Kinder haben jetzt einen Rechtsanspruch auf gewaltfreie Erziehung

Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig

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Wie oft hat man schon gehört, ein Klaps hätte noch niemandem geschadet. Dieser landläufigen Meinung wurde jetzt von rechtlicher Seite das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung entgegengesetzt, das der Bundesrat am 29. September gebilligt hat. Danach haben Kinder zukünftig ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Bislang hieß es "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig", nun wurde der § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) deutlicher formuliert: "Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." Mit der Gesetzesanpassung folgt man der 1992 vorgenommenen Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention.

Schon im Vorfeld der Gesetzesinitiative gab es eine rege Diskussion, ob hier Handlungsbedarf herrsche. Argumente wie mögliche Denunziationen der Eltern oder gar der Verlust eines Erziehungsmittels machten die Runde. Floskeln wie die vom "kleinen Klaps" oder des "Handausrutschens" verbunden mit "Hat mir auch als Kind nicht geschadet" sind verharmlosende Entschuldigungen, wenn die Geduld der Eltern am Ende ist. Denn die Realität sieht oft anders aus und Übergänge vom kleinen Klaps zur alltäglichen Gewalt als Konfliktlösungsmuster sind fließend.

Unzählige Kinder und Jugendliche werden auch im 21. Jahrhundert in gröbster Weise misshandelt und sogar getötet. Oft geben die Täter als Motiv einen Erziehungsgedanken an. In der Regel zeigt sich, dass die Eltern unter dermaßen hohen sozialen Spannungen leben, dass sie schlichtweg mit der Erziehung überfordert sind. Das erklärt zwar vieles, macht aber zugleich deutlich, dass der Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber den Familien bislang sträflich vernachlässigt hat. Den Politikern muss deutlich werden, dass Gewalt eng mit dem sozialen Zustand der Gesellschaft verbunden ist.

Gewalt als Erziehungsstil ist niemals zu akzeptieren. Fachleuten ist längst klar, dass es nicht nur Gewalt gegen Kinder gibt, sondern dass es eine bedenkliche Zunahme der gesellschaftlich bedingten Gewalt gibt. Wie anders sollte man auch die Warnung von Politikern und Jugendforschern interpretieren, dass die kindlichen und jugendlichen Opfer immer in Gefahr sind, später selbst zu Tätern zu werden. Auf die Jugendämter werden neue und vielfältige Aufgaben zukommen, die alleinige Reaktion auf Gewaltanwendung in der Familie kann nicht nur auf dem Kindesentzug beruhen. Vielmehr müssen Familienbetreuer mit umfangreicher therapeutischer Ausbildung zur Verfügung stehen, die den Familien einen Weg aus der gewalttätigen Erziehung aufzeigen. Doch noch ist es fraglich, ob die ohnehin enge Personaldecke der Jugendämter aufgestockt wird und weitere Gelder zur Finanzierung bereitgestellt werden.

Schon bei der Verabschiedung durch den Bundestag benannte Familienministerin Christine Bergmann das Gesetz und "ihre flankierenden Maßnahmen" als Teil der Prävention gegen die Gewalt in den Familien. Der Deutsche Kinderschutzbund schloss sich dieser Interpretation an. Eigentlich hätte man annehmen müssen, dass Gewaltlosigkeit eine Selbstverständlichkeit sein sollte und der Gesetzgeber hat im Erwachsenenbereich auch eindeutige Regelungen getroffen. Kein Erwachsener darf ungestraft einen anderen Erwachsenen schlagen. Lediglich gegenüber Frauen sind physische, verbale sowie psychische Attacken (siehe Stalking) gesetzlich immer noch unzureichend geregelt.

Ebenso lässt der Bundesrat verlauten, dass es künftig zur Förderung der Erziehung in der Familie gehöre, Wege zur gewaltfreien Lösung von Konfliktsituationen in der Familie aufzuzeigen. Die heute erfolgte Gesetzesänderung des §1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird im Herbst von einer Kampagne "Gewaltfrei erziehen" des Bundesfamilienministeriums begleitet. Damit soll eine Diskussion über den Sinn und Unsinn der "Züchtigung" von Kindern angeregt werden. Diese Kampagne richtet sich an Eltern und Pädagogen, die Prügel und Schläge immer noch als ein adäquates Mittel der Erziehung ansehen.