Kanada: Trudeau verliert absolute Mehrheit
Konservative Opposition kommt auf mehr Stimmen aber weniger Sitze
Bei der Parlamentswahl im G-7-Land Kanada kommt Premierminister Justin Trudeaus Liberal Party nach Auszählung fast aller Stimmen mit einem Verlust von 6,47 Punkten und einem Anteil von 33,10 Prozent nur mehr auf 157 von insgesamt 338 Sitzen. Damit hat die Regierung die absolute Mehrheit verloren.
Dass nun Oppositionsführer Andrew Scheer die Regierungsgeschäfte übernimmt, ist trotzdem unwahrscheinlich: Seine Konservativen kamen zwar mit 34,40 Prozent auf mehr Stimmen als die Liberal Party, aber mit nur 121 auf weniger Sitze. Und den beiden anderen im Parlament vertretenen Parteien - der Neuen Demokratischen Partei (NDP) und dem Bloc Québécois - wird eher eine Zusammenarbeit mit Trudeau zugetraut als mit ihm. Die Grünen, die nur eine Mehrheit in drei kanadischen Wahlkreisen erlangten, reichen dem Premierminister dagegen nicht als Mehrheitsbeschaffer. Alle anderen kleineren Parteien hatten im kanadischen First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrecht keine Chance.
Der Bloc Québécois ist zurück
Der Bloc Québécois ist die Partei der französischsprachigen Separatisten, die in den Neunziger- und Nullerjahren regelmäßig auf etwa 50 Mandate im Unterhaus kam. Dass er 2011 auf zwei Sitze abstürzte, hatte auch damit zu tun, dass in diesem Wahljahr die "New Democratic Party" mit einem Sprung von 37 auf 103 Mandaten zweitstärkste Partei wurde (vgl. Oppositionswechsel in Kanada).
2015 büßte die NDP 59 dieser Sitze wieder ein, jetzt folgen weitere 20, weshalb die Partei mit 15,9 Prozent Stimmenanteilen nur noch über 24 Mandate verfügt. Der Bloc Québécois konnte sich dagegen wieder auf 32 Sitze steigern. Dass ihm dafür ein Stimmenanteil von 7,7 Prozent reicht, liegt daran, dass diese Stimmen praktisch ausschließlich aus den französischsprachigen Regionen kommen, wo er Mehrheiten in seinen alten Hochburgen zurückeroberte.
Beobachter halten die Duldung einer weiteren Trudeau-Regierung durch die NDP für wahrscheinlicher als eine durch die Separatisten, weil die mit dem vollständig ornierten Sikh Jagmeet Singh als Spitzenkandidaten eher mäßig erfolgreiche Partei der Liberal Party programmatisch näher steht als der Bloc Québécois, der dafür wahrscheinlich weitere Selbstverwaltungszugeständnisse fordern würde. Dass er auf ein neues Unabhängigkeitsreferendum bestehen wird, ist jedoch wenig wahrscheinlich: Nachdem die Québecer 1995 mit 49,42 zu 50,58 nur haarscharf scheiterten, verabschiedete die Liberal Party nämlich ein Gesetz, das für eine Sezession eine nicht klar definierte "klare" Mehrheit fordert.
Mobbing- und Korruptionsaffären
2015 war Trudeaus Partei noch auf 184 Sitze gekommen (vgl. Kanada: Befürworter einer Legalisierung von Marihuana wird neuer Premierminister). Von denen hatte sie im Laufe der Legislaturperiode sieben eingebüßt, lag mit verbleibenden 177 aber immer noch sieben Sitze über der absoluten Mehrheit.
Ein Grund für ihren Verlust von weiteren 20 Sitzen bei der Wahl dürften Mobbing- und Korruptionsaffären gewesen sein (vgl. Kanada: Zweiter Ministerrücktritt wegen Korruptionsaffäre). Ein anderer, dass Trudeau in den Augen mancher Wähler mit der inzwischen umgesetzten Legalisierung von Marihuana die Aufgabe erfüllt hat, für die sie ihm 2015 ihre Stimme gaben (vgl. Kanada: Senat stimmt für Legalisierung von Marihuana). Mit Ideen wie einem Eingreifen in die Sprache kommt der in deutschen Medien gefeierte Politiker in seiner Heimat anscheinend nicht mehr so gut an wie mit dem Vorhaben, mit dem man ihn vor vier Jahren an die Macht ließ
Als sich gestern abzeichnete, dass der Premierminister die absolute Mehrheit verlieren wird, meinte Trudeau, er habe die "Enttäuschung vernommen" und werde nun den Stimmen der Enttäuschten Gehör verschaffen. Gleichzeitig kündigte der 47-Jährige aber auch an, das fortzusetzen, was er in der letzten Legislaturperiode angefangen habe.
Das wirkte unter anderem auf Oppositionsführer Scheer etwas widersprüchlich, weshalb dieser die Erwartung äußerte, dass Trudeau damit keine ganze Legislaturperiode mehr übersteht. Deshalb stünden seine Konservativen schon bereit für eine Regierungsübernahme.
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