Kleine Finanzblasenkunde für Einsteiger
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die gegenwärtige Liquiditätsblase platzt, in der die Weltfinanzmärkte verfangen sind
Wir alle kennen und lieben unseren Road Runner den pfeilschnellen Laufvogel, der in den gleichnamigen Cartoons von Warner Bros. immer wieder den Fallen und Nachstellungen seines Fressfeindes, des Kojoten Wile E. Coyote, entkommt. Die allerwenigsten Liebhaber dieser Zeichentrickserie sind sich aber dessen bewusst, dass eine immer wiederkehrende Schlüsselszene der Road Runner Cartoons - der zentrale "Running Gag" der Serie - eigentlich die perfekte allegorische Darstellung des bisherigen Krisenverlaufs darstellt.
Immer wieder rennt der Kojote bei seinen Verfolgungsjagden nach dem Road Runner über die Klippen eines tiefen Abgrunds, stürzt aber nicht sofort in die Tiefe, sondern läuft zunächst in der Luft weiter, bis er sich plötzlich der Tatsache bewusst wird, dass da kein Boden unter seinen Füßen ist. Erst dann folgt der tiefe Fall.
In einer solchen geschichtlichen Krisenphase befindet sich das kapitalistische Weltsystem. Der Kapitalismus ist längst über die Klippen hinausgestürmt, das System hängt in der Luft - nur hat sich diese Tatsache bislang noch nicht herumgesprochen. Die Grundlage, auf der der Kapitalismus dem Maximalprofit seit seinen frühsten Anfängen vor rund 500 Jahren hinterherjagt, ist die Verwertung von Arbeitskraft in der Warenproduktion. Seit rund drei Jahrzehnten geht das Kapitalverhältnis aufgrund eskalierender innerer Widersprüche eben dieser seiner Substanz verlustig.
Immer wieder "neu erfinden"
Dieser Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise entfaltet sich folgendermaßen: Die Lohnarbeit bildet die Substanz des Kapitals, doch zugleich ist das Kapital bemüht, durch konkurrenzbedingte Rationalisierungsmaßnahmen die Lohnarbeit aus dem Produktionsprozess zu verdrängen.
Derjenige Kapitalist, der als erster eine Rationalisierungsmaßnahme erfolgreich einführt, kann auf Extraprofite hoffen, solange diese Innovation noch nicht in dem betreffenden Industriezweig verallgemeinert wurde. Zugleich nimmt aber die in dem betroffenen Industriezweig generierte Wertmasse dadurch absolut ab - irgendwann ziehen ja die anderen Kapitalisten bei den Rationalisierungsmaßnahmen nach.
Marx hat für diesen autodestruktiven Prozess die geniale Bezeichnung des "prozessierenden Widerspruchs" eingeführt. Dieser Widerspruch kapitalistischer Warenproduktion, bei dem das Kapital mit der Lohnarbeit seine eigene Substanz durch konkurrenzvermittelte Rationalisierungsschübe minimiert, ist nur im "Prozessieren", in fortlaufender Expansion und Weiterentwicklung neuer Verwertungsfelder der Warenproduktion aufrechtzuerhalten.
Derselbe wissenschaftlich-technische Fortschritt, der zum Abschmelzen der Masse verausgabter Lohnarbeit in etablierten Industriezweigen führt, ließ auch neue Industriezweige oder Fertigungsmethoden entstehen.
Aus diesem prozessierenden Widerspruch resultiert somit der berühmte industrielle Strukturwandel - die Fähigkeit des Kapitals, sich immer wieder "neu zu erfinden" -, auf den die bürgerliche Kapitalismusapologetik so stolz ist. Seit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert ist die kapitalistische Wirtschaftsweise von einem Strukturwandel gekennzeichnet, bei dem die Textilbranche, die Schwerindustrie, die Chemiebranche, die Elektroindustrie und zuletzt der fordistische Fahrzeugbau als Leitsektoren dienten, die massenhaft Lohnarbeit verwerteten.
Luftige Höhen: das Finanzsystems als "Leitsektor"
Mit dem Aufkommen der mikroelektronischen Revolution scheiterte der industrielle Strukturwandel ab den achtziger Jahren. Diese neuen Technologien schufen weitaus weniger Arbeitsplätze, als durch deren gesamtwirtschaftliche Anwendung wegrationalisiert wurden. Die Produktivkräfte sprengen somit "die Fesseln der Produktionsverhältnisse" (Marx) und das Kapital stößt an eine "innere Schranke" (Robert Kurz) seiner Entwicklungsfähigkeit.
Um nicht an den eigenen Widersprüchen zu kollabieren, musste der Kapitalismus während der neoliberalen Revolution der achtziger Jahre den Boden der Arbeitskraftverwertung verlassen und sich in die luftigen Höhen einer finanzmarktdominierten Wirtschaftsstruktur begeben (Das Ende des "Goldenen Zeitalters" des Kapitalismus und der Aufstieg des Neoliberalismus).
Auf das Scheitern des industriellen Strukturwandels reagierte das System mit der Etablierung des Finanzsystems als "Leitsektor". Kapitalverwertung wird somit im zunehmenden Ausmaß auf den Finanzmärkten simuliert. Da innerhalb der Finanzsphäre dauerhaft keine reelle Kapitalverwertung betrieben werden kann (deswegen spricht ja seit einigen Jahren alle Welt von einer notwendigen "Reindustrialisierung"), wurde das Wachstum in den vergangenen drei Jahrzehnten im Endeffekt durch einen historisch einmaligen Boom der wichtigsten Ware befeuert, die der Finanzsektor anzubieten hat: des Kredits.
Das kapitalistische Weltsystem läuft somit auf Pump, auf dem durch Kreditvergabe immer weiter in die Zukunft verlegten Vorgriff künftiger Verwertung. Der Kredit generiert die Nachfrage, die eine an ihrer Produktivität erstickende kapitalistische Warenproduktion überhaupt noch aufrechterhält. Bei den aufgenommenen Krediten handelt es sich ja im überwältigenden Ausmaß nicht um Investitionskredite in die Warenproduktion, die deren Erweiterung oder Modernisierung zum Ziel hätten, sondern um Immobilien- oder Konsumkredite.
Die Verhinderung des Absturzes
Der zentrale Mechanismus, der die zunehmende finanzmarktgenerierte Verschuldung in reales Wirtschaftswachstum transformiert, ist die Spekulationsblase. Das System prozessiert somit sei den achtziger Jahren im zunehmenden Ausmaß auf der "heißen" Luft immer wieder aufsteigender und sich abwechselnder Spekulationsblasen. Sobald eine Blase platzt, droht der Absturz, der durch das Aufkommen einer neuen Spekulationsbonanza verhindert wird.
Die beim Platzen einer Blase aufkommende Ahnung, dass das System nur noch per heißer, kreditgenerierter Luft aufrechterhalten wird (der "Abgrund", in den etwa der damalige Finanzmister Steinbrück 2008 in einem Spiegel-Interview blickte), muss durch das Aufkommen neuer Spekulationswellen verdrängt werden.
Mensch könnte hier von einem regelrechten Blasentransfer sprechen, bei dem all die Finanz- und geldpolitischen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Folgen einer geplatzten Spekulationsdynamik aufgewendet werden, dazu beitragen, die Grundlagen einer neuen Blasenbildung zu schaffen. Letztendlich kann die kapitalistische Finanzpolitik das Spekulationsfeuer nur mit Benzin löschen.
Dies ist aber kein linearer, sondern ein dynamischer Prozess. Die Kosten und Aufwendungen zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems steigen mit dem Platzen einer jeden Blase immer stärker an, bis sie perspektivisch die Finanzkraft selbst der größten Volkswirtschaften übersteigen werden.
Diese Krisentendenzen lassen sich sehr gut an den 2014 eskalierenden Finanz- oder Währungskrisen in vielen Schwellenländern konkret nachvollziehen.
Blasen in den Schwellenländern
Zur Erinnerung: Die gigantische Gelddruckerei der US-Notenbank, die zur Überwindung der Folgen der geplatzten Immobilienblase initiiert wurde, hat die Ausbildung neuer Schuldenblasen in den Schwellenländern ermöglicht, da das Kapital angesichts von Negativzinsen in den Zentren des Weltsystems auf der Suche nach höheren Renditen in die Semiperipherie strömte - die ja eine Zeit lang von der bürgerlichen Wirtschaftspresse in fast schon beeindruckender Ignoranz als künftige "Lokomotive der Weltwirtschaft" gefeiert wurde.
Nach dem Einstellen des Quantitative Easing der FED geht den Blasen in den Schwellenländern die Luft aus, da die globalen Finanzströme sich erneut auf die Zentren verlagern und der Wertauftrieb des US-Dollar die Bedienung der in Dollar aufgenommenen Kredite in Ländern wie Argentinien, Brasilien, Südafrika und Nigeria zunehmend erschwert. Betroffen sind Volkswirtschaften mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit, niedrigen Devisenreserven und hoher Verschuldung, die in den vergangenen Jahren einen durch Kapitalzuflüsse befeuerten Boom - eine sogenannte Defizitkonjunktur - erfuhren.
Und selbstverständlich ist die Phase extrem expansiver US-Geldpolitik seit 2008 eine Folge der geplatzten Spekulationsblasen auf den Immobilienmärkten der USA und etlicher Staaten Europas. Das "billige Geld" der Notenbanken mitsamt den Liquiditätsspritzen der Fed, die jahrelang allmonatlich 85 Milliarden US-Dollar in die Märkte pumpte, hat das spekulative Feuer in den Schwellenländern erst entfacht, das durch die Einstellung der Anleiheaufkäufe durch die US-Notenbank abgewürgt wurde - und die Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems in eine schwere Krise trieb.
Der 2008 zusammengebrochene Immobilienboom wurde übrigens durch die geldpolitischen Maßnahmen der US-Notenbank initiiert, mit denen die Folgen der 2001 zusammengebrochenen Börsenspekulation mit US-Hightechaktien (Dot-Com-Blase) gemildert werden sollten. Dabei waren beim damaligen Blasentransfer noch keine dermaßen extremen Maßnahmen notwendig: Die Fed senkte den Leitzins von 6,5 Prozent in 2000 auf weniger als zwei Prozent im Zeitraum zwischen 2002 und Ende 2004.
Dies genügte, um Hypothekenkredite mit variablem Zinssatz auch für Menschen attraktiv zu machen, die sich eigentlich kein Haus hätten leisten können. Die Folgen sind bekannt. Derzeit reicht solch eine Nullzinspolitik nicht mehr aus, um das System zu stabilisieren, das, einem Schuldenjunkie gleich, regelrecht abhängig ist von den Liquiditätsspritzen der US-Notenbank.
Die Liquiditätsblase
Und daran hat sich absolut nichts geändert. Im Gegenteil: Wie die oben genannten, heftigen wirtschaftlichen Turbulenzen in vielen Schwellenländern bereits andeuten, befindet sich das kapitalistische Weltsystem inzwischen in einer weiteren, gigantischen Blase - in einer durch die historisch einmalige Gelddruckerei der vergangenen Jahre ausgelösten Liquiditätsblase.
Ausgerechnet der Internationale Währungsfond (IWF) warnt in seinem jüngsten Global Financial Stability Report vor einer rasch voranschreitenden Destabilisierung des Weltfinanzsystems. Der Währungsfonds konstatierte eine Zunahme der Instabilität im Weltfinanzsystem seit dem Oktober 2014, die mit einer Verlagerung von "Stabilitätsrisiken" in Bereiche einhergehe, wo sie schwerer auszumachen seien.
Diese würden sich von den "avancierten Ökonomien auf die Schwellenländer, von den Banken auf die Schattenbanken, und von Bonitäts- zu Liquiditätsproblemen" verlagern.
Der IWF schlussfolgerte, dass die "Märkte zunehmend anfällig für Episoden sein könnten, in denen die Liquidität verschwindet und die Volatilität nach oben schießt." Als Beispiele für die zunehmende strukturelle Instabilität des Weltfinanzsystems nannte der Report die Verwerfungen, die im Januar 2015 durch die Aufhebung der Eurobindung des Schweizer Franken ausgelöst wurden, sowie den kurzfristigen Sturzflug 10-Jähriger US-Treasuries im Oktober 2014, deren Einbruch vergleichbar mit der Reaktion auf die Pleite von Lehman Brothers 2008 war. Diese Marktturbulenzen seien hauptsächlich durch massiven "Entzug von Liquiditätsunterstützung" verstärkt worden, warnte der IWF.
Im Klartext: Unter der Oberfläche des "normalen" Marktgeschehens machen sich Skepsis und Misstrauen unter den Marktsubjekten breit, da die Ahnung von der Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Spekulationsdynamik - der Liquiditätsblase, die durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken ausgelöst wurde - durchaus gegeben ist. Jeder Finanzmarktakteur muss möglichst lange bei der Bonanza mitmachen, doch zugleich wächst die Bereitschaft, bei Turbulenzen möglichst schnell auszusteigen.
Hierdurch können auch begrenzte Ereignisse größere Schockwellen durch das Gesamtsystem jagen, wie Business Insider bemerkte:
Wenn die Marktliquidität in Zeiten erhöhter Volatilität austrocknet, wird das Ausmaß und der Umfang der Marktbewegungen verstärkt.
Was sich hier natürlich andeutet, ist die Wiederkehr der Krisenkonstellation während der Weltfinanzkrise 2007/2008, als die Märkte nach dem Schock der Lehmann-Pleite "einfroren" und die Kreditvergabe im Interbankenhandel nahezu zum Erliegen kam, da die Finanzmarktakteure sich untereinander nicht mehr trauten.
Seitdem hat insbesondere die US-Geldpolitik die Versorgung des Weltfinanzsystems mit immer neuer Liquidität zu ihrer Maxime gemacht, was - neben der lang anhaltenden Nullzinspolitik - zu der größten Gelddruckaktion in der fünfhundertjährigen Geschichte des kapitalistischen Weltsystems führte. Die Fed kaufte zwischen 2009 und Oktober 2014 Finanzmarktpapiere im "Wert" von 3,5 Billionen auf, wodurch das System tatsächlich kurzfristig stabilisiert werden konnte.
Die Initiierung der "Quantitative Easing" genannten Gelddruckaktion sei genauso umstritten gewesen wie die Entscheidung, sie ab Ende 2013 langsam zu in ihren Ausmaßen zu reduzieren und schließlich ganz einzustellen, rekapitulierte Bloomberg in einem Hintergrundbericht:
Ob die Fed [das Anleihekaufprogramm] zu früh begrenzte, angesichts der globalen Wirtschaftsschwäche, oder zu spät, angesichts den Anzeichen für Blasenbildung in etlichen Märkten, wurde heiß debattiert.
In diesem Kommentar kommt die sich immer deutlicher abzeichnende Sackgasse der kapitalistischen Krisenpolitik zu Vorschein, da die Funktionseliten aus Politik und Wirtschaft längst zu Getriebenen der Krisendynamik wurden und nur unterschiedliche Wege der weiteren Krisenentfaltung bestimmen können: Auf der Ebene der Geldpolitik ist es die Scheinwahl zwischen expansiver oder restriktiver Geldpolitik, bei der nur zwischen der Aufblähung neuer Blasen oder drohendem "Liquiditätsentzug" - mitsamt der Gefahr eines "Einfrierens" der Märkte - gewählt wird.
Brandherde
Deswegen ist es auch kein Zufall, dass der IWF die Instabilität in dem Weltfinanzsystem gerade ab jenem Zeitpunkt ansteigen sieht, ab dem die FED ihre "Quantitativen Lockerungen" einstellte. Und deswegen finden sich in dem Global Financial Stability Report sowohl Warnungen vor einer Fortsetzung der expansiven Geldpolitik, da sie zur Blasenbildung führe, wie auch vor deren vorzeitiger Beendung, weil dies zu einem "Sturm der Volatilität" führen könne, wie es das Wall Street Journal in einem Bericht über den IWF-Report formulierte.
Dieselbe Aporie kapitalistischer Krisenpolitik kennzeichnet übrigens auch den nicht enden wollenden Streit zwischen Keynesianern und Neoliberalen bezüglich der Konjunkturpolitik, da beide Streitparteien zu Recht die Rezepte der Gegenseite kritisieren: Offensichtlich halten schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme der Keynesianer das System als eine Art "Strohfeuer" nur kurzfristig am Laufen - und genauso trifft es zu, dass neoliberale Sparprogramme die betreffenden Länder in den sozioökonomischen Kollaps führen (siehe Griechenland). Die einzige logische Schlussfolgerung, die aus dieser ermüdenden Debatte zu ziehen ist, besteht in der Einsicht, dass der Kapitalismus offensichtlich ohne permanente Schuldenbildung nicht mehr funktionsfähig ist.
An potenziellen Brandherden in dem durch jahrelange Gelddruckerei aufgeblasenen Weltfinanzsystem scheint es tatsächlich nicht zu mangeln. Ausdrücklich nennt der IWF den Immobiliensektor Chinas, wo fallende Preise nicht nur den heimischen Finanzmarkt bedrohten, sondern auch in andere Märkte anstecken könnten.
Neben der dramatischen Lage in etlichen Schwellenländern - die durch den Doppelschlag aus drohender US-Zinswende und fallenden Energiepreisen ausgelöst wurde - sieht der Report die Finanzstabilität auch in den Zenten des Weltsystems gefährdet, da die drohende Zinswende der FED und die gerade erst gestartete Gelddruckerei der EU zu der Ausbildung von Ungleichgewichten im Weltfinanzsystem (Carry Trades) führten.
In der EU macht der IWF zudem einen gigantischen Berg von faulen Krediten im Umfang von rund 900 Milliarden Euro aus, die ein Überbleibsel der letzten Finanzmarktkrise bilden. Die expansive Geldpolitik der EZB bringe überdies die europäischen Lebensversicherer "in Bedrängnis," da die lang anhaltende Niedrigzinspolitik inzwischen dazu führte, dass "nahezu ein Viertel der Versicherer ihre Solvenzkapitalanforderungen nicht mehr erfüllen" könne. Dies sei ein Markt mit "4,4 Billionen an Wertpapieren (Assets)", so der IWF, der eine "Quelle für ein potenzielles Überschwappen" einer Krisendynamik bilde.
Die Gelddruckerei der EZB hat selbstverständlich nicht nur zur Verstärkung der Ungleichgewichte im Finanzüberbau geführt, sondern sie hat - und dies ist die eigentliche Intention dieses bis Ende 2016 laufenden Gelddruckprogramms - vor allem die Handelsüberschüsse des Euroraums (vor allem der BRD) gegenüber dem außereuropäischen Ausland weiter ansteigen lassen (Handelsüberschüsse als europäischer Krisenausweg?).
Der schwache Euro verbilligt die in der Eurozone hergestellten Waren auf außereuropäischen Märkten, womit die gesamte von der BRD nach ihrem Ebenbild umgeformte Eurozone nun dieselbe verheerende Beggar-thy-neighbor-Politik gegenüber dem außereuropäischen Ausland betreibt, wie sie die BRD bis zum Ausbruch der Eurokrise gegenüber der Eurozone mit verheerenden Erfolg verfolgte. Da die USA - im Gegensatz zu Südeuropa - über eine eigene Notenbank und die Weltleitwährung verfügen, sind Gegenaktionen vorprogrammiert.
Einen Vorgeschmack auf die krisenbedingt zunehmenden finanzpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den "westlichen Verbündeten" beiderseits des Atlantik lieferten die Berichte über Spekulationen von US-Investoren gegen deutsche und europäische Anleihen. "Zahlungskräftige Spekulanten nehmen Deutschland ins Visier", empörte sich die FAZ Ende April, da hierdurch die Gelddruckaktion der EZB unterminiert wurde und die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe einen extremen Anstieg von zehn Basispunkten binnen eines Tages erlebte.
Inzwischen haben die extremen Schwankungen auf den Mark für Staatsanleihen ein Eigenleben entwickelt, sodass die Renditen deutscher Staatspapiere deutlich zugelegt haben - und mit ihnen die Zinslast des Bundes. Der dröge Anleihemarkt, der jahrzehntelang als ein Anker der Stabilität galt, wandelt sich nun in einen Hort der Instabilität.
"Zunahme der Ansteckungsrisiken"
Mit der Abwertung des Euro durch die EZB geraten aber nicht nur die USA unter Druck. Die anderen großen Wirtschaftsräume - wie China und Japan - werden ebenfalls auf diese durch die Geldpresse realisierte Exportförderung mit Gegenmaßnahmen reagieren, sodass hier ein globaler Abwertungswettlauf der Währungen droht (ein sogenannter "Währungskrieg"), der letztendlich in einer Hyperinflation münden könnte - spätestens, wenn die gegenwärtige globale Liquiditätsblase platzt.
Denn es ist gerade der gigantische Wasserkopf der spätkapitalistischen Finanzmärkte, der die Inflation trotz Gelddruckerei niedrig hält: Es findet bei jeder Spekulationsdynamik eine Inflation der Wertpapierpreise statt, die erst bei dem Platzen der Blase in eine reelle Inflation überschlagen kann, wenn das fiktive Kapital aus der Finanzsphäre in einer Panikbewegung zu fliehen versucht.
Um die Dimensionen der gegenwärtigen Liquiditätsblase abzuschätzen, lohnt ein Blick auf das "Niveau der Korrelation" zwischen den unterschiedlichen Finanzmärkten (Aktien, Hypotheken, Bonds ,etc.). Laut IWF ist dies seit Krisenausbruch nicht etwa gefallen, sondern angestiegen - im Schnitt von 0,4 auf nun 0,7, wobei ein Wert von 1,0 eine synchrone Bewegung implizieren würde.
Der Währungsfonds warnt auch hier von einer "Zunahme der Ansteckungsrisiken" zwischen einzelnen Marktbereichen in der Finanzsphäre. Dies scheint fast schon anachronistisch, weil das gesamte Finanzsystem zusehends synchron agiert, da es von ein und derselben Spekulationsdynamik befeuert wird. Es bildet eine Einheit aus.
Über alle Marktbereiche der Finanzsphäre hinweg - ob nun Futures auf Schweinehälften und gefrorenen Orangensaft oder Verbriefungen von Hypotheken - tritt immer stärker die eine spekulationsbefeuerte Verwertungsbewegung des fiktiven Kapitals in der gegenwärtigen Liquiditätsblase heraus. Es stellt sich somit nur noch die Frage, wann diese Mutter aller Blasen platzen wird.
Und es ist ein immer größerer Schuldenberg, der die realwirtschaftliche Grundlage dieser wuchernden Blasenbildung auf den Weltfinanzmärkten darstellt, indem er die entsprechenden Defizitkonjunkturen (etwa in den Schwellenländern) befeuert. Die Unternehmensberatung McKinsey gab jüngst an, dass die globale Gesamtverschuldung zwischen 2007 und 2014 von 269 auf 289 Prozent der Weltwirtschaftsleistung angeschwollen ist.
Der Geneva Report, herausgegeben von dem International Centre for Monetary and Banking Studies, gab im September 2014 die langfristige Zunahme der Weltschulden (unter Ausschluss des Finanzsektors) an: Diese seien von 160 Prozent der Weltwirtschaftsleistung in 2001, über 200 Prozent in 2009, auf 215 Prozent in 2013 geklettert. Der Report warnte vor einer "giftigen Kombination" aus hohen und weiterhin steigenden Schulden und erlahmenden Wirtschaftswachstum.
Das geringfügig sinkende Schuldenniveau in dem Finanz- und Privatsektor der entwickelten Ökonomien sei durch den Anstieg deren "öffentlicher Verschuldung" und ein rasches Anschwellen der Verschuldung in den Schwellenländern überkompensiert worden. "Entgegen der allgemeinen Überzeugung hat die Welt nicht angefangen, sich zu entschulden, und das Größenverhältnis zwischen Schulden und BIP steigt weiter an, indem es immer neue Rekorde bricht", heißt es in dem Geneva Report.