Kanthers neue Suchmaschine
Eine Waschanlage für das Netz?
Langsam kehrt wieder Realität ein in die Debatte um Kinderpornographie (Sinn und Gewinner der Pornodebatte) und die Rolle des Internet zur Verbreitung der schmutzigen Ware. Nachdem das Thema - Focus brachte sogar die gespenstische Diskussion um eine "Ausweispflicht für Online-Dienste" ins Sommerloch ein - und die Runde durch alle Biergärten gemacht hat, sind die Fakten plötzlich kaum noch der Rede wert: Die in Holland gefundenen Bilder seien ein alter Hut, erklärte etwa Jürgen Schmittgall, der im Kommissariat 123 der Münchner Polizei für Jugend- und Medienschutz zuständig ist und zusammen mit seinen Kollegen vom Kommissariat 343, der "Polizeistreife im Internet", nach Spuren von Sexualverbrechen im Netz sucht. Auch mafiose Strukturen bei der digitalen Aussaat der illegalen Pornobilder konnte der Kriminalbeamte nicht ausmachen. Doch während die Medien sich beruhigen, wachen die Politiker auf und machen die Kontrolle des Internet zum Wahlkampfthema.
Innenminister Manfred Kanther (CDU) etwa will dieses Mal Ernst machen. Wie er seine Pressestelle verlauten ließ, wünscht er sich ein neues Suchprogramm, mit dem es "den Fahndern möglich wird, Kinderpornographie automatisiert im Internet zu finden." Und generell werden in der Regierung immer mehr Stimmen laut, die den Einsatz von weiteren "Cyber Cops" in allen Bundesländern für die "verdachts- und ereignisunabhängige" Suche nach verbotener Pornographie im Netz fordern. "Jetzt muß die Strafverfolgung ausgeweitet werden", meint nicht nur Regierungssprecher Otto Hauser. Ganz in diesem Sinne hat inzwischen beispielsweise die von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) geführte Berliner Polizei eine neue Leitstelle für die Verbrechensbekämpfung im Internet eingerichtet.
Kinderpornographie als Internet-Problem?
Die Vorschläge stoßen bei der Opposition auf Kritik. "Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, als sei das Problem der Pornographie mit Kindern vorwiegend ein Internet-Problem", bemängelt der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss. Dadurch werde verdeckt, daß derartige Sexualverbrechen immer noch in weiten Kreisen als "Kavaliersdelikt" gehandelt würden und letztlich ein Gesellschaftsproblem darstellten: "Der Besitz von Haschisch wird in Bayern härter bestraft als der von Kinderpornographie", empört sich der Netzexperte. Das Internet sei höchstens Überbringer der Ware, die zum Großteil aber mit der "gelben Post" verschickt werde.
Die Entwicklung einer Porno-Suchmaschine hält der Bundestagsabgeordnete für "rausgeschmissenes Geld", da man für die gleiche Summe Polizisten mit Computern ausrüsten könnte. Zudem sind Landeskriminalämter und die Münchner Internetstreife bereits mit dem zunächst als "Wunderwaffe" im Kampf gegen den Schmutz im Netz gehandelten "PERKEO Filescan" ausgestattet, dem "Programm zur Erkennung kinderpornographischer eindeutiger Objekte" (Knüppel im Sack). Doch der Pornoscanner habe seine Schwächen, meint Heinz Willebrand, Leiter des Referates beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das von Kanther mit der Entwicklung des neuen "Internet-Ermittlungstools" beauftragt wurde. "PERKEO kann nur Duplikate erkennen, weil es Prüfsummen von Bildern anlegt und diese miteinander vergleicht", erklärt Willebrand. Diese Funktion eigne sich vor allem zum Scannen von Festplatten und zur Suche nach bereits bekannten pornographischen Dateien im Internet. "Sobald aber ein Bit in dem Material verändert wird, liegt die Trefferquote bei Null."
(K)ein zweiter Lauschangriff
Die Jagd auf neue Dokumente von Kindervergewaltigungen soll nun mit einer autonomen Suchmaschine möglich werden. "Das Ermittlungswerkzeug wird im Prinzip wie eine Meta-Searchengine funktionieren und soll der Polizei anlaßbezogen ein Hilfsmittel an die Hand geben", erläutert der BSI-Mitarbeiter. Vergleichbare bereits existierende Super-Suchmaschinen wie MetaCrawler oder Metasearch fragen automatisch mehrere Einzelsuchdienste wie Altavista oder Lycos ab, die wiederum mit Hilfe von Robots das Web oder Newsgruppen indexieren. Die Funktionen dieser Metasearcher würden, so Willebrand, momentan für die Bedürfnisse der Cyber Cops adaptiert, da die bereits im Netz meist kostenlos nutzbaren Alternativen zu allgemein ausgerichtet seien. Einer der Hauptunterschiede liege darin, daß die neue, nicht vor 1999 einsatzbereite Maschine "Teilbereiche des World-Wide-Web oder des Usenet, in denen wir bestimmte Szenegruppen vermuten, jederzeit von sich aus scannen" können soll.
Von einem "zweiten Lauschangriff im Internet" möchte der Sicherheitstechniker allerdings nichts wissen: "Wir wollen vor allem signalisieren, daß die Polizei im Bedarfsfall über effiziente Recherchemittel verfügt, um Täter abzuschrecken." Keineswegs sei an das automatisierte Belauschen der Chat-Ecken des Netzes gedacht. "Das käme ja dem Abhören von Telefongesprächen gleich und dafür fehlt im Internet jede gesetzliche Grundlage", verteidigt Willebrand das geplante Produkt. Keine Lösung gäbe es bisher auch für das "Mengenproblem": Alle von der Maschine entdeckten Dateien müßten einzeln von den Beamten durchgegangen werden, da auf technische Filter allein angesichts der Sensitivität der Bilder kein Verlaß sei.
Ob die Porno-Suchmaschine tatsächlich zu Fahndungserfolgen führen wird, ist völlig unklar. "Das Internet stellt im Bereich der Kinderpornographie ein Medium der Zweit- oder Drittverwertung dar", weiß Karlheinz Moewes, Leiter der Münchner Surferstreife, aus seiner inzwischen dreijährigen Tätigkeit als Cyber Cop. Von neuem Material also weit und breit keine Spur. "Einiges an Programmen" hätten er und seine vier Kollegen außerdem schon zur Suche nach verdächtigem Bildmaterial im Einsatz - unter anderem nutzen sie dabei die ganz normalen Suchmaschinen. Gleichzeitig klinken sich die Beamten verdeckt in Chats oder Newsgruppendiskussionen ein und haben zusammen mit dem Bayerischen Landeskriminalamt allein im vergangenen Jahr bereits 544 Kriminelle gestellt.
Wie viele Cyber Cops braucht das Land?
Auch den Politikerruf nach Ansiedlung weiterer Internetstreifen in anderen Bundesländern verfolgt der Kriminalhauptkommissar "sehr skeptisch". Effektiver sei "eine zentrale Dienststelle", die gleichzeitig als Anlaufpunkt für den Bürger dient: "Inoffiziell sind wir ja schon heute nicht nur für München zuständig, sondern für die ganze Bundesrepublik und auch weltweit im Einsatz." Würden nun in allen 16 Bundesländern Internetstreifen nach Sexualverbrechern und Päderasten suchen, würden "13 denselben Täter erwischen und Arbeitskraft vergeudet werden." Schon bei der jetzigen überschaubaren und sich ständig untereinander absprechenden Einheit sei es vorgekommen, daß sich einzelne getrennt recherchierende Beamten anonym im Netz getroffen und gegenseitig einschlägige Angebote gemacht hätten. "Das ist natürlich alles andere als effizient", gibt Moewes zu Bedenken.
Als weiteres Hindernis vor allem bei der insgesamt "hervorragend funktionierenden Zusammenarbeit" mit internationalen Stellen macht Moewes die "unterschiedlichen Rechtsansichten verschiedener Länder" aus. So liege die Obergrenze für den Begriff "Kind" einmal bei 14, ein andermal bei 18 Jahren, und schon innerhalb der Europäischen Union gäbe es keine einheitliche Auffassung von strafbarer Pornographie. In diesem Bereich sieht der Kriminalbeamte tatsächlich Handlungsbedarf: "Hier sind die Politiker gefordert, gleiche Voraussetzungen zu schaffen."