Keine Alternative zur "Quantitativen Lockerung"?

Die EZB verstößt mit ihrem QE-Programm zwar gleich gegen zwei wichtige Grundregeln der Bundesbank, aber die Alternative wäre wohl ein Währungskrieg

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sechs Jahre nach Ausbruch der Weltfinanzkrise wird der gemeinsame Albtraum deutscher Geldpolitiker und Finanzjournalisten nun also Wirklichkeit. Wie die führenden deutschen Wirtschaftsmedien und selbst Telepolis (Europäische Zentralbank mutiert zur Bad Bank) weitgehend übereinstimmend mit dem Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn monieren, werden jetzt von der EZB "Ramschanleihen" (aus Griechenland und Zypern) aufgekauft. Dadurch werde die EZB zur "Bad Bank" Europas und lade sich "jene Kreditrisiken auf, die eigentlich die Banken tragen sollten".

Im Handelsblatt darf dann auch noch der Londoner Europarechtler Gunnar Beck einen mehrfachen Rechtsbruch der EZB behaupten, weil sie Wertpapierkäufe "nur über den Kapitalmarkt zu Marktpreisen, zu geldpolitischen Zwecken und gemäß dem 'Vorsichtsprinzip' nur gegen ausreichende Sicherheiten" durchführen dürfe, was bei "Ramschpapieren" nicht der Fall sei.

Die EZB würde zudem "marode Banken entschulden" und "Unternehmenskredite subventionieren", wodurch ihr Eigenkapital "selbst bei begrenzten Ausfällen aufgezehrt werden" könne. Die Lücken müssten dann die Euro-Regierungen schließen, "andernfalls müsste die EZB neues Geld drucken", wobei sich doch die Frage stellt, wie die EZB diese Anleihen denn anders ankaufen sollte als mit der Nutzung ihres exklusiven Rechts, Euros nach Belieben aus dem Nichts zu produzieren.

Die Aufregung ist dennoch gut verständlich, denn mit ihrem QE-Programm verstößt die EZB formal massiv gegen zwei wichtigen Grundregeln der Bundesbank, deren Befolgung sie ihren Aufstieg zur weltweit solidesten Notenbank zu verdanken hatte - und das war abgesehen vom Fußball nach dem Krieg so ziemlich das Einzige, was den Bundesbürgern so etwas wie internationale Geltung verschaffte. So war die BuBa streng dem "monetaristischen" Prinzip gefolgt, die Geldmenge nur entsprechend der realwirtschaftlichen Geldnachfrage auszuweiten, was im Falle des "Quantitative Easing" jedenfalls nicht der Fall ist.

Nach dem "Sayschen Gesetz", wonach das Preisniveau positiv von der Geldmenge und der Geldumlaufgeschwindigkeit und negativ von der Gütermenge abhängt, müsste das bei gleich bleibendem Güterangebot zu steigenden Preisen führen, was der BuBa neben der direkten Staatsfinanzierung seit jeher als schwerste geldpolitische Sünde gilt. Aller Voraussicht nach wird mit dem Programm auch die schon vor 150 Jahren von Walter Badgehot aufgestellte Regel verletzt, dass die Notenbank auf "gute Sicherheiten" ("Lend freely against good colateral") bestehen müsse. Denn selbst wenn die EZB tatsächlich keine "Schrottpapiere" aufkaufen würde (wobei "Junkbonds" als Anleihen ohne Investment-Grade-Rating definiert sind), ist bei privaten Wertpapieren stets mit Rating-Verschlechterungen zu rechnen.

Da die von der EZB nun (abgesehen von Griechenland und Zypern) verlangten "Level 3"- Bewertungen, die übrigens auch die Minimal-Anforderungen für EZB-Kredite darstellen, nur einen "Downgrade" vom "Junk"-Status entfernt sind, werden bei substantiellen Käufen einige der Papiere über die Laufzeit in diesen Bereich abrutschen und müssten in der Bilanz der EZB dann auch entsprechend wertberichtigt werden.

Diesen Ramsch-Status haben private Anleihen aus Griechenland und Zypern hingegen schon grundsätzlich völlig unabhängig von ihrer Qualität, weil die Ratingagenturen privaten Wertpapieren prinzipiell keine besseren Ratings erteilen als den Mutterländern ihrer Emittenten. Solange die Regierungen von Griechenland und Zypern also selbst nur über ein Junk-Rating verfügen, muss das Eurosystem dieses bei Papieren aus diesen Ländern akzeptieren, will sie (bzw. die nationalen Notenbanken) die operative Geldversorgung dieser Länder weiterhin sicherstellen. Darüber hinaus, so behauptet jedenfalls die EZB, stelle sie an diese Papiere dieselben Anforderungen wie an alle anderen auch.

Allerdings bleibt die EZB in ihren Erläuterungen zu den Details der Ankäufe schwammig und verschiebt etwa eine Präzisierung, was genau sie im Bereich der "Asset Backed Securities" ("ABS") unter "garantierten Mezzanin-Tranchen" versteht, auf später. Bislang liegen auch keine Angaben zu den Preisen vor, die sie zu zahlen gedenkt, wobei sie jedenfalls bis zu 40 Prozent an Überdeckung ("Haircut") verlangt, werden ihr vergleichbare Anleihen als Sicherheiten für EZB-Kredite übereignet.

Längst sind die negativen Folgen offensichtlich

Nach den Erfahrungen der letzten Krise sollte der EZB jedoch zuzutrauen sein, die Risiken von strukturierten ABS realistisch einzuschätzen. So werden "synthetische" ABS, die während der Subprime-Krise überwiegend Totalverluste erlitten hatten, komplett ausgeschlossen und nur Papiere akzeptiert, die tatsächlich mit Krediten an die Realwirtschaft unterlegt sind, wobei eine Überdeckung von mindestens 120 Prozent verlangt wird.

Würde die EZB also tatsächlich gewaltige Verluste einfahren, müsste dies wohl politisch gewollt oder von betrügerischen Profitinteressen getrieben sein. Würde vielleicht dereinst als wahrer Hintergrund des QE-Programmes aufgedeckt, dass es nur deshalb etabliert wurde, weil Hedgefonds und Investmentbanken verzweifelt nach einer Gegenpartei gesucht hatten, die sie als Gegenseite ihrer Sicherungsgeschäfte missbrauchen konnten, mit denen sie auf einen Marktzusammenbruch spekulieren wollten, dann wäre wohl ein für alle Mal geklärt, dass es nicht wirklich sinnvoll ist, ehemalige Goldman Sachs-Investmentbanker an die Spitze einer Notenbank zu stellen.

Würde sich die EZB aber nur halbwegs entsprechend der traditionell soliden geldpolitischen Gepflogenheiten verhalten, dann sollten die Verluste auf ihr Portfolio jedenfalls nicht bedrohlich hoch ausfallen, insbesondere da es ja in der Hand der EZB selbst liegt, die Preise der privaten Vermögenswerte und Einkommen stabil zu halten, die den Anleihen als Sicherheiten dienen. Kann die EZB also einen Preiseinbruch bei den Sicherheiten verhindern, sollten die auf das Anleihenportfolio kassierten Zinsen die Kreditverluste deutlich übersteigen. In diesem Fall würden die Ausschüttungen an die nationalen Notenbanken und somit an die Staatsbudgets wohl substantiell ansteigen, was für Deutschland im besten Fall durchaus einen niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag bedeuten könnte.

Voraussetzung dafür ist freilich, dass die nächste globale Finanzkrise noch weiter hinausgeschoben wird, die - egal wo sie ausbricht - sicherlich auch in Europa alte Wunden aufreißen, Vermögenspreise senken und wohl alle Wachstumshoffnungen auf Jahre hinaus vernichten würde. Dummerweise ist die nächste globale Finanzkrise bereits absehbar und könnte schon vom Ende des bereits seit sechs Jahren laufenden "Quantitative Easing" der USA und Großbritanniens eingeleitet werden, dass die internationalen Finanzmärkte ja schon länger in Aufregung versetzt.

So haben diese Programme zwar immerhin dafür gesorgt, dass die Wirtschaftsleistung der USA und Großbritanniens das Vorkrisenniveau inzwischen wieder deutlich übersteigt, während sie in Europa noch immer dahinter zurückbleibt. Längst sind aber auch die negativen Folgen offensichtlich, die sich in weltweit steigenden Vermögenspreisen, "absurd niedrigen" Risikoprämien und einer Reihe von Finanzblasen zeigen, die jederzeit platzen könnten. Ganz abgesehen davon, dass durch QE offenbar auch die allgemeine Überschuldung und die Schiefe der Einkommensverteilung weiter verschärft wurde. Hingegen ist wenig von steigenden Unternehmensinvestitionen zu bemerken, die besonders in Japan und UK deutlich weniger stark zugenommen haben als der Konsum und die Staatsausgaben, während der etwas stärkere Zuwachs in den USA vor allem auf den Shale-Gas-Boom zurückzuführen sein dürfte. Jedenfalls hatten, wie Fed und BoE selbst zugeben, die bisherigen QE-Versuche wenig Einfluss auf die Unternehmensinvestitionen gezeigt und beschränkten sich die konjunkturellen Wirkungen weitgehend auf "Vermögenseffekte".

Nachdem es mittlerweile aber Fed und BoE nicht mehr wagen (bzw. der Widerstand in den geldpolitischen Gremien überhand nimmt), die Vermögenspreise weiter anzuheizen, stellt sich zunehmend die Frage, wie diese Überbewertungen abgebaut werden sollen, ohne den internationalen Finanzsektor - und damit die schwachen Schuldner der gesamte Welt - neuerlich in den Abgrundes zu reißen.

EZB setzt auf Euro-Abwertung

So dürfte jedem Geldpolitiker bewusst sein, was es bedeuten könnte, wenn der aktuelle Wall-Street-Finanzzyklus dreht und die Risikoneigung an den globalen Finanzmärkten abrupt abnimmt. Insofern drängt sich auf, den führenden Notenbanken einen informellen Pakt zu unterstellen, der dem Euro und dem Yen vorübergehend eine stärkere Unterbewertung gegenüber dem Dollar erlaubt, wenn EZB und Bank of Japan dafür die auslaufenden QE-Programme von Fed und BoE tatkräftig substituieren.

Denn nach den bisherigen Erfahrungen kann die EZB realistischerweise nicht erwarten, dass die europäischen Banken durch ihr vergleichsweise bescheidenes QE-Programm (selbst die von Draghi inzwischen zurückgenommene eine Billion Euro wäre nur knapp ein Drittel der US-Variante) nun endlich großzügig Unternehmensinvestitionen finanzieren würden, die sie zuvor als zu riskant eingeschätzt hatten. So dürfte für substantielle Effekte wohl auch die Nachfrage seitens der Unternehmen fehlen, für die wohl nur deutlich verbesserte Zukunftserwartungen sorgen könnten.

Was die EZB hingegen erwarten kann, sind vor allem höhere Hypothekenschulden und steigende Immobilienpreise, was zwar - wie in den USA und in UK - spürbare konjunkturelle Folgen haben könnte, allein aber kaum für einen selbsttragenden Aufschwung ausreichen würde. Zudem wird auch der EZB nicht entgangen sein, dass sich die Immobilienpreise in etlichen Eurozoneländern bereits jetzt auf ungewöhnlich hohen Niveaus befinden, wovor nicht zuletzt auch die lokalen Notenbanken bereits eindringlich warnen.

Dass die EZB diese Gefahr dennoch in Kauf nimmt, lässt sich wohl nur damit erklären, dass sie tatsächlich auf eine weitere substantielle Abwertung des Euro abzielt, die sowohl die Auslandsnachfrage ankurbeln wie die Deflationsgefahr bannen würde. Dann hätte die EZB jedenfalls die Geschichte auf ihrer Seite, denn seit dem Ende der fixen Dollar-Wechselkurse am Anfang der 1970er Jahre hatten die EU-Länder schwerere Wirtschaftskrise stets nur dann überwinden können, wenn ihnen dabei von einem starken Dollar geholfen wurde.

Diesmal stünde die Eurozone allerdings Seite an Seite mit Japan, was die Belastungen für Pfund und Dollarraum erheblich steigern würde, die zudem ihrerseits große Hoffnungen auf steigende Exporte setzen. Insofern erscheint ein Währungskrieg jedenfalls eher wahrscheinlich, als ein geheimer Pakt im Hintergrund; und weil Währungskriege heute über die Geldpolitik geführt werden, ist bei aller Unsicherheit immerhin klar, dass in diesem Fall jedenfalls die Finanzmärkte die Sieger wären.