Kinder als Schutzschilde?
Die Mutter eines vierjährigen Kindes, das bei einem "Corona-Spaziergang" leicht verletzt wurde, steht mit Recht in der Kritik. Die Polizei bleibt hingegen von kritischen Fragen weitgehend verschont
Auch zum Jahresende gehen in vielen Städten die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und vor allem gegen die Impfpflicht weiter. In den meisten Städten kam es zu keinen größeren Auseinandersetzungen. Doch der Polizeieinsatz in Schweinfurt beschäftigt noch immer die Öffentlichkeit, auch weil dort ein vierjähriges Kind in eine Pfefferspraywolke geraten ist.
Nun gibt es verständliche Kritik an der Mutter, die mit ihrem vierjährigen Kind eine Polizeikette durchbrechen wollte. Nur darf nicht vergessen werden, dass zur Protestkultur in Deutschland seit Jahrzehnten auch Eltern oder Bezugspersonen mit sehr kleinen Kindern, teilweise sogar in Kinderwägen, gehören. Tatsächlich ist die Kritik daran berechtigt, Kinder, die noch nicht selbst entscheiden können, ob sie an den Protesten teilnehmen wollen, hier zu instrumentalisieren.
Allerdings muss die Kritik dann auch an die Polizei gehen. Auch in der Umwelt- und Friedensbewegung gab es immer wieder Demonstrationen, an denen explizit auch Eltern mit Kindern teilgenommen haben. Dabei gab es auch das Argument, dass die Kinder schließlich mit dem Atommüll und den Atomraketen leben müssen.
Im aktuellen Fall war auch vorher bekannt, dass an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Schweinfurt Eltern mit Kindern teilnehmen wollten. Es hatten explizit Elternorganisationen aufgerufen, die daran erinnerten, wie sich die Corona-Maßnahmen auf das Leben der Kinder in Schulen und Kitas auswirken. Dann hätte man auch von der Polizeiführung erwarten können, dass sie sich deeskalierend verhält.
Zumal sich auch aus der Pressemitteilung der Polizei ergibt, dass die Mehrheit der Teilnehmer des Aufzugs sich nicht an Angriffen beteiligten. Es wird ausdrücklich von "Personengruppen" bzw. "zwei Männern" gesprochen, die die Polizei tätlich angegriffen haben sollen. Zudem wird vermerkt, dass die Polizei die Teilnehmer am "Spaziergang" hindern wollte, diese aber immer wieder Aufzüge bildeten, um durch die Straße zu gehen. Die Polizei spricht von unangezeigten Aufzügen, womit sie darauf hinweist, dass die Demonstrationen nicht angemeldet waren.
Dass es dabei um eine Ordnungswidrigkeit handeln könnte, ist juristisch allerdings durchaus strittig. Die Polizei steht auf dem Standpunkt, dass eine Anmeldung hätte erfolgen müssen, weil es sich nicht um spontane Aufzüge handelt, sondern in sozialen Medien dafür geworben wurde.
Demgegenüber gibt es die Rechtsauffassung, dass Spaziergänge im Gegensatz zu Demonstrationen nicht angemeldet werden müssen, wenn es sich dabei um eine Veranstaltung handelt, die sich vor allen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und weniger an die Außenwelt richtet.
Das ist beispielsweise bei Stadtteilspaziergängen der Fall, wo sich Bewohner gegen Verdrängung äußern und organisieren. Selbst wenn eine Anmeldung hätte erfolgen müssen, steht ein Aufzug unter dem Schutz des Versammlungsrechts und kann nicht einfach aufgelöst werden. Schon deswegen ist der Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken in Schweinfurt zu hinterfragen.
Kinder als Schutzschilde?
Jetzt ist die Kritik an der Mutter, die mit ihrem Kind eine Polizeisperre missachtete, selbstverständlich groß. Wenn dann aber davon gesprochen wird, dass die Mutter ihr Kind als lebendes Schutzschild missbrauche und das Recht des Kindes auf Unversehrtheit verletze, stellt sich die Presse recht einseitig auf Seiten der Polizei. Denn den Vorwurf, in einem solchen Fall das Recht des Kindes zu verletzen, muss man auch den Polizisten machen, die mit Schlagstock und Pfefferspray gegen Demonstranten vorgehen. Hier werden weitere Angriffe auf das Versammlungsrecht vorbereitet.
Es könnte sein, dass es bald auch eine Gesetzesinitiative geben wird, die die Teilnahme von Kindern verbietet. Die Mutter des vierjährigen Kindes könnte noch Probleme mit dem Jugendamt bekommen.
Wegen der Angriffe auf Polizeibeamte und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ist bereits eine beteiligte Frau in einem Schnellverfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, jedoch nicht die Mutter des leicht verletzten vierjährigen Kindes.
Vor diesen beschleunigten Strafverfahren, die auch bei linken Demonstrationen häufig angewandt werden, wird von Juristen gewarnt. Sie sehen hierin eine massive Einschränkung der Rechte der Verteidigung. Diese Kritik wird nicht deshalb hinfällig, weil einem die Ziele und Motive der "Corona-Spaziergänger" vielleicht nicht zusagen. Grundrechte sind schließlich keine Gnade für Leute, die aus wessen Sicht auch immer politisch Sympathie verdienen, sondern gelten generell.
Wie eine Grünen-Politikerin Schlagstock und Pfefferspray verteidigt
Das scheint Saskia Weishaupt, Bundestagsabgeordnete der Grünen anders zu sehen. Sie forderte ein härteres Vorgeben der Polizei gegen Gegner der Corona-Maßnahmen, notfalls mit Schlagstock und Pfefferspray. Noch im letzten Jahr wollte Weishaupt als Sprecherin der Grünen Jugend in Bayern den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken auf Demonstrationen generell verbieten und hatte sich gegen die Ausweitung der Befugnisse der Polizei gewandt.
Mittlerweile hat Weishaupt den Tweet, in dem sie einen härten Polizeieinsatz fordert, gelöscht. Es sei der falsche Eindruck entstanden, sie befürworte Gewalt gegen friedliche Demonstranten, was aber nicht der Fall sei.
"Linke, bleibt autoritätsskeptisch"
Profitieren können von der Auseinandersetzung vor allem rechte und irrationale Kräfte, weil Teile des linken Lagers wieder einmal den Eindruck erwecken, Polizeigewalt zu befürworten, wenn ihnen die Inhalte der Proteste nicht passen. Dabei gäbe es genügend Gründe für linke Proteste gegen die Corona-Maßnahmen an Kitas und Schulen. Da zeigt sich mal wieder, wie berechtigt der Aufruf des taz-Journalisten Jörg Wimalasena ist, die Linke solle autoritätskritisch bleiben. Er kritisiert dort, dass die Linke heute bei Maßnahmen der Polizei gerne wegschaut, die sie vor Jahren noch lauthals kritisiert hat. Dafür nennt er Beispiele:
Der Autor dieses Textes hat vor einigen Wochen erst in der Berliner U-Bahn beobachtet, wie vier Sicherheitsleute einen Mann umringten, der keine Maske aufgesetzt hatte. Man verstellte dem Mann "Fluchtwege", die Körpersprache der Securitys wirkte alles andere als deeskalierend. Breitschultrig thronten sie über dem "Ertappten", der seinerseits mit hängenden Schultern sofort seine Maske aufzog, nachdem man ihn dazu aufgefordert hatte.
Als der Mann, der vermutlich die 50-Euro-Strafe nicht zahlen konnte oder wollte, nur kurz verweigerte, seinen Personalausweis vorzuzeigen, drohten die Männer sogleich mit der Polizei und führten ihn aus der Bahn wie einen Schwerverbrecher.Das sind die Szenen, die eine konsequente Umsetzung von Coronamaßnahmen fast zwangsläufig erzeugt.
Jörg Wimalasena, taz
Auch der Publizist Sebastian Friedrich fragt in der Wochenzeitung Freitag, warum die Kritik der linken Bewegung so zaghaft bleibt, wo sich doch in der Corona-Pandemie so viele Hebel anbieten, wo Kritik geleistet werden kann.
Wie sich die linke Bewegung selber ohnmächtig macht, kann man an den Reaktionen auf die Corona-Spaziergänge sehen. Sie lässt noch immer die Distanz zur Staatsgewalt vermissen, die sie mit Recht gegenüber dem irrationalen und rechten Spektrum der Corona-Maßnahmen-Kritiker einfordert.
Der Autor hat mit Anne Seeck und Gerhard Hanloser kürzlich das Buch "Corona und die linke Kritik(un)fähigkeit herausgegeben.
Redaktioneller Hinweis: Eine zuvor hier erwähnte Meldung, nach der es sich bei der verurteilten Frau um die Mutter des leicht verletzten Kindes handelte, hat sich nicht bestätigt. Die ARD-tagesschau hat mittlerweile gemeldet, dass es sich um eine andere Person handelte.