Katar: Marathonlauf für Sklaven
Seite 3: Internationale Reaktionen
- Katar: Marathonlauf für Sklaven
- Ein System in der Kritik
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Die Enthüllungen zwingen auch internationale Instanzen zu Reaktionen. Zwar erklärt die FIFA bei der Tagung ihrer Exekutive am 02. und 03. Oktober 2013 in Zürich, sie sei nicht rechtlich für die Arbeitsverhältnisse - etwa beim Stadienbau in einem Ausrichterland für eine künftige WM - verantwortlich und könne sich nicht in das Arbeitsrecht eines Veranstalterlands einmischen.
Dennoch erklärt FIFA-Chef Sepp Blatter, die Vorwürfe nicht ignorieren zu können, er werde sie bei den katarischen Behörden ansprechen. Dies tut er dann auch, in Form eines Höflichkeitsbesuchs beim Emir von Katar am 09. November 2013, in dessen Vorfeld er erläutert: "Wir müssen auch danach streben, die andere Version (anstatt der Vorwürfe, Anm. d.A.) anzuhören." Ansonsten bleibt er bei der Position:
Wir wollten Katar, und wir ziehen das durch!
Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) entsendet zum 07. Oktober 2013 eine Untersuchungsdelegation in den Golfstaat. Diese wird am 09. Oktober jedoch daran gehindert, eine Baustelle des Unternehmens QDVC zu besuchen, das auf einem Joint-Venture zwischen dem französischen Konzern Vinci und dem qatarischen Investmentfonds Diyar beruht.
Daraufhin verzichtet die Delegation darauf, eine Vorzeigebaustelle in Lusail City, einem neu entstehenden Vorort von Doha, zu besuchen. Der Mitreisende Ampet Yuson erklärt:
Man möchte uns nur das zeigen, was am besten aussieht.
Gewerkschaften, UN und Europaparlament
Statt sich auf die offiziellen Besuchsvorschläge einzulassen, demonstriert die Gewerkschafterdelegation vor dem Sitz des Komitees, das für die Vorbereitung der WM 2022 in Katar zuständig ist, unter dem Slogan: "FIFA, rote Karte!" In Deutschland fordern Ende Oktober 2013 der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Deutsche Fußballbund (DFB), vertreten durch ihre Chefs Michael Sommer und Wolfgang Niersbach, eine drastische Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Katar. Der Golfstaat habe innerhalb von "maximal sechs Wochen" eine Bilanz vorzulegen.
Am 10. November fordert der Sonderberichterstatter der UN für Migrantenrechte, François Crépeau, die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Qatar, die tatsächliche Anwendung theoretisch geltender Normen (etwa mit obligatorischen Pausen und der Garantie eines Mindestwohnraums) und die Abschaffung des kafala-Systems. Am 17. November publiziert Amnesty international auf einer Pressekonferenz in Doha einen Untersuchungsbericht unter dem Titel The Dark Side of Migration.
Die Organisation führt Beispiele an für seit Monaten ausstehende Löhne und buchstäblich von Hunger bedrohte, weil ohne Bezahlung bleibende Arbeiter - wie jene 80 Lohnabhängigen (überwiegend aus Nepal sowie aus Sri Lanka, Bangladesh, China, von den Philippinen und aus Nigeria), die das 38. und 39. Stockwerk des Hochhauses Al Bidda Tower fertig gestellt hatten, in dem die katarischen Fußballverbände ihren Sitz haben werden.
Ihr Arbeitgeber, die Firma LTC (Lee tarding and Contracting), schuldet ihnen insgesamt 300.000 Euro unbezahlter Löhne. Theoretisch können sie ein Gericht anrufen - doch in der Praxis forderte dieses von jedem von ihnen zuerst 165 Dollar an "Expertisekosten", welche sie schlichtweg nicht aufbringen können.
Am 21. November 2013 verabschiedet das Europaparlament eine Resolution, die ihrerseits Katar dringend zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen aufruft. Und am 30. Januar 2014 fordert nunmehr die FIFA selbst ultimativ konkret nachweisbare Verbesserungen von dem Golfstaat, bis spätestens zum 12. Februar des Jahres.
Damit versucht die internationale Fußballvereinigung, der nächsten Anhörung im Europaparlament am 13. Februar zuvorzukommen, und dort "greifbare Ergebnisse" präsentieren zu können. Kurz darauf publiziert der Guardian neue Zahlen. Demnach starben im Jahr 2012 in Katar 237 indische Arbeiter und weitere 241 im Jahr 2013 sowie in beiden Jahren zusammengenommen mindestens 382 Nepalesen.
Allerdings reagiert die indische Botschaft in Doha, indem sie selbst die Zahlen herunterspielt: Bei angeblich 500.000 in Katar lebenden Indern (die Realität dürfte eher bei 400.000 liegen) sei dies eine normale Sterblichkeitsrate, die gemessen an der Bevölkerungsstärke zu erwarten sei. Ein Argument, das deswegen nicht ziehen kann, weil die nach Katar gezogenen Inder überwiegend jung, männlich und "arbeitsfähig" sind und deswegen keinesfalls einen Querschnitt der Gesamtbevölkerung widerspiegeln können.
Am 25. März 2014 wird daraufhin ein Rapport des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) publik. Er spricht von "bereits 1.400 Toten" im Zusammenhang mit der Ausrichtung der künftigen WM in Katar - laut Angaben des IGB müssten "noch mindestens weitere 4.000 sterben", bis die Weltmeisterschaft stattfinden könnte. Im Vergleich dazu, die WM in Brasilien im Juni/Juli 2014 forderte acht bekannte Todesopfern unter den Arbeitskräften, jene in Südafrika 2010 mindestens zwei.
Zudem zitiert der Bericht eine Zahl der katarischen Gewerbeaufsicht - die mit insgesamt 150 Beamten zur Kontrolle der Arbeitsbedingungen bestenfalls überfordert ist, auch wenn ihre Zahl Anfang 2014 in Reaktion auf die Kritik um fünfzig erhöht wurde -, derzufolge 34 Prozent der migrantischen Arbeiter seit Monaten keinen (!) Lohn erhalten hätten.