Kipping: "Wer Europa will, der muss es den Reichen nehmen"
Mit einem verbal gemäßigten Programm und einer Mischung aus erprobten und neuen Kandidatinnen und Kandidaten will die Partei Die Linke in den Europa-Wahlkampf ziehen
10 Mandate für die Linke sollen es werden bei der Wahl zum Europa-Parlament am 25. Mai 2014. Davon träumte wohl jede und jeder der insgesamt knapp 500 Delegierten sowie die anwesende Parteiprominenz. Die Frage war: mit welcher Programmatik und mit welchen Kandidatinnen und Kandidaten? Das zu klären war die Aufgabe des Europa-Parteitages am vergangenen Wochenende im Congress-Centrum-Hamburg (CCH).
Im Vorfeld desselben hatte es heftige Kontroversen um die Präambel des Programms zur Europa-Wahl gegeben. Vokabeln wie "neoliberal" und "militaristisch" in Bezug auf die EU seien sowas von 1990er, fand z.B. der Bundestagsabgeordnete Jan Korte. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Sahra Wagenknecht und die innerparteiliche Strömung "Antikapitalistische Linke" (AKL) fanden die Begriffe zwar nicht old-school, verzichteten aber auf deren Verwendung. Um des lieben Friedens Willen. Und weil, wie Wagenknecht sagte, die Bedeutung dieser Begriffe im Text deutlich zum Ausdruck käme.
Dieses Friedensangebot wusste die Parteimehrheit indes nicht zu würdigen: Kandidatinnen und Kandidaten, die weniger die Regierungsfähigkeit der Partei unter Beweis stellen, dafür aber konsequent den neoliberalen und militaristischen Kurs der EU bekämpfen wollen, wurden nicht gewählt, wie z.B. die bisherige EU-Abgeordnete Sabine Wils aus Hamburg und der ehemalige Abgeordnete Tobias Pflüger aus Tübingen, der wie kein anderer in seiner Amtszeit 2004-2009 den Vertrag von Lissabon, und damit die Verpflichtung der einzelnen EU-Staaten zu mehr Aufrüstung, bekämpfte.
Es gab viel zu tun am vergangenen Wochenende, entsprechend war der Zeitplan: Am Samstag wurde von 10-24h getagt, am Sonntag von 8-17h. Üblicherweise hält ein offizieller Vertreter der Stadt, in dem die Partei tagt, ein Grußwort. Doch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte dieses Ansinnen abgelehnt. Was bei der Parteiführung für Empörung sorgte, weshalb Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn Scholz eine missbilligende Antwort auf dessen Ablehnung zukommen ließ. Dieses Grußwort hielt dann Asuquo Udo, ein Sprecher der als "Lampedusa in Hamburg" bekannt gewordenen Flüchtlingsgruppe. Er lobte Die Linke als treue und wichtige Gefährtin an der Seite der Flüchtlinge. Beinahe wären sie sich also auf der Bühne im CCH begegnet. Der perspektivlose, in Hamburg gestrandete Flüchtling, und der Bürgermeister, der sich nichts mehr wünscht, als dass die Flüchtlinge "seine" Stadt alsbald verlassen möge. Allein um das zu verhindern wäre es vielleicht eine Überlegung gewesen, den Bürgermeister seitens der Partei offiziell auszuladen, statt sich über dessen Absage zu echauffieren.
Zu Beginn des inhaltlichen Teils der Tagung sagte Parteichefin Katja Kipping in ruhigen, klaren Worten dem Ausverkauf der EU verbal den Kampf an: "Wer Europa wirklich will, der muss es den Banken und den Reichen nehmen." Sie umriss die Probleme, die zunehmende Verarmung der Menschen in Europa, der die großzügige finanzielle Unterstützung der Banken und Konzerne gegenüber stünde, der steigende Anspruch nicht nur Deutschlands, militärisch "mehr Verantwortung in der Welt" zu übernehmen, die immer aggressiver werdende Abschottungspolitik den Flüchtlingen gegenüber und die Unterwerfung von Bildung und Kultur unter die Verwertungslogik des Kapitals. Damit war im Prinzip gesagt, was die Delegierten bewegt, entsprechend stürmisch war der Beifall für Kipping.
Die Aussprache über das Wahlprogramm wurde danach mit gesetzten Wortbeiträgen u. a. von Sahra Wagenknecht und den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Jan Korte fortgesetzt. In einer flammenden, etwa fünf minütigen Rede brachte die Fraktions-Vizechefin die Ausführungen Kippings noch einmal auf den Punkt. Sehr deutlich bezog sie Stellung zu dem Vorwurf, Die Linke sei anti-europäisch. "Wir haben doch nicht die Hand gehoben im Bundestag für eine Politik, die Europa immer tiefer spaltet. Wir haben dagegen gestimmt." Die leidenschaftliche Rednerin auf dem Podium hatte wenig gemein mit der aus Film und Funk bekannten, eher unterkühlten Politikerin, die stocksteif in Talkrunden sitzt. Im Gegenteil: Der Saal tobte und irgendwie drängte sich tatsächlich der Vergleich Wagenknechts mit der mit glühender Leidenschaft gegen Krieg und Kapital agitierenden Rosa Luxemburg auf.
Anschließend gab es in einem eng gesetzten zeitlichen Rahmen die Möglichkeit für Wortbeiträge der Delegierten. Die Liste derer, die dann zu Wort kamen, bestand zum größten Teil aus Funktionsträgerinnen, z. B. Abgeordneten aus den Ländern wie die hessische Spitzenkandidatin Janine Wissler. Insgesamt war sehr auffallend, dass das Geschehen in erster Linie von denjenigen bestimmt wird, die über Mandate in Partei und Parlamenten verfügen. Deren Anteil an den Delegierten betrug etwa 2/3, während etwas mehr als 1% der Delegierten in prekarisierten Verhältnissen lebten, z.B. im Hartz-IV-Bezug. Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten wurden das Wahlprogramm sowie diverse Anträge beschlossen. Fast ließe sich von einer entspannten Atmosphäre sprechen.
Das große Hauen und Stechen setzte dann bei der Wahl Kandidaten ein
Es gab einen offiziellen Vorschlag mit 14 Kandidatinnen und Kandidaten, angeführt von der jetzigen Vorsitzenden der europäischen Linksfraktion GUE/NGL Gabi Zimmer aus Thüringen, gefolgt von Tobias Pflüger auf Platz 2, der sächsischen EU-Abgeordneten Cornelia Ernst, ihrem Fraktionskollegen aus Brandenburg, Helmut Scholz, der niedersächsischen EU-Abgeordneten Sabine Lösing, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht, Fabio De Masi, der Hamburger EU-Abgeordneten Sabine Wils, dem hessischen Kandidaten Ali Al Dailami, der Berlinerin Ruth Firmenich sowie dem gemeinsamen Kandidaten der Linksjugend (Solid) und des Studentenverbandes SDS auf den ersten 10 und somit aussichtsreichen Plätzen. Diese wurden einzeln, zehn weitere Kandidatinnen und Kandidaten per Listenwahl gewählt.
Erstellt wurde der Wahlvorschlag vom Bundesausschuss, einem 60köpfigen Gremium, das die Bewerberinnen und Bewerber vorgeladen und dann über die Zusammenstellung der Wahlliste abgestimmt hatte. Diese war schon im Vorfeld des Parteitages auf Kritik gestoßen. Zwar war die beschlossene Geschlechter-Quotierung mit einer Frau als Spitzenkandidatin eingehalten worden, ebenso war darauf geachtet worden, dass sowohl der Jugendverband als auch die Migrantinnen und Migranten berücksichtigt wurden, doch die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) "Selbstbestimmte Behindertenpolitik" erhob Anspruch auf einen eigenen Kandidaten. Und für diesen sollte zudem ein bestimmter eventueller Nachrücker gewählt werden. Damit Menschen mit Handicap die Möglichkeit bekämen, ihre eigenen, spezifischen Interessen in Brüssel vertreten zu können. Im folgenden Wahlverfahren konnte sich allerdings weder Erstkandidat Ilja Seifert aus Berlin, noch dessen "Huckepack" Gotthilf Lorch aus Baden-Württemberg durchsetzen. Gabi Zimmer wurde mit 76.5% der abgegebenen Stimmen zur weiblichen Spitzenkandidatin gekürt. Ein akzeptables, aber keinesfalls überragendes Ergebnis.
Mit der Wahl des männlichen Spitzenkandidaten begann der knallharte Kampf der Kulturen innerhalb der Partei. Was nach außen immer als innerparteilicher Disput zwischen Ost und West, ehemaliger PDS und WASG erscheint und von den Medien auch so kolportiert wird, scheint doch eher ein Kampf zwischen den Kreisen zu sein, die ihre Partei gern in Regierungsverantwortung auf allen Ebenen sähen und dafür wie z.B. in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg bereits bewiesen, so ziemlich jede Kröte zu schlucken bereit sind, und denjenigen, die nicht den Kapitalismus mitregieren, sondern ihn konsequent bekämpfen wollen. Und zwar in der Opposition, im Parlament und auf der Straße.
Zu denjenigen gehört auch der Tübinger Tobias Pflüger. Der war bereits einmal EU-Abgeordneter der Linken,und hatte sich als solcher dem Kampf gegen die Militarisierung der EU verschrieben. Wie kein anderer reiste er umher und machte auf die Folgen des Lissabon-Vertrages aufmerksam. Keine Friedenskonferenz, keine Demonstration, wie z.B. gegen die alljährlich stattfindende Sicherheitskonferenz in München, auf der er nicht anwesend wäre. Pflüger gehört vermutlich zu den am meisten als Redner eingeladenen Parteimitgliedern, obwohl er keine Parteifunktion und seit 2009 auch kein Mandat mehr innehat. Pflüger ist sozusagen der personifizierte Antimilitarismus, den nicht nur Jan Korte als völlig altmodisch erachtet.
Seine launige Rede begann der Pastorensohn mit den Worten: Als ich im Februar in München auf der Demo gegen die Sicherheitskonferenz stand, hat Bundespräsident Joachim Gauck mir erklärt, wieso ich für Die LInke für das Europa-Parlament kandidieren muss". Doch trotz tosenden Applauses: Pflüger war trotz Kandidatur auch auf Listenplatz 4 und Stichwahl mit seinem Gegenkandidaten Helmut Scholz nicht durchzusetzen. Der männliche Spitzenkandidat ist der bayrische Gewerkschafter Thomas Händel, der auch der aktuellen EU-Parlamentsfraktion angehört.
An der Basis wurden schnell Stimmen laut, dass es gut gewesen wäre, beide, sowohl Händel als auch Pflüger, zu wählen. Doch mit der Basis ist es ja wie gesagt so eine Sache bei der Linken … Auch der Kandidatur der Hamburger EU-Parlamentsabgeordneten Sabine Wils war kein Erfolg beschieden. Sie engagiert sich u. a. in dem Bundesarbeitskreis Betrieb und Gewerkschaft. Ein Arbeitsfeld, das sie auch in Brüssel kompetent und engagiert betreute.
Dafür konnte sich der Mitarbeiter Sahra Wagenknechts Fabio De Mazi einen guten Listenplatz sichern, und zwei sehr junge Kandidatinnen und Kandidaten, die Deutsch-Griechin Sofia Leonidakis und der Student Malte Fiedler, belegen die Plätze 9 und 10. Ob diese allerdings tatsächlich sichere Listenplätze sind, bleibt abzuwarten. Mit der Nicht-Wahl von Tobias Pflüger und Sabine Wils, an der ja auch die zweitgrößte Stadt der Republik mit entsprechend hohem Wählerpotential hängt, dürfte letztendlich das eine oder andere Mandat aufs Spiel gesetzt worden sein.
Scheinbar hat der Marathon-Parteitag mit dem straffen Programm nicht nur die Delegierten geschlaucht, sondern auch die vielen Zuschauerinnen und Zuschauer, die am heimischen PC den Livestream verfolgten. Debatten z. B. in sozialen Netzwerken über das Ergebnis waren am frühen Sonntagabend noch nicht so richtig in Fahrt gekommen.