Kein Kriegskirchen-Tag?

Militärkaplane während eines Begräbnisses in Afghanistan 2010. Bild: ISAF

Beim Massenevent in Berlin und Wittenberg sollte die christliche Basis eine Unabhängigkeit von der staatlichen Militärapparatur einfordern

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Eugen Drewermann ist hierzulande der einzige bekannte christliche Theologe, der seit vier Jahrzehnten ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Mächtigen in Staat und Kirche vorträgt, dass der Weg des Jesus von Nazareth jegliche Kollaboration mit der Kriegsapparatur ausschließt. In seinem Buch "Luther wollte mehr" (2016) traut er dem amtlichen Kirchentum in Deutschland allerdings keinen Mut zu dementsprechenden Einsprüchen zu:

... was machen wir mit der Militarisierung der Außenpolitik, was machen wir mit der Vergeudung von gigantischen Geldmitteln, die dann den Armen immer wieder fehlen, was machen wir mit der Dressur von heranwachsenden Siebzehnjährigen als Drohnenpiloten und als Massenmörder mit dem heutigen technischen Gerät? In all dem sehe ich die bestehenden Kirchen untätig und vollkommen angepasst. Sie vermeiden die Schwierigkeiten einer Auseinandersetzung um die prinzipiellen Fragen unterhalb der Oberfläche.

Eugen Drewermann

Der bevorstehende Evangelische Kirchentag bietet eine vorzügliche Chance, diese Einschätzung Drewermanns an der Praxis zu überprüfen oder ihr durch ein Friedensvotum der Kirchentagsbesucher - jenseits von nichtssagenden Allgemeinplätzen - zu widersprechen.

Deutsche Eintracht wie in alten Zeiten: Militärbischof als Liturge - Militärministerin als Predigerin

Mit gutem Beispiel voran geht die "Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden" (EAK), deren Bundesvorsitzender Dr. Christoph Münchow ein geistlich-weltliches Kirchentagsereignis der besonderen Art kritisiert. Bei einem Soldatengottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche soll der deutsche Militärbischof Dr. Sigurd Rink am Freitag den 26. Mai 2017 um 11.30 Uhr die Liturgie leiten, während die deutsche Militärministerin Ursula von der Leyen das Amt der Predigerin übernimmt. Eine solche "nicht hinnehmbare Vermischung von geistlichem und weltlichem Amt" könne als "Vitalisierung der Verbindung von Thron und Altar gewertet werden" und "gebe einen zusätzlichen Auftrieb für die immer wieder kolportierte Meinung, dass die Kirche die Waffen segne".

Der Theologe Horst Scheffler, selbst ehemaliger Militärseelsorger und heute Vorsitzender der evangelischen "Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden" (AGDF), schließt sich der EAK-Kritik ausdrücklich an. - Berthold Keunecke, Vorsitzender des Deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes, hat bereits am 10. April in einer Pressemitteilung das Wiederaufleben staatskirchlicher Liturgie-Traditionen beklagt: "Gottesdienste sind dem Friedensauftrag Jesu verpflichtet und damit keine Bühne für die Verfechter der Militärpolitik." Nicht Unterstützung für die PR der Ministerin sei Sache der Kirche, sondern eine starke Offensive "für den Einsatz gewaltfreier Methoden".

Wird EKD-Bischof Heinrich Bedford-Strohm gegenüber Barack Obama die Drohnenmorde ansprechen?

Gast der obersten protestantischen Kirchenleitung wird der ehemalige US-Präsident Barack Obama sein, der unter Moderation des EKD-Bischofs in Berlin mit der deutschen Regierungschefin Angela Merkel ins Gespräch kommen soll. Das entsprechende Massenevent trägt den Untertitel "Zuhause und in der Welt Verantwortung übernehmen". Die hierzu von Markus Kompa in einer Telepolis-Satire aufgeworfenen Fragen sind überaus ernster Natur.

Über ferngelenkte Drohnen tötet das US-Militärsystem (unter Einbeziehung seiner Logistik in Deutschland) auf dem Globus ohne Gerichtsurteil und ohne völkerrechtliche Grundlage Menschen, die nach dem Gutdünken sogenannter Experten als Zielscheibe ausgewählt worden sind.

Viele Muslime, deren Heimatregionen durch diesen mordtechnologischen Allmachtswahn in Räume der Angst verwandelt werden, sehen darin eine gotteslästerliche Anmaßung der Herrschaft über Leben und Tod. Aus christlicher Sicht kann diesem Urteil nur beigepflichtet werden. Mord bleibt Mord, auch wenn zwischen Mörder und Mordopfer viele tausend Kilometer liegen.

Der Hauptverantwortliche für die Ausweitung der mittels US-Drohnen global ausgeführten, extralegalen Todesstrafe heißt Barack Obama. Es wäre schwer nachvollziehbar, wenn der oberste evangelische Bischof ihn beim Berliner Podium über "Verantwortung in der Welt" nicht mit diesem Thema konfrontiert.

Was wird der Kirchentag zur Renaissance der Atombombe sagen?

Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmt die deutsche Regierung auf internationaler Ebene stets im Sinne der Atombombenbesitzer ab, verweigert sich also einer Ächtung der Bombe, und verficht zudem offensiv eine deutsche Atombombenteilhabe. (Die radikalisierten Bürgerlichen fordern derweil schon direkt die "Deutsche Bombe".)

Im Zuge der neuen Welt-Kriegsordnung ist längst ein erneuter Rüstungswettlauf angelaufen. Hierzu gehört die "Modernisierung" der Atomwaffen. Diese wird global am Ende wohl nicht Milliarden, sondern Billionen zulasten der Elenden auf der Erde verschlingen.

Nun sind die modernisierten "Bomben Satans" (G. Heidingsfelder) ausdrücklich für angeblich begrenzbare nukleare Einsätze vorgesehen. Mit den Spitzfindigkeiten der Adenauer-Ära und einem befristet tolerierten "Gleichgewichts des Schreckens" kann sich heute kein Theologe oder Kirchenleiter mehr herausreden. Die Militärseelsorger am Atombomben-Standort Büchel können den deutschen Soldaten, sofern sie Gott und nicht dem Staat dienstbar sein wollen, nur die christliche Weisung vorlegen:

Die Zündung einer Atombombe durch einen [...] Christen ist objektiv schwere Sünde, und zwar in jedem Fall […]. Eine solche Zündung darf auch dann nicht getan werden, wenn die Verweigerung einem das Leben kostet.

Karl Rahner

Es ist mit Gewissheit davon auszugehen, dass der oberste evangelische Bischof vom monströsen Neubau des Atombombensystems in unseren Tagen Kenntnis hat. Es wäre schwer nachvollziehbar, wenn er die deutsche Regierungschefin beim Berliner Podium über "Verantwortung in der Welt" nicht mit dem Thema "Deutsche Atombombenteilhabe" konfrontiert.

Kirchengelder für die Garnisonskirche zur ewigen Erinnerung an den "Tag von Potsdam"?

Im Zuge des deutschen Revisionismus, der mitunter ganz unverhohlene Voten für eine Rückkehr zur preußischen "Blut- und Eisen"-Staatskunst zeitigt, soll die Garnisonskirche von Potsdam - deutsch-"naturgetreu" - wiederaufgebaut werden.

Da in eben dieser Kirche am 21. März 1933 der Siegeszug der deutschen Faschisten gleichsam sakral besiegelt wurde, ist sie das traurigstes Bild für die Abgründe des preußischen Kriegsprotestantismus, dessen "Gotteshäuser" in vielen Fällen gewiss nicht der Verherrlichung Jesu Christi dienten, sondern der Anbetung des heidnischen Mars. Die Predigt zur "deutschen Erhebung" am Tag von Potsdam hat 1933 der deutschnationale Bischof Otto Dibelius gehalten. Die deutsch-katholischen Bischöfe mahnten dann am 3. Juni 1933 ihre Schäfchen, man dürfe im "nationalen Erwachen" jetzt nicht beiseite stehen.

Nun könnte sich freilich auch die evangelische Kirche nicht dagegen wehren, wenn staatliche und politische Kreise mit entsprechenden "Prioritäten" (in einer Gesellschaft mit zahllosen Armen) die Kirche von Hitlers Königskrönung mit vielen - vielen - Millionen wieder aufbauen. Das ist jedoch nicht die Frage! Denn offenbar zeigt die evangelische Kirche Bereitschaft, wie Bettina Röder in Publik-Forum berichtet, Kirchengelder in horrender Höhe beizusteuern - und zwar nicht für ein neugestaltetes Friedenssymbol, sondern eben für die getreue Wiederauferstehung des Militarismus-Heiligtums!

Die Initiative "Christen brauchen keine Garnisonskirche" bietet fundierte Hintergrundinformationen an und eine - bislang leider nur spärlich unterstützte - Erklärung. Für friedensbewegte Christen, die zum Kirchentag fahren wollen, gibt es Gelegenheit, auch hier ein Zeichen setzen. Sie könnten sich vor ihrer Anreise zu Hause fünf Minuten Zeit nehmen und die protestantische Erklärung gegen den Potsdam-Militärkirchen-Wahn zu Tausenden mit ihrer Unterschrift stärken.

Der kriegerische Schatten der Reformation

Martin Luther konnte bekanntlich ohne Tränen vom Blut der antifeudalistischen Bauern an seinem Hals sprechen und meinte zum Kriegshandwerk, sofern es aus seiner Sicht der rechten Sache diente:

Die Hand, welche das Schwert führt und würget, ist nicht mehr Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott hänget, rädert, enthauptet, würget, krieget.

Martin Luther

Das könnte heute ein ISIS-Ideologe auch nicht blasphemischer predigen. An anderer Stelle erläutert der Reformator:

Man darf beim Soldatsein nicht darauf sehen, wie man tötet, brennt, schlägt, gefangennimmt, usw. Das tun die ungeübten, einfältigen Kinderaugen, die [auch] dem Arzt nicht weiter zusehen, als wie er die Hand abnimmt oder das Bein absägt, aber nicht sehen oder bemerken, dass es um die Rettung des ganzen Körpers geht. Ebenso muss man auch dem Amt des Soldaten oder des Schwertes mit männlichen Augen zusehen, warum es so tötet und grausam ist. Dann wird es selber beweisen, dass es ein durch und durch göttliches Amt ist und für die Welt nötig und nützlich wie Essen und Trinken.

Martin Luther

Mit zeitbedingten Vorstellungswelten und Denkhorizonten kann man nicht alles entschuldigen. Denn es gab unter den reformationswilligen Zeitgenossen im 16. Jahrhundert ja auch pazifistische Christen . Deshalb verstiegen sich die Reformatoren in Artikel 16 der "Confessio Augustana" gar zu einer anti-jesuanischen Verdammung all jener, die eine Unvereinbarkeit zwischen Christentum und Krieg (sowie Todesstrafe) lehrten.

Auf diesen häretischen Bekenntnisartikel werden noch heute die lutherischen Kirchendiener verpflichtet, weshalb seine vom Versöhnungsbund angekündigte Rückführung nach Augsburg leider wirklich an der Zeit ist. Der Kirchentag 2017 könnte in dieser Sache ein vorauseilendes Votum von unten initiieren und vor aller Welt klarstellen, dass die auch im Einklang mit führenden Reformatoren vorgenommene Ermordung pazifistischer Christen heute nur glaubwürdig bedauert werden kann, wenn man zuvor die zugrundeliegende kriegskirchliche Irrlehre endlich amtlich verabschiedet.

Verschwörung gegen den Krieg

Einzelne Vertreter jener rar gewordenen evangelischen Pfarrer-Generation, die nach 1945 in weiten Teilen radikal mit den Traditionen eines staatstreuen Kriegskirchentums gebrochen hat, melden sich auch heute noch zu Wort und werden sich vielleicht auch auf dem Kirchentag 2017 bemerkbar machen.

Zu den eigenen Angeboten von Friedenschristen gehört u.a. ein Werkstatt-Programm , das sich z.B. mit Erasmus von Rotterdam, dem Zeitgenossen Luthers, beschäftigt. Ob die vor genau 500 Jahren vorgetragene Weisung dieses unermüdlichen Anklägers der Kriegskirchlichkeit in Berlin und Wittenberg Gehör findet, werden wir in wenigen Tagen wissen:

Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern. Den Frieden aber sollen sie im öffentlichen Leben und im privaten Kreise predigen, rühmen und überall in die Köpfe bringen.

Erasmus von Rotterdam

Die großen Kirchen in Deutschland, das sieht Eugen Drewermann leider allzu richtig, sind in Fragen der Kriegsmaschinerie "untätig und vollkommen angepasst". Hier gibt es wahrlich eine ökumenische Harmonie, aber sie gereicht den Christen und Christinnen in unserem Land nicht zur Ehre. 5