Kein Blankoscheck für den neuen Präsidenten von Mali

Seite 6: Religiöse Kräfte

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Auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Spektrums erhielt "IBK" auch eine Rückendeckung von einem Zusammenschluss religiös-politischer Vereinigungen in Gestalt des "Hohen Islamrats" HCI sowie der Föderation Sabati ("Widerstand" in Bambara), die rund 100 Mitgliedsverbände umfasst.

Die Religion ist in der malischen Gesellschaft tief verankert - auch manche Kommunisten unterbrechen die Diskussion mitunter für fünf Minuten, um kurz ihren Gebetsteppich auszurollen -, aber ihre Praxis ist ungleich toleranter, als man sie überwiegend in den arabischsprachigen Ländern antrifft. Eine deutliche Mehrheit hält das Ramadanfasten ein, aber es gibt immer wieder auch Nichtfaster: zu alt, zu jung, krank, oder nicht überzeugt.

Letztere, mit oder ohne triftige Ausrede, verstecken sich jedoch nicht, um etwa Wasser zu trinken - was etwa in Marokko oder Algerien staatlich geahndet werden könnte. In jüngerer Zeit nehmen jedoch gleichzeitig eine Politisierung der Religion und offen reaktionäre Tendenzen zu, was eng mit der politischen Staatskrise zusammenhängt.

So wurde bei einer Regierungsumbildung im August 2012 erstmals ein eigenes Religionsministerium für den HCI geschaffen, während Mali allerdings eine "laizistische Republik" bleibt. Und neben der eher toleranten malekitischen Schule, die den Islam in Mali prägt, wächst der Einfluss einer als wahhabitisch bezeichneten Richtung. Diese wird so genannt, weil sie aus den reaktionären Golfstaaten unterstützt wird - dennoch ist bislang undenkbar, eine der inquisitorischen Staatsideologie in Saudi-Arabien vergleichbare Praxis in Mali real umzusetzen.

Vollverschleierungen, die auch das Gesicht verstecken und in den Golfstaaten häufig anzutreffen sind, bleiben in Mali eine Rarität: Wer viel in Bamako unterwegs ist, trifft durchschnittlich zwei Fälle pro Tag. Die Mehrheit der Frauen trägt traditionelle westafrikanische Kopfbedeckungen, die auch immer wieder einmal abgesetzt werden. Es gibt keinerlei durchgesetzten Bedeckungszwang.

Die als wahhabitisch bezeichnete Vereinigung Sabati entstand in ihrer heutigen Form kurz vor der Präsidentschaftswahl, und unterstützte die Kandidatur von "IBK" nach einer internen Debatte. Ausschlaggebend war wohl in erster Linie, dass man auf einen möglichen Gewinner setzten wollte, statt auf einen aussichtslosen Kandidaten, um an ihn dann Forderungen richten zu können. Auch wenn "IBK" dafür bekannt war, durchaus einen Whisky oder Rotwein bei Tisch nicht zu verachten - damit hat er zwar Schluss gemacht, allerdings auf Anraten der Ärzte hin, nicht so sehr der Imame.

Sitz der NGO für ab-/zugeschobene Migranten. Foto: Bernard Schmid

Ferner ist Keïta seit den frühen neunziger Jahren mit einem religiösen Würdenträger eng verbunden, dem "Chérif von Nioro", dem er damals eine lebensrettende Operation bezahlte. Aus Dankbarkeit blieb der Kleriker, der auch ein schwerreicher Geschäftsmann ist, ihm in Freundschaft verbunden.

Die "Wahhabiten"

Abdou (Vorname redaktionell geändert) gilt seinen Nachbarn als Wahhabit. Er ist in der als Dawa - das arabische Wort für den Aufruf zum Gebet - bezeichneten, missionarisch tätigen Richtung des politisierten Islam tätig. Und er ist Hochschullehrer für Fremdsprachen. Sieben Jahre studierte er in Südwestdeutschland, wo er ganz besonders die Ordnung schätze: "Nach meiner Rückkehr nach Mali hatte ich lange ernste Wiedereingliederungsschwierigkeiten."

Seine Frau trägt ein knallorangenes Kopftuch. In ihrem Haus gibt man, was in Mali sehr selten ist, Menschen des entgegengesetzten Geschlechts zum Gruß nicht die Hand. Aber die vielleicht zehnjährigen Töchter wirken sehr aufgeweckt, springen herum und albern mit dem Vater umher. Abdou wählt selbst nicht:

Ich habe bislang nur einmal mitgestimmt. Unter uns Muslimen gibt es eine Debatte: Soll man das kleinere Übel unterstützen? Oder droht man dann nicht, einen Anteil an dem, was der einmal gewählte Kandidat dann tut, auf das eigene Sündenregister zugeschrieben zu bekommen? Heute halte ich mich aus dem Wählen heraus.

Auch er erhofft sich jedoch, dass Mali einen besseren Neuanfang nehme. Und dass das Lohnproblem der Hochschullehrer geregelt werde: "2011 streikten wir ein volles Jahr lang. Am Ende gab es auch eine Vereinbarung, die einen Gutteil unserer Forderungen durchgesetzt hätte. Aber dann kam der Putsch, und die Übergangsregierung wollte sich nicht festlegen. Nun hoffen wir das Beste für die Zeit nach der Wahl."

Dass es eine Unterstützung für "IBK" gebe, führt er selbst auch darauf zurück, dass "er mitunter islamisch geprägte Formulierungen wie bismillah rahim (Im Namen Gottes des Barmherzigen) in seine Reden integriert."

Die organisierten Muslime sollten sich aber auch für ihre Belange einsetzen wie 2011, als der HCI erfolgreich gegen eine relativ progressive Reform des Frauen- und Familiengesetzes mobilisierte. Abdou störte vor allem daran, dass es ein gesetzliches Verbot der Frauenbeschneidung geben sollte. Auf den Einwand, der Islam als solcher schreibe diese Praxis - die in den Großstädten rückläufig, aber auf dem Land noch weitverbreitet ist - gar nicht vor und sie existiere in der Mehrheit der arabischen Länder nicht, antwortet er, aber sie werde vom Islam toleriert.

Und was vom Islam begünstigt wird, kann ein Präsident jedenfalls nicht gesetzlich verbieten, Er darf eine Aufklärungskampagne machen, um zu sagen, warum es nicht gut sei. Aber gesetzliche Eingriffe gehen nicht.

Die Dschihadisten wiederum hält er schlichtweg für Kriminelle, die ihren Geschäftsinteressen, ob im Handel mit Drogen oder Geiseln, nachgingen.

Kein Blankoscheck

Zweifellos wird der nächste Präsident Malis es nicht leicht haben. Er wird mit unterschiedlichen Erwartungen von Links und von Rechts, von Religiösen und Säkularen, von Tuareg und von der französischen Ex-Kolonialmacht, von Separatisten und ihren Gegnern konfrontiert werden. Dies alles im Kontext eines wirtschaftlich schwachen Landes. Auf Desinteresse, Resignation und Passivität der Bevölkerung darf er hingegen wahrscheinlich nicht zählen.