Klagen von Immobilienkonzernen? "Lass sie mal kommen"
Der Jurist Reiner Geulen über Enteignungen von Wohnraum, Privatisierungen und die stille Macht internationaler Schiedgerichte
In den siebziger Jahren verteidigte Reiner Geulen mit Otto Schily im Stammheim-Prozess RAF-Mitglieder. Doch im Gegensatz zu seinem Sozius oder dem langjährigen Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Stroebele ging er nicht in die Politik, sondern blieb Jurist, spezialisiert auf Verwaltungsrecht.
Er klagte gegen die Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken und den BND und erstellte vor drei Jahren im Auftrag des Berliner Senats ein Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Enteignung von Deutsche Wohnen und Immobilienkonzernen. Sie sei, so hieß es darin, mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar.
Bei der Volksabstimmung sprachen sich über 56 Prozent der Berliner für die Ziele der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" aus. Nun ist die Frage, ob und wie dieses klare Votum von der Politik umgesetzt werden wird.
Was in der bisherigen Diskussion nicht erwähnt wird, ist der internationale Aspekt. Die Bundesrepublik hat etliche bilaterale Investitionsschutzabkommen initiiert und unterschrieben. Wird sie, wenn die Immobilienkonzerne wirklich enteignet werden, auf der Anklagebank eines internationalen Schiedsgerichts landen?
Ihr Gutachten beleuchtet den nationalen Aspekt, inwieweit die geplante Enteignung oder Vergesellschaftung mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist.
Reiner Geulen: Anfangs haben viele gesagt: das ist ja wie im Sozialismus und hier soll enteignet werden. Aber das Grundgesetz erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen die Enteignung, etwa, wenn eine Straße gebaut werden soll. Dann wird man entschädigt.
Das war damals im Parlamentarischen Rat ein Kompromiss: das Eigentum wird gewährleistet, aber dafür erhält der Gesetzgeber eine Befugnis, Schlüsselindustrien zu vergesellschaften, das steht in § 15 des Grundgesetzes. Die Regierung Adenauer hatte das natürlich nicht im Auge, und der Artikel wurde nie angewandt.
Nun hatte der Berliner rot-rote Senat erst vor etwa 15 Jahren diese Wohnungen an die Privaten verscherbelt.
Reiner Geulen: Ja, diese Kritik ist gerechtfertigt. Die damalige Privatisierung war falsch. Der Hintergrund war, dass die CDU-Vorgängerregierung den sog. "Bankenskandal" verursacht hatte, und die Stadt war hoch verschuldet.
Der Senat sollte jetzt diesen Gesellschaften ein Angebot machen. Muss der Verkehrswert als Entschädigung gezahlt werden, was die Konzerne wollen, oder wie wird das festgelegt?
Reiner Geulen: Laut Rechtsprechung wird bei Enteignung wie bei Vergesellschaftung eine Entschädigung fällig. Ausgangspunkt ist der Verkehrswert, und die Entschädigung müsste verfassungsrechtlich etwa bei 80 Prozent des Verkehrswerts liegen. Daher ist es unsinnig zu sagen: Es kostet uns vier Milliarden Euro, die haben wir nicht. Denn man bekommt sie nicht für vier, sondern für drei Milliarden Euro.
Das wäre aber immer noch ein gutes Geschäft für BlackRock.
Reiner Geulen: Ja, sie würden sehr viel mehr Geld bekommen, als sie vor 15 Jahren gezahlt haben. Aber so ist das halt im Kapitalismus. Aber das spricht nicht gegen, sondern für die Vergesellschaftung.
Wir leben in einer globalisierten Welt, und die BRD treibt seit vielen Jahren die bilateralen Investitionsschutzabkommen voran. Ursprünglich hatten die Deutschen Angst um ihre gute DM bzw. ihren guten Euro. Heute ist die BRD Weltmeisterin mit 129 bilateralen Abkommen - allerdings nicht mit den USA, weil TTIP ja gescheitert ist.
Diese Abkommen sind alle unterschiedlich, sie stellen die Regeln auf, nach denen die Investitionen geschützt werden sollen. Und darin sind diese Schiedsgerichte benannt, das bekannteste ist ICSID (Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten) unter dem Dach der Weltbank. Werden diese mitreden wollen? Was wird da auf uns zukommen.
Reiner Geulen: Ich kann es mir nicht ernsthaft vorstellen, dass die Konzerne diese Schiedsstellen anrufen werden. Zum einen bezieht sich alles nur auf das Land Berlin. Und es werden ja nicht Investitionen storniert, wie das etwa der Fall ist, wenn sich die Politik in einem Land grundlegend ändert, wie nach einer Revolution.
Am Beispiel von Kuba hatte sich diese Diskussion früher entzündet. Aber hier wird ja entschädigt, auf der Grundlage des Verkehrswerts.
Nach der Wirtschaftskrise in Argentinien 2001/02 haben zahlreiche Konzerne, darunter Siemens und Daimler, wegen entgangener Profite ICSID angerufen. Und später wurde Deutschland selbst vor ICSID verklagt, nach dem Atomausstieg. Vattenfall fuhr doppelgleisig und klagte parallel vor deutschen Gerichten und in Washington.
Reiner Geulen: In der Tat haben sie in Deutschland eine Entschädigung für ihre behaupteten Verluste erstritten. Das waren mehrere Milliarden Euro. Dass sie vor der Schiedsstelle unter dem Dach der Weltbank noch mehr Geld erstreiten können, kann ich mir nicht vorstellen.
Das Problem ist aber, dass dort Vertraulichkeit vereinbart ist, die Öffentlichkeit wird nicht informiert. Das Verfahren Vattenfall vs. BRD ist noch anhängig, es hat in meinen Augen etwas Unanständiges, dass die so zweigleisig fahren.
Das ist ein wenig eine Strafe für Deutschland, es ist jetzt nicht Kuba oder irgendein Land der Dritten Welt, das für das Fehlschlagen von Investitionen haftbar gemacht wird, sondern der große Initiator dieser Abkommen - Deutschland - selbst.
ICSID ist, obwohl unter dem Dach der Weltbank, eine private Institution. Theoretisch könnte BlackRock in jedem aus dem dieser 129 Staaten, die ein bilaterales Abkommen mit der BRD haben, ein Schiedsgericht anrufen.
Reiner Geulen: Diese Schiedsstellen sind keine Gerichte, dort sitzen keine unabhängigen Richter. Sie haben keine demokratische Legitimation. Niemand möchte sich mit ihnen anlegen, weil sie unter dem Schirm der Weltbank fungieren.
Aber: Wir werden Deutsche Wohnen & Co. ja entschädigen. Daher sehe ich keine Chance für diese Konzerne, ICSID anzurufen. Dieser Fall ist vielleicht nicht groß genug, denn der Streitwert besteht nur aus der Differenz zum Verkehrswert, also um die 20 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die so töricht sein werden. Sie würden sich damit in Berlin keine Freunde machen und sie wollen ja weiter hier tätig sein.
Vielleicht wollen sie ein Exempel verhindern?
Reiner Geulen: Ich würde mich auf den Standpunkt stellen: Lass sie mal kommen.
Das Interview wurde ursprünglich für die neue Internet-Plattform proFakt geführt, hier ein kurzer Auszug.