Khashoggi und der Kronprinz

Seite 2: Realpolitik mit Mitteln, die eigentlich in eine Fiktion gehören?

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Zum anderen zeigen Reaktionen aus Riad auf Kritik anderer Staaten, wie jüngst aus Kanada und zuvor auch aus Deutschland, einen "no bullshit"-Modus, der das Gegenteil traditioneller Diplomatie ist: keine Versuche, mit freundlichen, unverbindlichen Floskeln zu deeskalieren, stattdessen Zurechtweisungen, dass "innere Vorgänge" niemanden außerhalb etwas angehen, dass Menschenrechte kein Thema sind sowie Androhungen von Konsequenzen, die sofort umgesetzt werden.

Das kann ins Lächerliche kippen und wird von Journalisten auch immer wieder mal als Schuss nach hinten oder in den eigenen Fuß geschildert, zu beachten ist aber auch, dass man inzwischen vom Auslöser des Streits zwischen Kanada und Saudi-Arabien - den Verhaftungen der Menschenrechtsaktivisten - nichts mehr hört und auch der Streit öffentlich irgendwie begraben ist. Jedenfalls in einer Weise aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, dass Saudi-Arabien daraus keinen Nachteil hat.

Das Beispiel des Umgangs mit dem libanesischen Premierminister Hariri in Saudi-Arabien liefert einen anderen Hinweis darauf, wie die neue Führung des Landes, formell unter einem greisen König, de facto unter dem jungen Kronprinzen, zu Mitteln greift, die man eigentlich zu Fiktion zählt, nicht zur Realpolitik.

Alle Welt rätselte, ob Hariri tatsächlich in Saudi-Arabien mit Gewalt festgehalten würde, zugleich widersprach dies jeder gewohnten Seriosität (obwohl es laut Beobachtern schon einschlägige Vorgeschichten mit Politikern aus Ägypten gab). Die Version, dass das Königreich den libanesischen Ministerpräsidenten gekidnappt habe, erschien vielen wie eine Verschwörungstheorie.

Monate später bestätigte der französische Präsident Macron, dass Hariri mit Gewalt festgehalten worden war.

Die Abgründe, die sich im Fall Khashoggi zeigen, betreffen auch die amerikanische Regierung, insbesondere Washington, nicht nur weil Khashoggi dort tätig war, sondern vor allem, weil man in den USA über Jahrzehnte(!) hinweg, wie eine Übersicht sehr anschaulich macht, am Bild von Saudi-Arabien arbeitet, das stets auf Reformen und bessere künftige Verhältnisse bedacht ist.

Mohammed Bin Salman wurde zum Posterboy für das neue, bessere Saudi-Arabien, auch in Deutschland. Tatsächlich nimmt der Kronprinz Reformen vor, den Umbau der Rentenwirtschaft, die Fahrerlaubnis für Frauen zum Beispiel, aber es gibt keine Veränderung bei der Aufsicht von Männern über Frauen. Und die Menschenrechtssituation bleibt katastrophal.

Wie an der Berichterstattung über Russland und Putin zu sehen, gäbe es auch andere Härtegrade, um mit der saudi-arabischen Politik umzugehen. Aber das Land ist ein wichtiger Verbündeter westlicher Länder und ein Geschäftspartner für lukrative Waffengeschäfte. Insofern ist besser, wenn das Image dazu passt.

Politische Interessen der Türkei

Ein anderer Abgrund tut sich aber auch aufseiten der Türkei auf. Das Land steht seit dem Putsch im Visier der internationalen Medien nicht zuletzt wegen seines Vorgehens gegen Journalisten. Dass nun ausgerechnet Mitglieder der türkischen Regierung Riad unterstellen, dass man einen missliebigen Journalisten per Auftragsmord beseitigen lässt, hat einen eigenen Geschmack.

Es gibt entsprechend auch Stimmen, die der Türkei in der Sache Khashoggi einen Hoax vorwerfen. Als Motiv wird erwähnt, dass sich die Türkei, deren Präsident aus seiner Sympathie zur Muslimbruderschaft keinen Hehl macht und der Katar nahesteht, politisches Kapital aus den Vorwürfen gegen Saudi-Arabien erhofft.

Sämtliche Fragen sind am Montagmittag offen.