Kehrt der Bunker wieder?

Seite 3: Der Ernstfall regt zu verschiedenen Szenarien an

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Die Bürger beginnen, in ihrem Garten oder im Keller eigene Bunker zu bauen. Eine architektonisch dystopische Gesellschaft entsteht. Die Rolläden bleiben unten. Doch auch das hilft nicht wirklich. Unter der Erde, im Keller hockt man. Es ist kalt und feucht. Einige haben Elektroheizungen laufen. Wenn die Stromnetze nicht längst zusammengebrochen sind. Viele Vorannahmen, um in den Bunkern überleben zu können. Wenn, dann, aber auch nur, wenn es noch eine Welt außerhalb des Bunkers gibt, für die gelebt werden kann.

Eine andere Szene orientiert sich an der Berliner Realität: der Verein Berliner Unterwelten e.V. bietet Exkursionen für Touristen in die Bunker und Tunnelsysteme im Untergrund Berlins an. Die Hobbyforscher zeigen sich auf den Fotos in ihren Broschüren und Büchern in Höhlenforscher-Montur: Helm mit montierter Lampe, Stiefel und Meßlatten in den Händen. Manche der Publikationen besitzen einen spezifischen Stil, der sich laut der Historikerin Nicole Mehring stark am Duktus von Archäologenberichten und ähnlich abenteuerlich verfasster Expeditionsberichte orientiert. Die Bunker Berlins werden zur Spielweise einer Abenteuerfiktion.

Till Bastian nennt sein Buch "Bunker und Valium" (1986) - die Kombination aus Mauerwerk, Technologie und Beruhigungsmittel soll für den Nuklearwinter vorbereiten. Funktional hat sich für den Zivilschutz nichts geändert, inhaltlich stehen verschiedene Militärsysteme dahinter. Die Unmöglichkeit, aus dem Feedback-System der Kriegsmaschinerie auszubrechen, zwingt die bedrohten Nationen, mit Schutzvorrichtungen zu beginnen. Doch unterscheidet sich das von Fall zu Fall. Japan etwa hat in Bezug auf den Bombenschutz nur zögerlich gehandelt; die ‚Bunker’ bestanden teilweise aus selbstgegrabenen Löchern im eigenen Garten.

Ein anderes mögliches Bild wäre:


Im Hobbykeller steht eine Computeranlage, aber nicht wie die Datenbunker, die große Internet-Unternehmen betreiben, um in absolut steriler und gekühlter Umgebung die Konnektivität zu garantieren - nein, da sitzt ein Mensch vor dem Rechner und ist mit der Außenwelt verbunden. Er verlässt den Keller nicht, denn im Nebenraum lagern Lebensmittel für drei Monate. An manchen Tagen isst er weniger. Er hat eine Aufgabe: im Info-Overkill zu überleben.

Der Keller bietet ihm Schutz. Hier wird er nicht vom Tageslicht irritiert. Die Welt draußen ist unlebbar geworden. Ökozid, Geozid, Insektizid, Genozid. Und nein, es handelt sich nicht um einen Freak. Es ist ein Pflichtleister, mit großem Gewissensdruck. Während wir erzählen, hat er bereits einen neuen Algorithmus zur Filterung der Informationen entwickelt. Die Pflicht ruft. Der Bunkerersatz schützt ihn. Wie es jenseits der sieben Meter dicken Mauern ausschaut, davon hat er nicht mal in seinen schlimmsten Nächten in der alten Zeit geträumt. Hier aber ist er sicher. Bis auf weiteres ...

Bunker-Aussichten

Kann es aus dem Bunker eine Sicht geben? Schützt der massive Bau nicht nur vor Gefahr, sondern auch vor (visueller) Entdeckung? Setzen die Bunkermenschen Scheuklappen auf?

In Mitteleuropa stellen Bunker die Bevölkerung vor die Aufgabe, eine neue Funktion für sie zu finden. Wenn nun die Säbel angesichts der Aspirationen Russlands wie auch der Nato wieder gerasselt werden, so werden dennoch keine neuen Bunker in Angriff genommen. Oder doch?

Die Bundesregierung hat kürzlich (August 2016) ein neues Zivilschutzkonzept vorgestellt. Das erste seit 1989. Das lässt mehrere Schlüsse zu: Einerseits erstreckt sich das Bewusstsein einer Krise nun auch auf mögliche innere Konflikte durchaus militärischen Ausmaßes, andererseits wird durch die Bündnispartnerschaft in der Nato eine durchaus mögliche Risikolage einberechnet. Der Bunker versinnbildlicht wie kein anderer Ort die Abgeschlossenheit. Kann er also auch für den Schluss der Geschichte gehalten werden? Insofern er im Kalten Krieg Schutz vor der Atombombe geben sollte, dies möglicherweise gelang, aber die Welt oberhalb verwüstet da läge, ist der Bunker die letzte Höhle der Zivilisation. Mit Heizung und Trinkwasservorräten gegen die postapokalyptische Wildnis. Zwischen seinen Stahlbetonwänden kauert sich der letzte überlebende Mensch. Seine Frau reicht ihm den Schluck aus dem Flachmann. Garantiert frei von Radioaktivität. Die Kinder spielen, unter der Erde, bei durchgehender Sparbirnenbeleuchtung.

Bunker in Albanien. Bild: Martin Kaule aus seinem Bildband "Faszination Bunker"

Schwer zu sagen, ob in naher Zukunft neue Bunker gebaut werden. Unwahrscheinlich. Zumindest in der Mitte Europas. Das Konzept sieht eine andere Richtung vor: Die Festung Europa baut Zäune und verstärkt seine Außengrenzen, dass die Gefahr erst gar nicht ins Kernland vordringen kann. Wie ausgeführt, soll man Bunker nicht sofort erkennen können. Die Zäune aber stehen deutlich an den Grenzen Europas, um zu signalisieren: Halt! Hier nicht weiter! Achtung bei Zuwiderhandlung!

Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Bunker Relikte einer großmachtverrückten Vergangenheit sind. Ein nicht geringer Teil von ihnen überdauerte den Untergang. Nur ein verschwindender Teil der Bevölkerung hatte Platz in ihnen. Gebaut wurden sie von militärischer Macht - abgesehen von den Anleitungen zum Selbstbau, etwa in Großbritannien. (Aber diese Selbstbaubunker waren rein psychologisch bombensicher.)

Geblieben ist die mehr oder minder zerstörte Bausubstanz und die monumentale Form, die zugleich im Kriegsfall unsichtbar sein soll. Die Paradoxie des Modells Bunker wirkt fort: es entstehen lichtdurchflutete Lofts, die Geister und Fantasmen der kriegsfunktionellen Nutzung sollen ganz sicher nicht mehr im umgebauten Wohnraum hausen.

Vielleicht ist es nun aber so, dass der Bunker als bautechnologische Funktion und Modell längst ausrangiert ist - an seine Stelle tritt der Bunker als Denkmuster. Nicht mehr das Material entscheidet die (erfolgreiche) Absicherung. Die Verinnerlichung, die Domestizierung des Innenraums schafft einen neuen, uneinnehmbaren Ort. Sicher vor der Außenwelt. Das wäre jedoch ein neuer Aspekt, ja ein geradezu neues Thema.

Literatur

Bastian, Till: Bunker und Valium. Wie sich die Bundesrepublik auf den "Ernstfall" vorbereitet, München 1986: C.H. Beck.

Fridvalszki, Mark; Miklósvölgyi, Zsolt und Márió Z. Nemes (Hg.): Technologie und das Unheimliche, vol. I "Bunker" & vol. I "Bunker" Revisited, Budapest 2014-2016.

Friedrichs 2008 = Jan-Henrik Friedrichs: Massenunterkunft, Atombunker, Kunstobjekt. Bunkernutzungen im Nachkriegsdeutschland. In: Marszolek und Buggeln: Bunker, S. 245-260.

Interview mit Nikias Chryssos per E-Mail, 14. September 2016.

Jacobs/Paul-Jacobs 2008 = Stephanie Jacobs und Stefan Paul-Jacobs: »Am 22. Oktober 1966 beginnt der Dritte Weltkrieg« Der Regierungsbunker bei Marienthal an der Ahr als Denkmal des Kalten Krieges. In: Marszolek und Buggeln (Hg.): Bunker, S. 89-102.

Kaule, Martin: Faszination Bunker. Steinerne Zeugnisse der europäischen Geschichte, Berlin 2014: Ch. Links Verlag.

Kunz 2008 = Gerold Kunz: Die Integration militärischer Bauten ins Landschaftsbild der Schweiz. In: Marszolek und Buggeln: Bunker, S. 277-292.

Marszolek, Inge und Marc Buggeln (Hg.): Bunker. Kriegsort, Zuflucht, Erinnerungsraum, Frankfurt am Main 2008: Campus.

Siegener Materialien zur Friedenserziehung: Bunker gegen den Atomtod?. Nachdenken über Sicherheit und Sicherheitspolitik, hg. von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB, Siegen 1983.

Virilio, Paul: Bunkerarchäologie (1975), Wien 2011: Passagen Verlag. Mit einem Nachwort aus dem Jahr 2008.

Filmografie

Der Bunker (2015), Regie: Nikias Chryssos, Bildstörung (im Vertrieb von Alive), DVD.

How I Learned to Stop Worrying and Love The Bomb (1964), Regie: Stanley Kubrick.

James Bond 007 - Man lebt nur zweimal (1967) (OT: You Only Live Twice), Regie: Lewis Gilbert.

James Bond 007 - Spectre (2015), Regie: Sam Mendes.

Batman (1989), Regie: Tim Burton. Sowie die anderen Filme der Batman-"Reihe".

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