Keine Notlage? Gesetz zu Krisenhilfen für Studierende wirkungslos

Keine reichen Eltern? Pech gehabt. Symbolbild: Ferdinand Herndler auf Pixabay (Public Domain)

Der am Donnerstag vom Bundestag beschlossene Notfallmechanismus greift nur bei großflächigem Jobverlust, nicht bei Kostenexplosionen. Kritiker beklagen Etikettenschwindel.

Am Donnerstag verkündete Lina Seitzl, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bildungsausschuss, per Pressemitteilung in stolzem Tonfall: "Das BAföG wird krisenfest.". Zuvor hatte das Parlament in zweiter und dritter Lesung einen sogenannten Notfallmechanismus verabschiedet.

Der sieht die Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz selbst für eigentlich nicht Anspruchsberechtigte vor, sobald es im Land mal wieder drunter und drüber geht – wie etwa zu Corona-Zeiten, als während zweier monatelanger Lockdowns Hunderttausende Studentenjobs weggebrochen waren.

Das beschlossene 28. BAföG-Änderungsgesetz ist laut Bundesregierung dann auch eine "direkte Reaktion" auf die Erfahrungen aus der Pandemie. Das bringt den Gebeutelten nachträglich zwar gar nichts, bietet ihnen aber für den Fall kommender Krisen einen gewissen Grad an Sicherheit, nicht erneut finanziellen Schiffbruch zu erleiden. Oder, wie Seitzl es formulierte, die Koalition treffe Vorsorge, "um in künftigen Krisen Auszubildende zuverlässig und planbar abzusichern".

Was die SPD-Politikerin verschwieg: In der aktuellen Energie- und Inflationskrise, die viele junge Menschen existenziell gefährdet, hilft das neue Gesetz mitnichten. Nicht, weil es zu spät käme – das Regelwerk tritt nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten zeitnah in Kraft. Das Problem ist ein anderes: Die Kriterien für das Vorliegen einer Notlage sind so eng gefasst, dass es in der gegenwärtigen Situation schlicht nicht greift.

"Nur eine Worthülse"

Zur Anwendung käme es tatsächlich nur für den Fall, dass "erhebliche Nachfrageeinbrüche auf dem Arbeitsmarkt für ausbildungsbegleitende Erwerbstätigkeiten" bestehen. Exorbitant steigende Preise für Strom, Gas, Heizung und Lebensmittel sowie obszön überteuerte Mieten mögen die Betroffenen zwar schlimm treffen, in die Zahlungsunfähigkeit treiben und vielleicht zur Aufgabe ihres Studiums nötigen. Laut Gesetz besteht damit allerdings keine Notlage.

Entsprechend groß ist die Enttäuschung bei Verbandsvertretern. "Der Notfallmechanismus ist nur eine Worthülse, wenn nicht alle Studierenden und nur ein Bruchteil aller Krisen mitbedacht werden", monierte der studentische Dachverband fzs. "Für viele Studierende in akuten Notlagen wird der Notfallmechanismus – jetzt und in Zukunft – keinen Cent bereithalten", erklärten die Juso-Hochschulgruppen. Und der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Matthias Anbuhl, bekräftigte: "Krise ist Krise, und in einer jeglichen Krise muss der BAföG-Notfallmechanismus greifen können."

Wozu diese Limitierung eines eigentlich sinnvollen Regulariums? Und wie fantasielos muss man sein, bei "Krise" einzig an Jobverlust zu denken? Ja, der Anstoß dazu kam durch Corona, aber seit Mai, dem Start ihrer Gesetzesinitiative, vergingen viele Monate, in denen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watziger (FDP) die Vorlage hätte nachbessern und – angesichts der galoppierenden Inflation – auf die Höhe der Zeit bringen können.

Tropfen auf den heißen Stein

Aber nichts passierte, alles blieb wie gehabt. Dabei hat die Ampelregierung in der Zwischenzeit mehrere "Entlastungspakete" geschnürt, wobei im Rahmen des dritten sogar Studierende – und zwar alle – mit einem einmaligen 200-Euro-Energiebonus bedacht werden sollen. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber doch immerhin ein Signal der Erkenntnis bei der Politik, dass auch die knapp 2,9 Millionen Hochschüler im Land schwere Zeiten durchmachen.

Oder will die Koalition mit ihrem neuesten Pseudogesetz den Studierenden vermitteln, dass sie besser nicht auf weitere Hilfen hoffen sollten? Damit würde sie zumindest Kontinuität beweisen, denn schon während der Corona-Krise ließ die damals noch Große Koalition sie weitgehend im Stich. Die sogenannten Überbrückungshilfen für pandemiebedingte Härtefälle kamen reichlich verspätet, fielen mit maximal 500 Euro pro Monat recht kümmerlich aus und konnten wegen allerhand bürokratischer Fallstricke von vielen Bedürftigen nicht beansprucht werden.

In diesem Stil ging es weiter. Der im Frühjahr beschlossene Heizkostenzuschuss von 230 Euro beziehungsweise die 300-Euro-Energiepauschale sind lediglich auf BAföG-Empfänger und Studierende mit steuerpflichtigem Job gemünzt. Und in mehreren Bundesländern wurde das Geld bis heute nicht ausgezahlt. Zur Hängepartie droht auch der 200-Euro-Bonus zu werden. Denn noch ist völlig unklar, wie man an die Kontodaten von knapp drei Millionen Studierenden kommen soll. In diesem Jahr wird es ziemlich sicher nichts mit der Überweisung.

Ein Drittel der Studierenden lebt bereits in Armut

Derweil nehmen die Nöte zu. Bereits im Mai hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband in einer Studie festgestellt, dass ein Drittel der Studierenden in Armut lebt. Die Zahlen bezogen sich auf den Stand 2019, also die Zeit vor Corona, und die anhaltende Preisexplosion im Gefolge des Ukraine-Krieges hatten die Forscher schon gar nicht auf dem Zettel.

Seither sind die Energie- und Erzeugerpreise regelrecht explodiert, womit selbst die seit 1. August wirksame 5,75-Prozent-Zulage beim BAföG wieder verpufft ist. Und BAföG-Leistungen beziehen derzeit nur elf Prozent aller Studierenden. Dazu haben die Mieten für studentischen Wohnraum massiv zugelegt, für WG-Zimmer im Schnitt um mehr als elf Prozent, für Wohnungen um knapp sechs Prozent. In München und Stuttgart kostet eine 30-Quadratmeter-Bleibe warm fast 800 Euro, währen die BAföG-Wohnpauschale 360 Euro beträgt.

Wie sollen sich Normalstudierende ohne Rücklagen und reiche Eltern das alles auf längere Sicht noch leisten? Griffe der sogenannte Notfallmechanismus, hätten die akut Bedrängten immerhin vorübergehend Anspruch auf staatliche Hilfen, entweder als Kombination aus Zuschuss und Darlehen oder als Volldarlehen. Die Modalitäten müssten für den konkreten Fall per Verordnung festgelegt werden.

Kein Stress beim BMBF

Nun wird es diesen Fall aber so bald nicht geben, es sei denn demnächst machten flächendeckend Cafés, Bars und Restaurants dicht und es wären plötzlich wieder haufenweise Studenten ohne Job. Wenn nicht, bliebe wenigstens für BAföG-Empfänger die Hoffnung auf die nächste BAföG-Reform. Die will Stark-Watzinger noch in der laufenden Legislaturperiode auflegen und damit den Kreis der Anspruchsberechtigten erheblich ausweiten.

Darauf baut auch der Studierendenverband fzs: "All das, was dieses und letztes Mal versäumt wurde, muss in einem kommenden 29. Änderungsgesetz ausgeglichen werden!" Im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) macht man sich wegen der Sache indes keinen Stress. "Der Zeitplan für die nächste Reform des BAföG steht noch nicht fest, hieß es auf Anfrage. Auch die "Inhalte weiterer Reformschritte" wären bisher ungeklärt. Kommt Zeit, kommt Rat – oder Notstand.