Katar, der Regenbogen und die Profis

Die Rainbow-Flag ist für Katars Sittenwächter ein rotes Tuch. Foto: Trey_Musk auf Pixabay (Public Domain)

Die FIFA fordert eine Vier-Wochen-Demokratie für internationale Gäste der WM 2022 im Golfemirat. Doch junge Fußballprofis werden politisch selbstbewusster

Einen Imagegewinn konnte der Fußball mit der EM 2021 nicht verbuchen. Dank des Ausrichters der Party, der UEFA, die die Pandemie ignorierte und einzelne Austragungsorte erpresste, wobei ihr die Autokraten zur Seite standen. Was seinen Preis hatte. In München wurde beim Spiel Deutschland gegen Ungarn verhindert, dass die Arena in den Farben des Regenbogens erstrahlte - die UEFA wollte nicht ihren Partner Viktor Orbán düpieren, der dem Verband bei der Abwicklung der Champions League-Saison geholfen hatte.

Die UEFA hat den europäischen Fußball an Staatsunternehmen aus autokratischen und totalitären Nicht-EU-Ländern verkauft. Zu den Hauptsponsoren der EM gehörte auch Qatar Airways. Die nationale Fluggesellschaft Katars war optisch extrem präsent. Gegen Ende des Turniers wurde bekannt, dass der Deutsche Fußballbund gerne von der Lufthansa zu Qatar Airways wechseln möchte. Es wäre ein Win-Win-Deal: Der DFB bekäme mehr Geld als vom deutschen Unternehmen, und den Ausrichtern der WM 2022 wäre garantiert, dass sich der Verband in Sachen Menschen- und Arbeitsrechte zurückhält. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing."

Die EM 2021 offenbarte einmal mehr die Beschränktheit der "Menschenrechtspolitik" der internationalen Verbände. Mensch bekam den Eindruck, dass diese primär in der Errichtung eines Sichtschutzes besteht, hinter dem UEFA und FIFA mit fragwürdigen Regimen und Geldgebern kuscheln. Menschenrechte? Nicht auf Kosten derjenigen, die diese verletzen! Und an deren Tropf wir hängen. Lieferte die EM 2021 einen Vorgeschmack auf die WM 2022 in Katar?

Fußball in einer homophoben "Kultur"

"Der wichtigste Grund gegen eine Fußballweltmeisterschaft in Katar ist die homophobe Gesetzgebung des islamischen Regimes". Zu dieser Ansicht kommt der Autor Benjamin Weinthal in einem Artikel auf der Homepage Gay City News aus New York. Homosexualität ist in Katar verboten und wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Nach den strengen Regeln der Scharia könnten sogar Auspeitschungen und (theoretisch) Hinrichtungen vorgenommen werden. 1996 wurde ein US-Bürger zu einer sechsmonatigen Haftstrafe und 90 Peitschenschlägen verurteilt.

Der WM-Cheforganisator Hassan Al Thawadi hat homosexuelle Besucher der WM aufgefordert, ihre Zuneigung in Katar nicht öffentlich zu zeigen. Das "gehört nicht zu unserer Kultur". Anders gesagt: Herr Al Thawadi verlangt von den Besuchern, auf eine homophobe Kultur Rücksicht zu nehmen.

In einer Untersuchung von Reiseländern wurde laut Benjamin Weinthal Katar als das zweitgefährlichste Land für die LGBTIQ-Gemeinde genannt - nur Nigeria ist demnach schlimmer. Fazit des Autors: Es sei überfällig, dass Sportverbände wie die FIFA damit aufhören, "Nationen zu belohnen, die die Homosexualität kriminalisieren". Das Gay Football Supporter’s Network mit Sitz in Großbritannien hat, wie auch andere LGBTQ-Organisationen, zum Boykott der WM aufgerufen.

Übrigens drohen auch heterosexuellen Paaren Sanktionen, wenn sie gegen das konservative islamische Recht verstoßen. Unverheiratete Paare dürfen nämlich nicht zusammenwohnen. Auch Ausländern drohen diesbezüglich Sanktionen bis hin zu Gefängnisstrafen.

Die FIFA und die Menschenrechte

In der Menschenrechtserklärung der FIFA vom Mai 2017 heißt es:

Die FIFA ist bestrebt, innerhalb der Organisation und bei all ihren Tätigkeiten ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen. Mit wirksamen Kontroll- und Vollzugsmechanismen bekämpft sie jede Form von Diskriminierung nach Maßgabe von Art. 4 der FIFA-Statuten, wonach jegliche Diskriminierung eines Landes, einer Einzelperson oder von Personengruppen aufgrund von Hautfarbe, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand, sexueller Orientierung oder aus einem anderen Grund verboten ist.

Das Menschenrechtsbekenntnis der FIFA hat eine entscheidende Einschränkung, wenn es dort weiter heißt:

Die FIFA ist zudem bestrebt, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte, die über ihre Geschäftsbeziehungen einen direkten Bezug zu ihren Tätigkeiten, Produkten und Dienstleistungen haben, zu vermeiden oder einzudämmen.

Das bedeutet: Grundrechtsverletzungen interessieren die FIFA nur dann, wenn sie im direkten Kontext mit der WM stehen. Sklavenähnliche Arbeitsbedingungen sind nur dann relevant, wenn sie an WM-Baustellen herrschen. Die Verfolgung von Schwulen und Lesben ist nur dann ein Thema, wenn ausländische Besucher des Turniers betroffen sind. Die FIFA fordert eine Vier-Wochen-Demokratie für internationale Gäste des Turniers. Auf dieser Grundlage kann sie mit jeder Diktatur ins Geschäft kommen, solange diese zu kleineren Kompromissen im Vorfeld und während des Turniers bereit ist.

Profis gehen voran

Gewinner der EM 2021 waren ganz eindeutig die Spieler und Trainer, die den UEFA-Slogan "Respect!" tatsächlich lebten. Im Gegensatz zu den UEFA-Funktionären. Auch und gerade untereinander. Dies begann mit dem lebensgefährlichen Zusammenbruch von Christian Eriksen - ein weiteres Thema, bei dem der europäische Verband eine traurige Rolle spielte.

In der Vergangenheit galt: Politik hat im Fußball nichts zu suchen! Nein, nicht ganz: Politische Äußerungen blieben den Funktionären vorbehalten, die auch Politiker sein durften. Die Spieler sollten ihre Klappe halten, sich auf das Fußballspielen konzentrieren. Die britische Tory-Politikerin Natalie Elphicke sieht dies noch immer so. In einer WhatsApp-Nachricht schrieb die Unterhausabgeordnete, Marcus Rashford hätte sich lieber auf den Fußball konzentrieren sollen, anstatt sich für kostenlose Schulmahlzeiten für finanziell schwache Familien einzusetzen.

Elphicke hatte nicht verwunden, dass der 23-jährige Stürmer von Manchester United die Regierung in dieser Frage vor sich hergetrieben hatte - erfolgreich. Zuvor hatte sich Rashford bereits für Obdachlose engagiert.

Ein DFB-Boss durfte einst die Militärdiktatur in Argentinien loben, aber "seine" Spieler hatten sich von Amnesty International fernzuhalten. Der FAZ-Herausgeber Joachim Fest porträtierte den DFB-Vorsitzenden Hermann Neuberger als "ambitiösen Provinzkönig, dessen Gängelungsgelüste den Spielern noch vorschreibt, welche Socken und Pullover sie außerhalb des Spielfelds zu tragen haben." Und Neuberger ließ wissen: "Spieler sind zu ersetzen, Funktionäre nicht." Sein Idealbild vom Profi war das eines unmündigen Leibeigenen von Vereins- und Verbandsfunktionären, der gefälligst zu spuren hatte.

Moderne Zeiten

Diese Zeiten sind vorbei. Wir werden zu Zeugen einer äußerst spannende Entwicklung, die das Potenzial hat, die im internationalen Fußball herrschenden Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. In England sind junge Spieler für die Regierung von Boris Johnson eine größere Herausforderung als die Labour-Opposition. Für Johnson ist die englische Nationalmannschaft ein Alptraum. In ihrer Kritik am Premierminister und seiner Innenministerin Priti Patel, die sich zunächst mit Rücksicht auf ihre Brexit-Wählerschaft weigerten, den Rassismus gegen schwarze Spieler zu verurteilen, nahm sie kein Blatt vorm Mund und versetzte damit die Regierungspartei in helle Aufregung.

England hatte das Finale gegen Italien im Elfmeterschießen verloren. Drei schwarze Akteure hatten nicht getroffen - zur Freude der Rassisten. Johnson und Patel verurteilten den Rassismus, der nun über Fehlschützen schwappte - doch hierfür war es nun zu spät. Der schwarze Nationalspieler Tyrone Mings bezichtigte Patel der Heuchelei: "Man kann nicht zu Beginn des Turniers das Feuer schüren, in dem man unsere Anti-Rassismus-Botschaft als ‚Symbolpolitik‘ bezeichnet und dann vorgeben, angeekelt zu sein, wenn genau das passiert, gegen das wir uns einsetzen."

Klügeren Konservativen dämmert mittlerweile, dass sie in der Auseinandersetzung mit den Männern (und Frauen) in kurzen Hosen den Kürzeren ziehen könnten. Alles, was sich die Regierung von diesem Turnier erhofft hat, ist nicht eingetreten. Es wurde nicht nur von den Italienern durchkreuzt, sondern auch von der eigenen Mannschaft, die sich nicht politisch vereinnahmen ließ, sondern Widerspruch äußerte.

Das Spiel der Spieler

Die Spieler äußern sich heute eigenständig und auch außerhalb der offiziellen Kampagnen ihrer Verbände. Es bedarf keines grünen Lichtes von oben. Sie organisieren ihre eigenen Kampagnen. Erleichtert wird dies durch die Existenz von Social Media.

Was die WM 2022 in Katar anbelangt, so äußerte sich diese Entwicklung erstmals im Frühjahr 2021, als einige Nationalmannschaften - namentlich die norwegische und die deutsche - den Auftakt der WM-Qualifikation zum Anlass nahmen, die Einhaltung der Menschenrechte anzumahnen. Katar wurde zwar nicht explizit genannt, aber der Zusammenhang war klar. Bei der EM wurde nun für Diversität und gegen Rassismus demonstriert.

Bei der WM 2018 präsentierter sich die deutsche Nationalelf hilflos und verdruckst, als ihre Mitspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan rassistisch angegangen wurden. Bei der EM 2021 war ihre Performance besser. Kapitän Manuel Neuer trug eine regenbogenfarbene Binde. Des Weiteren beteiligte sich die Mannschaft am Kniefall-Protest gegen Rassismus.

Bereits 1965 wurde die internationale Spielervertretung Fédération Internationale des Associations de Footballeurs Professionnels (kurz FIFPro) gegründet, auf Initiative der englischen, schottischen, französischen, italienischen und niederländischen Spielerverbände. In den Fokus der Öffentlichkeit ist die FIOFPro aber erst in den letzten Jahren geraten. Heute gehören ihr mehr als 50.000 Profis und 65 nationale Spielergewerkschaften an. Ursprünglich in erster Linie ein Zusammenschluss der nationalen Spielerbände, vernetzen sich heute Profis aus unterschiedlichen Ländern und Ligen selber.

Im Global Player Council der FIFPro sitzen u.a. Kevin, Trapp, Neven Subotic, Italiens Kapitän Giorgio Chiellini und Vincent Kompany. Zehn der 20 Council-Mitglieder, also die Hälfte, sind Spielerinnen. Menschenrechte, Diversität und Rassismus stehen weit oben auf der Agenda der FIFPro, die sich nun verstärkt auch der Situation der Arbeitsmigrant:innen in Katar widmen will.

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