Kein Muezzin-Ruf aus der Toblerone

Schweizer mehrheitlich für ein in der Verfassung verankertes Verbot des Baus von Minaretten

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Der Kanton Genf mit seiner eleganten Hauptstadt, wo sich Ölprinzen muslimischen Glaubens mit Familie in Villen und Kliniken zur Sommerfrische niederlassen und zwischendurch Juweliergeschäfte und Privatflugzeughangars leerkaufen, ist eine Ausnahme. Dort war, wie in Basel und in den Westschweizer Kantonen Waadt und Neuenburg auch, die Mehrheit gegen die symbolbeladene Initiative. Die Mehrheit in den restlichen 22 Kantonen, insgesamt 57 Prozent der abgegeben Stimmen der Volksbefragung, votierte dagegen für den Verfassungszusatz, der kurz und prägnant formuliert: "Der Bau von Minaretten ist verboten."

Die Schweizer Regierung kommentierte das Abstimmungsergebnis umgehend. Noch am gestrigen Nachmittag teilte Justizministerin Widmer-Schlumpf mit, dass der neue Verfassungsartikel mit dem Bauverbot „sofort anwendbar“ sei und präzisierte die Anwendung der Bauvorschrift für laufende Verfahren. In diesem Zusammenhang wies Widmer-Schlumpf darauf hin, dass gegen ein Bauverbot „im Anwendungsfall“ der Rechtsweg offen stünde, dass letztlich das Schweizer Bundesgericht, wenn nicht gar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im Einzelfall das letzte Wort haben könnte.

Plakat der Intiatoren der Volksabstimmung

Natürlich ging es um sehr viel mehr als eine Bauvorschrift, das zeigte sich auch in der Erklärung des Bundesrats, die zum ersten Mal, wie die NZZ notiert, auch auf Arabisch erfolgte. Es geht um die „Marke Schweiz“, wie das gestern öfter zu lesen war, um das internationale Ansehen des Landes, um „interkulturelles Zusammenleben“, „religiösen Frieden“ und was es dergleichen mehr an sonntäglichen Beschwörungen gibt.

Demgegenüber steht ein Voksabstimmungsergebnis, das alle überraschte. Umfragen Mitte November hatten nur 37 Prozent Zustimmung vorausgesagt; alle Schweizer Parteien hatten sich gegen die sogenannte Minarett-Initiative ausgesprochen - alle außer die Schweizer Volkspartei SVP und die Eidgenössisch Demokratische Union (EDU) , die sich in ihren Stellungnahmen auch außerordentlich über das Ergebnis freuten. Die SVP kündigte gleich an, nicht zum ersten Mal, aber jetzt vom Erfolg beflügelt, weitere Verbote – z.B. Kopftuch am Arbeitsplatz, „Zwangsverheiratungen“ - zum öffentlichen Thema zu machen.

Für die beiden Intiatoren der Volksabstimmung (siehe Turmbau zu Basel), SVP und EDU, gibt es zwar Nuancen in der Interpretation, aber grundlegend ist für beide Parteien klar, Minarette sind ein Symbol des Islam, das über die Ausübung der Religionsfreiheit hinausgeht. Die Bauvorschrift soll den Muslimen in der Schweiz klare Grenzen ziehen.

Die EDU betont, „dass die Annahme dieser Initiative lediglich ein absolutes Bauverbot für Minarette zur Folge hat, aber keine Einschränkung der Glaubens- und Religionsfreiheit der Muslime. Diese können - wie Angehörige anderer Religionen in unserem Land - ihre Religion innerhalb des gesetzlichen Rahmens frei ausüben. Die muslimische Bevölkerung in der Schweiz kann ihre religiöse Überzeugung in ihrer Vielfalt leben, geschützter als in vielen islamischen Staaten“.

Dass man bei aller Korrektheit auch Zähne zeigen will, ist dann dort zu lesen, wo man erklärt, dass Regierung und Parlament „allfällige Drohungen und Erpressungsversuche von islamischer Seite unmissverständlich“ zurückweisen sollen und dass „klar gestellt wird, dass Schweizer Recht in unserem Land für alle Einwohner gilt“.

Umstrittenes Plakat der SVP

Die SVP setzte mit der Initiative dagegen unmissverständlich auf eine großpolitische Botschaft der Angst vor Überfremdung und vor der „Ausbreitung des Islam“. Die Minarette wurden, wie Plakate deutlich zeigten (siehe Der Aufstand des Gesindels und Gaddafis Rache), als Symbole für einen agressiven Islam dargestellt; mit Minaretten war auch gemeint: die Ausbreitung von Scharia, Vollverschleierung, Zwangsehen, genitale Verstümmelungen, Konspiration, Unterwanderung, Dschihad etc. , und ganz speziell: der Aufbau von Parallelgesellschaften.

Dass man mit dem Bau von Minaretten auch das Auftreten von Muezzins befürchtete, deren Gebetsrufe nicht nur an Bergwänden ein Echo finden, ist die harmloseste Erscheinung einer politisch instrumentalisierten Angst, die mit einem groß aufgehängten „Machtanspruch des Islam“ argumentiert, um viele kleine Stimmen zu fangen, die Angst vor der Arbeitslosigkeit und vor Kriminalität haben - von Anfang an war die Intiative mit Problemen verbunden, die manche Kommentatoren darauf zurückführen, „dass ein Großteil der Schweizer Muslime ethnische Albaner sind, und diese Volksgruppe im Bild der Schweizer Öffentlichkeit auch das organisierte Verbrechen dominiert. Dadurch erfolgt in der Wahrnehmung auch eine Verbindung von Islam und Kriminalität“.

Das Statement zur Volksabstimmung liest sich bei der SVP noch um einiges schärfer und aggressiver als dasjenige der EDU:

Die Zustimmung zum Verbot der Minarette zeigt auch, dass sich das Schweizer Stimmvolk klar gegen die Entstehung von Parallelgesellschaften durch eine zunehmende Ausdehnung des Islams in der Schweiz stellt. Unsere Rechte haben für alle zu gelten. Die Zuwanderung ist zu kontrollieren. Wer sich nicht an unser Recht hält, hat das Land zu verlassen.

Das Resultat bringt klar zum Ausdruck, wie gross das Unbehagen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gegen eine schleichende Islamisierung des Landes ist.

Wer sich nicht an unsere Regeln hält, hat sein Aufenthaltsrecht verwirkt. Die Duldung von an die Scharia angelehntem Ausnahmerecht kommt für die SVP nicht in Frage (z.B. Dispens vom Schwimmunterricht, Zwangsverheiratungen, separate Friedhöfe).

Da die Befürworter des Minarett-Verbotes weit über das Wähler-Potential der beiden Parteien SVP und EDU hinausgehen, muss sich die Schweizer Öffentlichkeit nun mit einer Stimmungslage befassen, die sie vor größere Schwierigkeiten stellt.

Mit dem Ergebnis des Volkentscheids werden sich nicht nur die Schweizer Außenpolitiker mehr befassen müssen, als ihnen lieb ist, und auch nicht nur, wenn es um Ghadafi geht. Auch die Parteien werden neu darüber debattieren, wie sie sich gegenüber diesem Ergebnis positionieren. Und natürlich hat die Sache, weil sie so sehr aufgeladen wurde, auch Auswirkungen auf das Image der Schweiz. Wirtschafts- und Tourismusverbände warnten vor einem Imageschaden, hieß es gestern.