Kleinkrieg im Wohnzimmer

Gears of War: Judgment - Eine Fanboyabschweifung

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Der Exklusivtitel Gears of War für die Xbox360 geht mit Judgment in die vierte Runde. Den Nachfolger eines Spiels schon anderthalb Jahre später auf den Markt zu werfen, lässt zunächst keine nennenswerten Neuerungen oder Grundüberholungen erwarten.

Doch nach dem Abschluss der als Trilogie angelegten Reihe schlägt der neue Teil nicht nur in der Narration und Chronologie aus der Art, sondern auch in mehr oder weniger signifikanten Verlagerungen in Struktur, Kontrollschemata und Spielverlauf.

Als Gears of War aus dem Hause Epic Games als Exklusivtitel für die Xbox360 Ende des Jahres 2006 auf den Schirmen erschien, bot es dem Auge zunächst einen bis dato im Shooter-Genre ungesehenen Detailreichtum und eine kiesig ruinöse Opulenz, durch die man die Spielerfiguren in unwahrscheinlich dynamisch anmutender Schnelligkeit und Beweglichkeit manövrieren konnte. Hinzu kamen noch eine originelle und glaubwürdig kraftvolle Synchronisation (der amerikanischen Originalsprecher) und ein erstaunliches Sounddesign bezüglich der Gefechts- und Waffengeräusche.

Über allem offenbarte sich Gears of War als ein innovativer, taktisch deckungsorientierter Third-Person-Shooter, der bis dahin ungesehene Neuerungen

in ein abwechslungsarmes Genre einführte. Zu erwähnen sei hier der sogenannte "Roadie Run", der die Perspektive beim Laufen der Figur näher an sie heranzoomte und die Kameraführung leicht wacklig werden ließ. Eine kleine, aber immersiv wirkungsvolle Nuance der Interaktion.

Die auffälligste Neuerung bestand jedoch in der Vorstellung einer zentralen Ikone des Spiels, dem "Lancer". Ein Maschinengewehr mit einer an seinem Lauf angebrachten Kettensäge, was allein Rückschlüsse, dass man es hier mit einem etwas anderen Shooter zu tun hatte, nicht schwerfallen ließ. Er kam, sah, und sägte.

Überhaupt aber wartete Gears of War in jedem seiner Teile mit einem bemerkenswerten Arsenal originell modifizierter Waffen auf, die zum größten Teil dem gemeinsamen Fiebertraum eines Hinterwäldlers, Waffenantiquars und Vietnamveteranen entsprungen schienen. Der Kampf mit eben diesen Waffen macht dann auch das weitere Unterscheidungselement der Spielserie aus.

Entscheidend ist dabei insbesondere die Nähe bzw. die combat range, die Gears of War in das Shooter-Genre eingeführt hat. Dadurch, dass der Gegner oftmals in unmittelbarer Nähe von einem auftaucht, ergab sich das Gefühl eines gladiatorischen Zweikampfes, der nach einem erweiterten Konzept der bis dahin zumeist in Distanz ausgefochtenen Feuergefechte verlangte.

Dies wurde mit der Einführung von etlichen Nahkampfoptionen in Form von Blankwaffen und Exekutionsoptionen erreicht, deren Katalog in späteren Teilen zu beinah lächerlicher Vielfalt gebracht wurde. Allein aber mit den Shotgun-Gesichtsladungen, der Zersägung des Gegners oder dem curb stomp, dem Eisenstiefel-Bordstein-Stampfer, war der Third-Person-Splatter-Shooter geboren.

Nicht verwunderlich also, dass Gears of War demnach auch für einen interessanten Gesinnungswandel der ökonomischen Freigabe-Mentalität stand und steht. Die Zeit, als das Spiel ein heißes Eisen war und unter der Ladentheke oder aus dem Ausland erstanden werden musste, ist jetzt anscheinend Vergangenheit. Wurden die ersten beiden Teile in Deutschland noch indiziert, scheint sich die Verbannung des Titels seit seinem dritten Teil für die FSK plötzlich erledigt zu haben.

Ein interessantes Momentum der Zensurgeschichte: Das Zersieben, Zersägen, Zerstampfen (auch und im neuen Teil hauptsächlich menschlicher Spielerfiguren) ist als Millionen-Seller und vielfach ausgezeichnetes Spiel nicht mehr indizierfähig. Die genauere Genealogie dieser Moral würde aber diesen Text überborden. Gears of War: Judgment hat, wie auch immer, gleich seinem Vorgänger die Altersfreigabe ab 18 Jahren erreicht und erscheint im deutschen Einzelhandel komplett ungeschnitten.

Die Geschichte von Gears of War spielt auf einem erdähnlichen und kolonisierten Planeten namens Sera, und dreht sich um eine Handvoll Sci-Fi-Militär-Conans, die sich gegen die Invasion einer aus dem Erdinnern auftauchenden reptilhaft-humanoiden Rasse zur Wehr setzen. Da diese Horden gleich einer biblischen Heuschreckenplage über die Welt herfielen, taufte man sie Locust. Soldatische und familiäre Brüderlichkeit, militaristisches Pathos und eine Prise individueller Stabsuntreue bildeten dabei den dramaturgischen Kern der Geschichte, deren Handlungsbogen sich unter anderem Elemente aus etablierten Horror- und Endzeitszenarien ausborgte.

Mit einer abgeschlossenen und mehr als hinlänglich erfolgreichen Trilogie im Rücken blieb den Machern der Gears-of-War-Spielereihe von Beginn an nur die übliche Alternative aller kommerziell erfolgreichen Produkte der Film- und Spieleindustrie - das Sequel oder das Prequel als Abzweigungen oder Annex auf den Markt zu bringen. Als noch immer exklusiv für die Xbox 360 erscheinender Titel bildet Gears of War: Judgment nun das Fanal der Reihe auf die kommende Konsolengeneration.

Dass dieser Teil als Prequel fungiert, auf seine eigentlichen und oftmals melodramatisch versehrten Protagonisten verzichtet, einen Nebencharakter zur Hauptfigur kürt, und innerhalb eines deutlich kürzeren Zeitraums produziert wurde, lässt unschwer erkennen, dass hier kleinere Brötchen gebacken wurden.

Gears of War: Judgment (im folgenden GoWJ abgekürzt) tut einen Schritt zurück - und zwar in der Zeit des Storyverlaufs wie aber auch in der bis zum letzten Teil beinahe verzweifelt größer und epischer zu werden versuchenden Dramaturgie. Grafisch jedoch überragt es in der Architektonik und der Darstellung aller anderen Umwelt seine Vorläufer und bleibt eine Serie, die sich in dieser Hinsicht bis zuletzt immer wieder selbst übertrumpft.

Die Geschichte verfolgt den Weg der vierköpfigen Kilo-Squad (die wahlweise von bis zu vier Spielern im Ko-op-Modus online gespielt werden kann) und gliedert sich in einen in Segmente aufgeteilten Rückblick der jeweiligen Soldaten vor dem einberufenen Standgericht eines Oberbefehlshabers. Dieses Gericht soll über die Übertretung des Zuständigkeitsbereichs der militärischen Operation der Kilo Squad urteilen und bildet den lose gefügten erzählerischen Rahmen der Handlung, den Kern der Geschichte. Außerdem liefert es den Titel des Spiels.

Ein veränderter Ton der Protagonisten rückt etwas ab vom manchmal nervtötend ramboiden Machismo und wirkt nüchterner, ernster und etwas authentischer. Der Hauptaspekt der Geschichte, der Ungehorsam gegen die Obrigkeit, scheint auf einer narrativen Ebene vermitteln zu wollen, dass sich GoWJ selbst als ein sich von den verfügten Gesetzen seiner Vorgänger emanzipationswilliges Produkt verstehen will.

In seiner Präsentation knüpft dieses Mal weniger an (ins spielerische Geschehen adaptierte) Hollywood-Blockbuster-Momente an, als vielmehr am Aufkommen eines neuen B-Enthusiasmus um Filme wie DREDD oder THE RAID, die unermüdliche Action ohne großes Beiwerk (also die Kinetik des Kinos) wieder zur Hauptverhandlungssache machten.

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