Kiesewetter-Mord: Bundesanwaltschaft verweigerte Ermittlern Akten

Grafik: TP

NSU-Ausschuss in Stuttgart stellt Aufklärung der "FBI-Frage" zurück

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"Waren zum Zeitpunkt des Anschlages auf die zwei Polizeibeamten in Heilbronn im April 2007 zwei FBI-Agenten am Tatort Theresienwiese und wurden Zeugen der Schüsse?" Diese Frage, der der NSU-Untersuchungsausschuss II (UA) des Landtags von Baden-Württemberg bei seinen letzten Sitzungen nachgegangen war, hat er jetzt erst einmal zurückgestellt.

Er wartet auf eine schriftliche "Sachverhaltsdarstellung" des Bundesnachrichtendienstes (BND), wie der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler, SPD, gegenüber der Presse erklärte. Danach wolle man entscheiden, ob weitere Zeugen gehört werden sollen. Der BND soll im Dezember 2011 nach dem Auffliegen des NSU von US-Seite die Information über die Anwesenheit der zwei FBI-Agenten beim Polizistenmord bekommen und ein Gesprächsangebot abgelehnt haben. Das geht aus einem behördeninternen Schriftwechsel hervor, den Telepolis veröffentlicht hat.

Bei der letzten UA-Sitzung im Dezember 2016 bestritt der frühere BND-Präsident Ernst Uhrlau in nicht-öffentlicher Sitzung den Sachverhalt. Bisher seien die Inhalte der Schreiben von keinem BND-Beamten bestätigt worden, hieß es im Ausschuss. Uhrlau damit zu konfrontieren, dass die Briefe seine Unterschrift tragen, kam den Abgeordneten offensichtlich nicht in den Sinn.

Weitere Zeugen

Tatsache ist, dass es zur FBI-Frage weitere Zeugen gibt, die sich gemeldet haben und die auch der Ausschuss kennt. Der Bericht des BND wird in diesen Tagen erwartet.

Gleichwohl befragte der Ausschuss einen Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) namens "Michael Ackrath" dennoch nach der FBI-Spur. Vielleicht, weil dessen Antwort zu erwarten war. Er gab die Auskunft des Amtes gegenüber dem Bundestag wieder, man habe "keine Erkenntnisse über die Anwesenheit von US-Diensten oder anderen Geheimdiensten" am Tattag in Heilbronn. Die Mehrheit des Ausschusses bezweifelt die FBI-Spur und hätte das Thema lieber gestern als heute vom Tisch.

Stark 20 Minuten konnte das Publikum dem BfV-Mann zuhören, der nur hör-, aber nicht sichtbar in einem Nebenraum befragt wurde, ehe die Befragung gänzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit weitergeführt wurde. Dieser Teil dauerte dann fast zwei Stunden. Über den Inhalt erfuhr man nichts.

Wiederholte Behinderungen

Die Ermittlungen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und dem Mordversuch an ihrem Streifenpartner Martin Arnold in Heilbronn am 25. April 2007, der sich im Frühjahr zum zehnten Mal jährt, litten unter wiederholten Behinderungen. Und zwar sowohl vor dem Auffliegen des NSU im November 2011 als auch danach.

Angefangen von der ominösen DNA-Spur einer unbekannten Frau, die sich nach zwei Jahren als Verunreinigung entpuppte und die immer noch verfolgt wurde, obwohl der Verdacht längst evident war, über die unterdrückten Fahndungsphantom-Bilder bis zur tendenziösen Festlegung der Bundesanwaltschaft, die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos solle nachgewiesen werden. Die jüngste Sitzung des Kiesewetter-Ausschusses lieferte weitere Beispiele, wie die Ermittlungen regelrecht ausgebremst wurden.

Frank Dittrich, Vizechef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von BaWü machte eine Bemerkung, eher beiläufig, die eine ganze Geschichte erzählt.

Zunächst: Der Verfassungsschutz will keine Erkenntnisse über Kontakte der rechtsextremen Szene mit dem NSU gehabt haben, als der sich schon so nannte und das Morden ab 2000 begonnen hatte. Dass er doch welche gehabt haben muss, sei an dieser Stelle einmal ausgeklammert. Es betrifft unter anderem die Affäre um den LfV-Beamten Günter S., der im Jahre 2003 von einem Informanten über eine ostdeutsche Terrorgruppe namens "NSU" sowie einem Mitglied namens "Mundlos" und vier weiteren Mitgliedern erfahren haben will. Die Behörde bestreitet das, und die Abgeordneten glauben ihr, können den Sachverhalt deshalb auch dem LfV-Vertreter nicht vorhalten.

Immer ergebnislos befragt

Als der Ausschuss nun wissen wollte, welche Rolle der Landesverfassungsschutz nach dem allgemeinen Bekanntwerden des NSU am 4. November 2011 einnahm, antwortete Frank Dittrich so: Seit Ende November 2011 hätten sie mehrfach Befragungen ihrer Quellen vorgenommen - ohne großen Erfolg. Sogar als dann die Phantombilder von Heilbronn in der Zeitung veröffentlicht wurden, - im Juli 2013 - hätten sie ihre Quellen anhand dieser Phantombilder ebenfalls befragt, allerdings erneut ergebnislos.

Was der Verantwortliche einer nominellen Sicherheitsbehörde mit dieser Bemerkung, sollte sie stimmen, so ganz nebenbei offenlegte: Der Verfassungsschutz hat die Phantombilder, die die Ermittler der Sonderkommission (SoKo) Parkplatz ab 2007 für die Fahndung nach den Polizistenmördern erstellen ließen, offensichtlich nie bekommen. Er hat damit also nie arbeiten und bei der Tätersuche mithelfen können.

Das rückt erneut das fragwürdige Handeln der zuständigen Staatsanwaltschaft Heilbronn in den Blickpunkt, die der SoKo Parkplatz jegliche Veröffentlichung eines Phantombildes zu Fahndungszwecken untersagt hatte. Selbst intern wurde dieses Mittel zur Aufklärung also sabotiert.

Keines der Phantombilder ähnelt nur im geringsten Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos, die nach Ansicht der Bundesanwaltschaft die alleinigen Täter von Heilbronn gewesen seien. Wenn nun eine Verfassungsschutzbehörde mit diesen Bildern, die nicht zu den behaupteten Tätern passen, ihre V-Leute befragt, bedeutet das gleichzeitig: Das LfV muss selber Zweifel an dieser Zwei-Täter-Uwe-Uwe-Theorie gehabt haben. In der Tat war die SoKo Parkplatz vor dem November 2011 zu der Einschätzung gelangt, der Anschlag müsse von mindestens vier bis sechs Tätern durchgeführt worden sein.

Telefonliste

Nicht genug: Auch mit der sogenannten Garagen-Adress-Liste von Uwe Mundlos will es dem Nachrichtendienst ähnlich ergangen sein wie mit den Phantombildern. Auf der Liste stehen über 40 Namen von Personen inklusive Telefonnummern aus Jena, Chemnitz, Rostock oder Nürnberg. Vier V-Männer sind darunter, einer war "Corelli" alias Thomas Richter. Drei Personen kamen aus Ludwigsburg. Zwei von ihnen befragte der Ausschuss zum Ende der Sitzung ebenfalls, der dritte ist vor Jahren verstorben.

Diese Telefonliste, die die Polizei im Januar 1998 bei einer Razzia in Jena in einer von Zschäpe gemieteten Garage fand, - daher der Name - und seitdem im Besitz des BKA war, soll dem LfV von BaWü, wie Dittrich erklärte, erst Anfang 2013 zur Verfügung gestellt worden sein. Und erst daraufhin will das Amt von den engen und langjährigen Verbindungen zwischen den Neonazi-Szenen von Chemnitz, Jena und Ludwigsburg gewusst haben.

Aufgelöst

Der größte Schlag gegen die Mordermittler beim LKA in Stuttgart erfolgte von ganz oben nur ein halbes Jahr nach der Aufdeckung des NSU. Zunächst hatte das LKA mit seiner SoKo Parkplatz noch dem BKA zugearbeitet, als sogenannter "regionaler Ermittlungsabschnitt", kurz: "RegEA". Doch zum Mai 2012 wurde die Gruppe aufgelöst. Der Beschluss fiel exakt einen Tag nach dem fünften Jahrestag des Kiesewetter-Mordes am 26.4.2012.

Dass die Ermittlungen längst nicht abgeschlossen waren, belegte die Einsetzung der Ermittlungsgruppe (EG) Umfeld durch den Innenminister im Januar 2013. Warum löst man eine Ermittlungsgruppe auf und gründet eine nächste?, fragte sich der Abgeordnete Boris Weirauch, SPD. Vielleicht liegt die Antwort in den fehlenden Kompetenzen der EG Umfeld, die nur folgenlose Befragungen durchführen durfte, aber keine zwingenden Vernehmungen. Als "Papiertiger" bezeichneten mehrere Mitglieder des NSU-Ausschusses im Bundestag sie.

Durfte das von oben angeordnete Ermittlungsziel "Böhnhardt und Mundlos" nicht gefährdet werden?

Vorgabe des Generalbundesanwaltes

Jedenfalls: Mit der Abschaltung des RegEA BaWü waren die Mordermittler des Bundeslandes von vielen Informationen abgeschnitten. Weil das LKA Kritik äußerte, kam es zu einem aufwendigen und komplizierten Verfahren. Die Fahnder aus Stuttgart mussten zum BKA nach Meckenheim reisen, wo sie Akteneinsicht nehmen konnten.

Wenn sie Akten ausgehändigt haben wollten, mussten sie nicht nur die Seitenzahlen angeben, sondern auch eine rechtliche Begründung liefern. Das Prozedere sei eine Vorgabe des Generalbundesanwaltes (GBA) gewesen, erklärte Axel Kühn, der damals die NSU-Ermittlungen im BKA leitete, dem Untersuchungsausschuss. Nach zielgerichteten, koordinierten Mordermittlungen sieht das nicht aus. In den Augen des Ausschussvorsitzenden Drexler ein "obskures Verfahren", das einer "Ermittlungssperre" gleichkomme.

Ganz Ähnliches berichtete der damalige Leiter der Abteilung Staatsschutz beim LKA von Baden-Württemberg, Karl-Heinz Ruff. Die Aktenherausgabe sei sehr "zeitaufwendig" gewesen oder von der Bundesanwaltschaft sogar "verweigert" worden.

Allerdings muss sich auch das Landeskriminalamt Fragen gefallen lassen. Denn die erwähnte "Garagenliste" von Mundlos will der Staatsschutz, so Ruff, zwar auch erst nach Aufdeckung des NSU erhalten haben, "Ende 2011, Anfang 2012", der Landesverfassungsschutz jedoch musste ein weiteres Jahr darauf warten. Wurde die Liste nicht von Amt zu Amt weitergegeben?

Die Mundlos-Liste führt direkt zur damaligen ludwigsburger Neonazi-Szene. Zschäpe und Mundlos waren ab Mitte der 1990er Jahre oft in der Stadt, Böhnhardt manchmal, und Mundlos zuletzt 2000 oder sogar 2001, als die NSU-Gruppe bereits mit dem Morden begonnen hatte.

Chemnitz-Ludwigsburg-Connection

Bekannt ist das seit 2013 durch die Arbeit des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages und bekam den Namen Chemnitz-Ludwigsburg-Connection. Der Baden-Württemberg-Ausschuss hinkt vier Jahre hinterher. Allerdings wurden Barbara E.-N. und Hans-Joachim S., zwei der drei Ludwigsburger auf der Liste, nun zum ersten Mal öffentlich vernommen. Sie mussten bisher weder in einem UA noch im Prozess in München Rede und Antwort stehen.

Durch die beiden Zeugen, heute 48 Jahre alt, bekam man einerseits einen tiefen Einblick in die rechtsextreme Szene Ludwigsburgs von damals, die bemerkenswerte Sympathisanten hatte. So erklärte S., Polizisten hätten sie mit den Worten aufgemuntert: "Eigentlich macht Ihr das Richtige." Und der Vater von einem aus ihrer Clique sei ein Polizeibeamter gewesen.

Sichtbar wurde andererseits die intensive und weitverwurzelte Vernetzung der Szenen zwischen Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen, zwischen Ludwigsburg, Stuttgart, Heilbronn und Chemnitz, Jena, Gera. Man besuchte sich regelmäßig gegenseitig und übernachteten bei seinen Kameraden. Die Ludwigsburger fuhren mit ihren ostdeutschen Freunden unter anderem auch nach Heilbronn oder Öhringen, das bei Heilbronn liegt. In der Nähe von Öhringen will auch eine V-Frau des LfV BaWü Beate Zschäpe im Jahr 2006 im Kreis anderer Leute getroffen haben.

"Dem Rickmann hätte ich es zugetraut"

Neben Namen baden-württembergischer Neonazis, die zentrale Rollen spielten, wie Jug Puscaric, laut BKA in Waffengeschäfte involviert, oder Markus F., mutmaßlich eine V-Person einer Sicherheitsbehörde, erfuhr man aus dem Mund der beiden Ludwigsburger Zeugen viele Namen aus der ostdeutschen Neonazi-Szene, deren Nähe zum späteren NSU-Trio sich in den letzten Jahren herausgestellt hat: Markus Friedel, Torsten Schau, Thomas Starke, Stefan Apel (Cousin von Zschäpe) oder ein gewisser Enrico Rickmann, er ebenfalls immer wieder in Ludwigsburg und auch in Heilbronn war. S. beschrieb ihn als rücksichtslosen Schläger.

Von einer Gruppe namens "NSU" oder dass das Trio untergetaucht war, hätten sie nichts gewusst, erklärten E.-N. und S. Von den Verbrechen hätten sie erst nach dem November 2011 erfahren und seien geschockt gewesen. Dass Mundlos so etwas getan habe, habe ihn verwundert, sagte Hans-Joachim S. und fügte hinzu: "Dem Rickmann hätte ich es zugetraut."

Nun sind Staats- und Verfassungsschutz gefragt: War oder ist Frntic ein Informant? Was wusste die Quelle Rickmann über die Neonazi-Szene von Ludwigsburg und Heilbronn? Welche Aufträge hatte er?

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