurrenz der Anbieter von Geräten und Methoden und nicht zuletzt die von Weltanschuungen.