Kampf gegen den Kreuzzug des Westens
Osama bin Laden, der meistgesuchte Terrorist, erklärt sich und seinen Kampf
US-Präsident Bill Clinton hat vor, die Verteidigungsausgaben um mehrere Milliarden Dollar zu erhöhen, damit die US-Armee weiterhin die führende Macht in der Welt bleibt. Die Bedrohungen der Zukunft, die vom Militär und Sicherheitsexperten aufgebaut werden, sind noch vage und verschwommen. Der ausgemalte Infowar wird noch von den möglichen Risiken in den Schatten gestellt, die vom Jahr-2000-Fehler ausgehen könnten, also von Programmen, die erstaunlich kurzfristig angelegt waren, aber keineswegs als eine Art Zeitbombe Schaden zufügen wollten.
Zur Aufrüstung gehört nicht nur eine Bedrohung, sondern auch ein Feind, der ein Gesicht hat, den man als Bösen personalisieren kann. In Saddam Hussein haben die USA nach einer Reihe von anderen Schurken wie Castro oder Gaddafi ein personifiziertes Böses in einem "verbrecherischen Staat" gefunden. Auf der Seite der Terroristen gilt Usama bin Ladin derzeit als Feind Nr. 1, der das Böse verkörpert. Man fühlt sich an Phantasien aus der Zeit des Kalten Krieges erinnert, als noch James Bond die Bösewichte jagte, die mit allen technischen Mitteln auf den Untergang des Abendlandes oder gar der ganzen Welt aus und mit den besten Waffen ausgestattet waren.
Bin Ladin wird unter anderem für die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania gemacht, bei denen 224 Menschen, darunter 12 Amerikaner, getötet wurden. Um ihre Macht zu demonstrieren, schlugen die Amerikaner 13 Tage nach den Attentaten mit Raketenangriffen auf ein Lager des Multimillionärs in den Bergen Nordafghanistans und auf eine Fabrik im Sudan zurück, die angeblich Bestandteile für chemische Waffen hergestellt und an bin Ladin geliefert haben soll. Ähnlich aber wie beim letzten Militärschlag gegen den Irak blieben die Angriffe im wesentlichen ohne Wirkung und schürten womöglich nur den Haß der arabischen Welt gegen die USA weiter an. In beiden Fällen handelten die USA gewissermaßen im eigenen Auftrag als Weltpolizist und dehnten so jenseits aller internationalen Vereinbarungen die Verteidigung des eigenen Landes und der befreundeter Staaten auf die ganze Welt aus. Die innere Sicherheit der USA und der Schutz der amerikanischen Infrastruktur hören, wie Sicherheitsexperten sagen, nicht an den Grenzen des Landes auf, sondern können überall bedroht werden, gleich ob es sich um Ausbildungslager für Terroristen, vermeintliche Waffenfabriken, Botschaften oder Cyberterroristen handelt, die als bestes Beispiel von überall aus Schäden im eigenen Land bewirken können, die schlimmer als Pearl Harbor seien.
In einem kürzlich geführten Interview mit bin Laden bezichtigte dieser, wie schon Saddam Hussein, die Amerikaner der Feigheit, weil sie sich nicht dem Kampf von Mann zu Mann stellen, sondern aus der sicheren Ferne zuschlagen. Das scheint zu einer rhetorischen Floskel in der islamischen Welt zu werden, aber gleichzeitig die amerikanischen Befürchtungen von Sicherheitsexperten zu bestätigen, daß gerade die technische Überlegenheit der amerikanischen Armee, die den USA den Status einer Supermacht nach dem Zerfall der Sowjetunion sichert, zur Heraufkunft neuer Bedrohungen durch den Infowar oder durch terroristische Anschläge mit chemischen oder biologischen Massenvernichtungswaffen führt. Das alles gleicht einem Teufelskreis, den Amerikaner verstärken, wenn sie von einem "Krieg der Kulturen" sprechen und sich selbst anschicken, im Auftrag der bislang siegreichen westlichen Welt deren Ideale und ökonomischen Modelle durchzusetzen, während die Gegner der Verwestlichung die Bastion alter Religionen und Ideologien ausbauen.
Es kann einen tatsächlich schaudern lassen, wenn man allein die altertümliche, floskelreiche Sprache eines reichen Erben wie bin Ladin liest, der für sich den Sinn des Lebens darin gefunden zu haben scheint, mit seinem Geld und damit seinem Einfluß den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen zu stärken. Man wähnt sich zurückversetzt ins Mittelalter und die Zeit der Glaubenskriege. Sein Modell ist derzeit Afghanistan, das "befreite" Land, das die einstige Supermacht Sowjetunion besiegt hat und jetzt mit den Taliban zu einem gottesfürchtigen islamischen Land, wie es sein sollte, geworden ist. Kampf oder zumindest der Aufruf zum Kampf scheint sein Lebensinhalt zu sein, zumindest hat er es erreicht, mit seinem Netzwerk hinreichend weltweite Aufmerksamkeit zu erregen und so in seinem Bereich zu einem "Star" zu werden, der von Journalisten hofiert wird - schließlich gehören Medien und Terrorismus zusammen, da der Terrorismus die Spektakel für die Medienschlagzeilen liefert.
In dem Interview gibt er indirekt erstmals zu, für die Bombenanschläge gegen die amerikanischen Botschaften zumindest mitverantwortlich zu sein. "Wir haben wiederholt seit einer Reihe von Jahren Warnungen ausgesprochen. Diesen Warnungen und Aufrufen Folge leistend, fanden anti-amerikanische Bombenanschläge in einer Reihe von islamischen Ländern statt. Höchstwahrscheinlich waren diese Taten eine Folge der Warnungen und Aufrufe. Aber nur Gott kennt die Wahrheit. ... Ich verstehe die Motive der Brüder, die diese Taten des Jihad gegen die Feinde der Nation, also gegen die Amerikaner und deren Unterstützer, ausgeführt haben. ... Ehre sei Gott. Ich weiß, daß diejenigen, die ihr Leben riskiert haben, um das Wohlgefallen Gottes, geehrt und gepriesen sei Gott, zu erhalten, wirkliche Männer sind. Sie schafften es, die islamische Nation von der Schande zu befreien. Wir haben die größte Achtung vor ihnen und hegen die größte Wertschätzung für sie, und beten zu Gott, geehrt und gepriesen sei Gott, sie als Märtyrer aufzunehmen und es ihnen zu ermöglichen, für ihre Verwandtschaft zu bitten."
Weil Gott den Befehl zum Jihad gegeben habe, um die heiligen islamischen Orte zu befreien, ist auch der Tod von Unschuldigen oder sogar von Moslems bei solchen Anschlägen gerechtfertigt. Kämpfen und Töten sei Bestandteil der Religion, und die Feindschaft gegenüber den USA eine religiöse Pflicht. Auf die Frage, ob er im Besitz biologischer Waffen sei und nukleares Material zur Herstellung von Atombomben erwerben wolle, antwortete bin Laden, daß die Waffenbeschaffung zur Verteidigung der Moslems eine "religiöse Pflicht" sei. Der Feind bin Ladens ist die "Kreuzzug-Allianz, die von Amerikanern, Briten und Israelis angeführt wird." Wer sich mit den Ungläubigen einlasse, falle wie die Palästinenser vom Glauben ab.
Seine Vision scheint die Vereinigung aller Moslems in einer großen religiösen Nation zu sein, die sich von den Ungläubigen und ihren Einflüssen abschottet. Im Zeitalter des ortlosen Cyberspace werden die heiligen Orte und auch die Geographie wiederbelebt, während offenbar nur der Kampf gegen das Böse eine interne Einheit und Identität noch aufrechterhalten kann. Argumente und Rechtfertigungen, gar Visionen vom besseren Leben jenseits des Kampfes existieren anscheinend für bin Laden nicht, nur Zitate aus den Heiligen Schriften.
Eigentlich eine traurige Identität, zumal, wie bin Laden sagt, sowieso alles von Gott vorherbestimmt ist. Auf eine Aktion folgt die entsprechende Reaktion, also Blut gegen Blut. Und wenn alles Gott und der Erfüllung der Schrift unterworfen ist, selbst die eigenen Kinder dem Heiligen Krieg geopfert werden müssen, weil dies Gott so will, so ist eben ein Menschenleben nichts wert, da sein Schicksal unweigerlich feststeht.