Kampf gegen "Hass im Netz" statt Antifaschismus?
Bei Aktionstagen, die das BKA mit dieser Wortwahl ausruft, sollte genau hingesehen werden, gegen wen wie vorgegangen wird
Am 1. Dezember hat der 7. Aktionstag gegen "Hasspostings im Netz" stattgefunden. Das Bundeskriminalamt BKA vermeldete, dass die Polizeibehörden in diesem Rahmen bundesweit insgesamt 90 Maßnahmen durchgeführt hätten, darunter Hausdurchsuchungen und Vernehmungen. Diese Aktivitäten werden auch in liberalen Medien sehr positiv kommentiert. So beginnt der Journalist Martin Bernstein die Süddeutsche Zeitung ihren Bericht über den Aktionstag mit einer Verurteilung von Verschwörungsideologie und der "Radikalisierung des Pandemieleugnermilieus".
Dann wird darauf verwiesen, dass einmal im Jahr Staatsanwaltschaft und Polizei ihren Aktionstag gegen Hasspostings im Netz durchführen. Natürlich gibt es diese Maßnahmen das ganze Jahr über, weiß der Journalist. Der Aktionstag soll ein Signal dafür sein, dass die Justiz Ernst macht. Die Konsequenzen beschreibt Bernstein dann so:
Wer in Foren öffentlich hetzt oder sich durch Beleidigungen oder Drohungen strafbar macht, kann dann Besuch von der Polizei bekommen und danach erst einmal ohne Computer, Laptop oder Handy dastehen. Dafür mit einem Ermittlungs- und später einem Gerichtsverfahren. Jüngste höchstrichterliche Urteile erleichtern den Strafverfolgern inzwischen die Ahndung derartiger menschenfeindlicher Attacken.
Martin Bernstein, Süddeutsche Zeitung
Als "embedded journalist" im Kampf gegen Hass im Netz
In dieser Berichterstattung bleibt kein Raum für kritische Fragen, was bei einer liberalen Zeitung schon merkwürdig ist. Es ist sicher auch kein Zufall, dass Bernstein am Beginn seines Artikels zur Einstimmung Pandemieleugner und Verschwörungsideologie erwähnt. Dabei wird nicht weiter erklärt, ob Polizei und Justiz am 1. Dezember besonders gegen Corona-Leugner und Verschwörungsideologen vorgingen und wenn ja, warum?
Schließlich sollte nicht alles, was man politisch mit Recht ablehnt, gleich ein Fall für die Polizei und Justiz sein. Das war immerhin lange Zeit auch ein Credo von Liberalen. Doch davon findet sich in dem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung keine Spur. Vielmehr folgt dann noch eine Reportage von Martin Bernstein als "embedded journalist", der an vorderster Front mit dabei ist, wenn die Polizei gegen Hass im Netz vorgeht.
Ein Foto von Einsatzkräften, die beschlagnahmte Computer ins Polizeiauto tragen, soll noch mal deutlich machen, wie ernst es der Polizei ist mit ihren Kampf gegen den Hass im Netz. Und wer sollte was dagegen haben?
Schließlich ist schon lange bekannt, dass Rechte auch im Netz ihre "national befreiten Zonen" errichten wollen und alle bedrohen, die nicht in ihr Weltbild passen. Viele der Gruppen, die auch in der realen Welt von Rechten bedroht werden, sind auch in der virtuellen Welt in deren Visier. Natürlich ist es wichtig, sich auf allen Ebenen dagegen zu wehren.
Aber dann sollte man auch die Dinge beim richtigen Namen nennen. Es handelt sich um einen Kampf gegen faschistische, rassistische oder antisemitische Inhalte im Netz. Aber genau die Begriffe kamen eben bei der Medienarbeit der Polizei zu dem Aktionstag am 1. Dezember nicht vor. In der schon erwähnten Pressemitteilung des BKA wird gleich am Beginn auf die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke und den Anschlag auf die Synagoge in Halle genannt.
Es wird aber nicht ein einziges Mal erwähnt, dass es hierbei um faschistische und antisemitische Verbrechen handelt. Das ist kein Zufall. Durch das Reden vom "Kampf gegen den Hass" werden rechte Taten entpolitisiert. Statt von Faschismus, Rassismus, Antisemitismus wird allgemein gegen Hass agiert.
Dabei handelt es sich aber eben nicht um einen Austausch von Begriffen, mit denen man die Bevölkerung vielleicht besser erreicht. Tatsächlich reden die politischen Kreise besonders vehement vom Kampf gegen den Hass, die von Faschismus und Antisemitismus nicht reden wollen.
Das sind schließlich gesellschaftliche Kategorien, die die Frage aufwerfen, ob es nicht grundlegender gesellschaftlicher Veränderung bedarf. Wenn dagegen auf den Kampf gegen Hass rekurriert wird, dann fällt diese gesellschaftliche Komponente weitgehend weg. Es geht auch hier dann letztlich um das Verhalten von Individuen, der sogenannten Hater.
Totalitarismustheorie im neuen Gewand
Nun ist Hass durchaus keine Eigenschaft, die nur auf der politischen Rechten verortet werden kann. Immer wieder werden auch linke Gruppen und Einzelpersonen in die Hater-Ecke gestellt, wenn ihre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmte Rahmen überschreitet. So kann es passieren, dass auch Aufrufe zu Antifa-Protesten oder anderen linkspolitischen Aktivitäten unter das Hass-Verdikt fallen und so eine Totalitarismustheorie im neuen Gewand präsentiert wird.
Da ist der Hass von wo auch immer, der von der per se guten "Mitte" und den Staatsorganen bekämpft wird. Da hilft es nicht, als eine Art linker Flügel im Kampf gegen den Hass aufzutreten, sondern faschistische, rassistische, antisemitische Aktionen beim Namen zu nennen.
Genauer hinschauen – auch bei Justiz und Polizei
Zudem sollte genauer hingeschaut werden, welche Maßnahmen der Staatsapparate am 1. Dezember unter dem Label "Kampf gegen den Hass im Internet" genau durchführten. Das sollte gerade für Presseorgane eine zentrale Aufgabe sein. Wie schnell beispielsweise auch polizeikritische Inhalte ins Visier der Staatsorgane kommen, zeigte sich im Fall des Journalisten Timo Schadt, der seit Jahren zu rechten Bewegungen in Osthessen recherchiert. Er beschrieb einen Polizeibesuch vom 17. Oktober 2019 gegenüber der taz so:
Da steht jemand mit Hand an der Waffe vor meiner Tür, dahinter mehrere Polizisten in schusssicheren Westen mit blauen Gummihandschuhen.
Timo Schadt, Journalist
Schadt wird vorgeworfen, auf der Facebookseite des Netzwerks "Fulda aktiv gegen Rassismus" einen Artikel des linksliberalen Online-Magazins Belltower News verlinkt zu haben, der sich mit den Polizeischüssen auf einen afghanischen Flüchtling in Fulda befasste. Ursprünglich hatte es in dem Artikel geheißen, der damals 19-jährige Afghane sei von Polizisten mit zwölf Schüssen getötet worden. In einer Anmerkung der Redaktion wird darauf hingewiesen, dass nachträglich die Differenzierung hinzugefügt worden sei, dass nur zwei der zwölf Schüsse tödlich waren.
In dem Durchsuchungsbeschluss heißt es, Schadt habe den "unwahren Bericht" bewusst veröffentlicht, um den Eindruck zu erwecken, der Flüchtling sei von Einsatzkräften des Polizeipräsidiums Osthessen "geradezu hingerichtet worden". Schadt musste den Artikel löschen, um zu verhindern, dass seine Computer beschlagnahmt wurden. Bis heute spricht er von einer Einschüchterung und einen absolut überzogenen Einsatz. Allein ein solches Beispiel zeigt, wie notwendig ist, genau hinzusehen, wenn die Polizei gegen Hass im Internet vorgeht.
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