Katar: Marathonlauf für Sklaven

Seite 4: "Reformen"

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Wie reagiert nun die katarische Seite auf diese wachsende internationale Kritik, aus der auf die Dauer doch ein reales Legitimationsprojekt für ihre Rolle als internationaler Veranstalter erwächst?

Zunächst bezeichnen die Behörden in einer erste Reaktion, am 30. September 2013, die Vorwürfe als "übertrieben" - aber sie würden einen wahren Kern enthalten, Untersuchungen darüber würden angeordnet. Es gebe Probleme, aber "keine Zwangsarbeit oder Sklaverei" in Katar. Mit dieser Antwort wurde ein Qatar national human rights committee beauftragt - eine ziemlich eigenartige Einrichtung, die dem Innenministerium untersteht und an die sich Arbeitsmigranten angeblich mit Beschwerden wenden können, was jedoch hauptsächlich zur Folge hat, dass "auffällig gewordene Elemente" und "Unruhestifter" registriert werden.

Anfang Oktober 2013 beauftragt die Golfmonarchie offiziell die internationale Wirtschafts-Anwaltskanzlei DLA Piper mit der Erstellung eines Untersuchungsberichts. Dafür bräuchten die Offiziellen allerdings kein teures Geld auszugeben, es würde ihnen vielmehr genügen, in die Containervorstädte südlich und östlich von Doha - ohne nächtliche Beleuchtung, ohne Bürgersteige, ohne Grünflächen und oft ohne Klimaanlagen - zu fahren, in welchen die Arbeitsmigranten zusammengepfercht werden.

Eine Charta zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen

Auf der Grundlage dieses Berichts, sowie unter erheblichem internationalem Druck verkünden die katarischen Behörden notgedrungen einige "Reformen". Am 11. Februar 2014 - also am Vorabend des Ablaufs der durch die FIFA gesetzten Frist, und zwei Tage vor einer geplanten Anhörung im Europaparlament - verkünden sie eine "Charta" zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Demnach sollen die Löhne auf ein zentralisiertes Bankkonto überwiesen werden, um ihre tatsächliche Auszahlung zu überprüfen.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) soll die Einhaltung international gültiger arbeitsrechtlicher Konventionen überprüfen, und es sollen "zentrale" Normen zur Unterbringung und zu den Wohnraumverhältnissen eingeführt werden. Der Internationale Gewerkschaftsbund IGB bezeichnet diese Charta jedoch als "eine Schande". Erstens gelte sie überhaupt nur für formal direkt mit der Fußball-WM zusammenhängende Vorhaben, also für den Stadienbau, aber weder für den Bau von Verkehrs- und Infrastrukturprojekten rund um die WM noch für Hotelbauten. Zweitens gebe es keinerlei Anleitung für die Umsetzung der, als solche eine unverbindliche Absichtserklärung darstellenden, "Charta" in zwingendes gesetzliches Recht. Und zum Dritten sei in keinem Wort die Rede von der Abschaffung des kafala-Systems.

Die Kafala auf dem Prüfstand

Am 14. Mai 2014 kündigt die Golfmonarchie erneut "tiefgreifende Reformen" an. Dieses Mal kommt erstmals auch die kafala auf den Prüfstand: Sie soll in ihrer bisherigen Form abgeschafft werden, stattdessen sollen spezielle Anwerbeverträge mit Arbeitsmigranten abgeschlossen werden.

Das Innenministerium soll die Rolle übernehmen, die Exit-Visa für die Betreffenden auszustellen - diese werden also nicht etwa abgeschafft und durch eine Ausreisefreiheit ersetzt, sondern es wird lediglich die Zuständigkeit in einem neuen zentralisierten Verfahren beim Innenministerium zusammengeführt. Ferner sollen Arbeitgeber, die die Pässe ausländischer Arbeitskräfte einbehalten (was schon bislang theoretisch illegal ist, doch in 90 Prozent der Fälle praktiziert wird) künftig zu einer fünf mal höheren Geldstrafe als bis jetzt verurteilt werden können.

IGB-Generalsekretärin Shanan Burrow reagiert mit äußerster Skepsis auf diese Ankündigungen. Zum Ersten gebe es keinerlei konkreten Zeitplan für ihre Umsetzung, während diese den offiziellen Ankündigungen zufolge erst erfolgen könne, wenn sowohl die Schura (ein entfernt parlamentsähnliches Konsultativorgan, das den Monarchen berät) als auch die Handelskammer zugestimmt hätten. Zum Zweiten werde die Erfordernis eines Exit-Visa nicht abgeschafft, während genau dies dringlichst erforderlich wäre. Und zum Dritten wird migrantischen Arbeitskräften weiterhin keinerlei Recht auf gewerkschaftliche oder sonstige kollektive Organisierung zuerkannt.