Kampf um das Freihandelsabkommen mit den USA in Brüssel
Bei den Verhandlungen steht die EU-Kommission mit dem Rücken zur Wand. Neben der NSA-Affäre macht ihr auch ein Steuerskandal zu schaffen - und ein Machtkampf mit den EU-Staaten
The show must go on: Als wenn nichts gewesen wäre, haben die EU und die USA am Montag in Brüssel die zweite Runde ihrer umstrittenen Freihandelsgespräche begonnen. Bis Freitag wollen die Unterhändler über Dienstleistungen, Energie und Rohstoffe sowie über Investitionen reden - also über Themen von strategischer Bedeutung. Die NSA-Spionageaffäre hingegen sei "kein Thema", betonten EU-Diplomaten. Es sei schon genug Porzellan zerschlagen worden. Nun gelte es, neues Vertrauen zu schaffen.
Doch dass dies gelingt, ist mehr als fraglich. Denn die neue Runde wird nicht nur von der NSA-Affäre und immer neuen Forderungen nach einer Aussetzung der Verhandlungen überschattet. Sie wird auch von einer Steueraffäre um EU-Handelskommissar Karel De Gucht belastet (EU-Handelskommissar muss wegen Vorwürfen des Steuerbetrugs vor Gericht). Zudem treten immer deutlicher Risse innerhalb der 28 EU-Staaten sowie zwischen dem Ministerrat und der EU-Kommission zu Tage. Vor allem der geplante Investorenschutz sorgt für Streit.
Doch der Reihe nach. Das erste - und wichtigste - Problem ist immer noch das wachsende Misstrauen bei vielen EU-Bürgern und im Europaparlament. Denn das Parlament muss das Abkommen am Ende absegnen. Wegen der NSA-Affäre bröckelt jedoch die Mehrheit in der Straßburger Kammer. Ein Warnsignal war bereits das Votum im Oktober, wegen der NSA-Affäre das umstrittene Swift-Bankdatenabkommen auf Eis zu legen. Überraschend waren die Liberalen aus der Allianz mit den Konservativen ausgeschert.
Seither wittern die Kritiker des Freihandelsabkommens Morgenluft. Derzeit gibt es wohl keine Mehrheit im Europaparlament für die "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP) mehr. Dass sich die EU-Kommission über die Forderung von Parlamentschef Martin Schulz (SPD) hinwegsetzt, die Gespräche bis zur Aufklärung der NSA-Affäre auszusetzen, dürfte das Misstrauen eher noch stärken. Einzelne Abgeordnete wie die grüne Handelsexpertin Ska Keller fordern bereits, nicht nur TTIP und Swift, sondern auch die Zusammenarbeit bei den Passagierdaten (PNR) aufzukündigen - so lange, bis die Amerikaner bei NSA & Co. reinen Tisch machen.
Das zweite Problem ist die EU-Kommission selbst. Deren Präsident José Manuel Barroso hat das Freihandelsabkommen zur Chefsache gemacht, doch er verliert zusehends an Autorität. Angesichts der nahenden Europawahl im Mai 2014 haben Barroso und seine Behörde schon jetzt kaum noch etwas zu melden. Einige Kommissare machen bereits Wahlkampf in eigener Sache; zudem hat in den EU-Hauptstädten die Suche nach einem Barroso-Nachfolger begonnen.
Kann ein Kommissar, der unter dem Verdahct der Steuerhinterziehung steht, weiter die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen führen?
Dass es dem Portugiesen gelingt, das Freihandelsabkommen wie geplant bis Sommer 2014 unter Dach und Fach zu bekommen, scheint vor diesem Hintergrund fraglich, zumal nun auch noch Handelskommissar Karel Du Gucht geschwächt wurde. Am Wochenende wurde bekannt, dass sich der Belgier wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung vor Gericht verantworten muss. De Gucht soll 900.000 Euro nachzahlen; Ende November beginnt sein Prozess. Er soll Börsengewinne von 1,2 Millionen Euro verschwiegen haben.
Normalerweise wäre dies Grund genug, De Gucht von seinem Amt zu entbinden, bis die Vorwürfe geklärt sind. Schließlich hat Barroso schon bei kleineren Anlässen hart durchgegriffen. Im Sommer wurde Gesundheitskommissar John Dalli im Eilverfahren aus dem Amt gejagt, weil er allzu lockeren Umgang mit Tabaklobbyisten gepflegt haben soll. Die Korruptions-Vorwürfe wurden nie belegt. Dalli sei politisch unhaltbar geworden, redete sich Barroso damals heraus.
Ähnlich könnte er nun auch bei De Gucht argumentieren. Doch die EU-Kommission lehnt einen Vergleich beider Affären ab. "Das ist ein privater Steuerfall, der aus einer Zeit stammt, als De Gucht noch kein EU-Kommissar war", wiegelte Barrosos Sprecherin ab. Doch was passiert, wenn De Gucht rechtskräftig verurteilt wird? Kann ein überführter Steuerhinterzieher weiter die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen führen, bei dem auch Steuerfragen eine Rolle spielen? Auf diese heikle Frage weiß in Brüssel derzeit niemand eine Antwort.
Streitpunkt Investorenschutz
Der dritte Stolperstein betrifft die Investitionen. Wie schon im Freihandelsabkommen mit Kanada möchte die EU-Kommission auch im TTIP eine Klausel verankern, die Investoren das Recht auf Klagen gegen die beteiligten Staaten erlaubt. Der liberalen Ideologie zufolge soll so die "Diskriminierung" von Investoren durch nationale Gesetze verhindert werden. Doch viele EU-Staaten, darunter auch Deutschland, spielen nicht mit.
Griechenland und Ungarn fordern, den Investorenschutz aus dem Abkommen auszuklammern, da es keinen Grund für neue Regeln gebe: die Rechtssysteme in Europa und den USA seien schon jetzt vergleichbar, neue Klagerechte daher gar nicht nötig. Andere Staaten wie Deutschland stehen auf der Bremse, weil sie um bestehende bilaterale Abkommen mit den USA fürchten. Eine neue Investitionsschutzklausel könnte für Deutschland ungünstiger ausfallen als die aktuelle Rechtslage, so die Sorge in Berlin.
Offiziell sagt dies natürlich niemand. Doch das Thema ISDS - so heißen die Klauseln zum "Investor State Dispute Settlement" im Fachjargon - sorgt hinter den Kulissen in Brüssel für erhebliche Unruhe. "Es stimmt, dass einige Staaten den Investorenschutz mit Fragezeichen versehen", räumt ein hochrangiger EU-Vertreter ein. "Es gibt Zweifel daran, ob ISDS einen Mehrwert bringen wird", fügte er hinzu. Und das ist noch milde ausgedrückt.
In Wahrheit geht es nämlich um einen Machtkampf zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten - und zwischen Staaten und Konzernen. Die Kommission würde sich gern zum Wächter über den Investorenschutz im geplanten neuen Abkommen aufschwingen. Sie könnte Klagen von US-Konzernen entgegennehmen, die möglicherweise fälligen Strafen sollen hingegen die Staaten zahlen. Für die Konzerne wiederum wäre ISDS ein willkommener Hebel, missliebige nationale Sozial- und Umweltstandards zu bekämpfen - unter dem Vorwand, sie würden dabei benachteiligt.
Doch so weit ist es noch nicht. Derzeit tobt hinter den Kulissen in Brüssel noch der Kampf um die Frage, ob die EU-Kommission überhaupt ein Verhandlungsmandat zu ISDS bekommt. Bisher scheint sie bei diesem zentralen Problem nicht das Vertrauen der EU-Staaten zu genießen - vom Vertrauen der Bürger ganz zu schweigen.