Kampf um die Medien

Venezuelas Situation stabilisiert sich

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Während die venezolanischen Medien, die mehrheitlich von der rechten Opposition kontrolliert werden, das Bild eines sich nähernden Kollapses des Landes zeichnen, scheint sich die Versorgungs- und Produktionssituation zu normalisieren. Die von der OAS vermittelten Gespräche zwischen Regierung und Opposition haben bislang zu keinen Ergebnissen geführt. Es kam zu weiteren Demonstrationen beider Seiten.

Derweil ließ der zweifache venezolanische Präsident Carlos Andres Perez, der für die Niederschlagung der Armutsrevolte 1989 mit Tausenden von Toten verantwortlich war und im Hintergrund der Putschisten die Fäden zieht, aus dem Exil wissen, es sei "keine friedliche Lösung mehr möglich (...) es wird einen militärischen Ausgang als einzig möglichen geben".

Tatsächlich setzt die Opposition mittlerweile alles auf eine derartige Zuspitzung der Situation, dass die sogenannte "Demokratische Charta" der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kraft tritt, gemäß derer eine militärische Intervention zur "Wiederherstellung der Demokratie" gutgeheißen werden kann. In diesem Kontext kündigten die Abgeordneten der Opposition auch an, nicht mehr an den Sitzungen der Nationalversammlung teilzunehmen. Die Bürger wurden zu einem "totalen Widerstand" aufgerufen

Angesichts der medialen Inszenierung eines Notstandes, bis hin zu offenen Aurufen putschistischer Militärs zur Gewalt gegen Chavez und seine Anhänger über die oppositionellen TV-Sender, führen Anhänger der bolivarianischen Revolution seit Montag Kundgebungen vor allen Oppositionsmedien durch und fordern diese auf, "die Wahrheit zu erzählen". César Gaviria, der Generalsekretär der OAS warnte vor "Einschüchterungsversuchen" der Medien. Die Opposition demonstrierte hingegen vor der staatlichen Fernsehanstalt VTV.

Aktiv am "Streik" beteiligen sich vor allem transnationale Konzerne und einige Banken. Zahlreiche Unternehmen wurden von Arbeitern besetzt und wieder in Betrieb genommen. Der Streik konzentriert sich nahezu vollständig auf die Hauptstadt und ist vom ersten Tag an fehlgeschlagen. Flughäfen, Häfen, kleine und mittlere Betriebe sowie Geschäfte haben - bis auf einige große Einkaufszentren - regulär geöffnet. Auch die Lebensmittelversorgung ist sicher gestellt, selbst der Großmarkt von Caracas funktioniert und hat sich nie dem Streik angeschlossen. Gleichwohl ist es gestern offenbar zu Panikkäufen von Benzin und Lebensmitteln gekommen.

Die Blockade innerhalb der Erdölgesellschaft PDVSA ist ebenfalls kein Arbeiterausstand, sondern eine Arbeitsverweigerung der Unternehmenseliten. Im Ausstand befinden sich die Unternehmensleitung, einige Kapitäne der Öltanker, Ingenieure und Teile des oberen Verwaltungsapparats. Da sie auch die computergesteuerten Anlagen betreiben, waren die Folgen jedoch beträchtlich. Nur noch ein Viertel der normalen Erdölproduktion findet statt, die Exporte sind drastisch zurückgegangen. Die Treibstoffversorgung im Land ist aber sicher gestellt. Während die Erdölkonzerne Mobil Oil, Shell und BP ihr Tankstellennetz geschlossen haben, funktionieren alle Tankstellen der staatlichen PDV. Seit die Armee am Wochenende die Kontrolle über die Erdölraffinerien und Exportzentren übernommen hat, normalisiert sich auch dort wieder langsam die Situation.

Die Galionsfiguren der Ultrarechten, vom Gewerkschafter Carlos Ortega bis zu den putschistischen Generälen, waren seit einigen Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen. Es wurde bereits spekuliert, dass sie versuchen könnten, das Land zu verlassen. Allein das Gerücht führte dazu, dass sich Hunderte von Anhängern der "bolivarianischen Revolution" zum Flughafen von Caracas begaben, um dies zu verhindern.

Die Reaktion der Bevölkerung ist diesmal wesentlicher stärker und organisierter, als sie es noch beim vergangenen Putsch im April gewesen war. Zugleich hat die Kampagne der Opposition offenere rechtsradikale und rassistische Züge bekommen. Die ärmeren Menschen, die am Dienstag, nach tagelangen bewaffneten Angriffen der Opposition auf ihre Wohngebiete, wieder begannen, zu Zehntausenden von den Slums auf den Hängen rund um Caracas in die Hauptstadt zu kommen, um "ihre Regierung" zu verteidigen, sind zu allem entschlossen. "Wir wollten sehen, wie weit sie gehen", so ein Demonstrant, "aber wenn sie Chavez stürzen, entfesseln sie einen Bürgerkrieg."

Präsident Hugo Chavez hat zur allgemeinen Mobilisierung der Bevölkerung gegen den erneuten Putschversuch aufgerufen. Im ganzen Land sind viele Menschen unterwegs, demonstrieren ihre Unterstützung für die Regierung, besetzen Fabriken, schützen Institutionen und versuchen eine Eskalation zu verhindern. Dennoch ist keine Entspannung angesagt, denn es ist unklar, welchen Trumpf die Opposition noch aus dem Ärmel zieht, die alles auf eine Karte gesetzt haben und den Sturz der Regierung verlangen. Die Gesundheitsministerin Maria Urbaneja rief dazu auf, dass beide Seiten ihre Aktionen einstellen sollen, und erklärte, die Regierung sei nach Beendigung des Streiks bereit, über einen Termin für Wahlen zu sprechen.