Kleinster gemeinsamer Nenner

Auf dem Nato-Gipfel in Istanbul wurden trotz oberflächlich demonstrierter Einheit die unterschiedlichen Interessen deutlicher

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Der Streit unter den Verbündeten konnte bei dem zweitägigen Nato-Gipfel in Istanbul nicht beigelegt werden. Hauptzankapfel war wieder einmal die Irakpolitik (Stadt in Angst). Auch die als Coup inszenierte vorgezogene Übertragung von Regierungsaufgaben an die angeblich souveräne irakische Regierung, die auch die Gipfelteilnehmer überraschte, brachte keine Entspannung (Überraschend wurde die Machtübergabe im Irak vorgezogen). Vor allem der französische Staatspräsident Chirac widersetzte sich den amerikanischen Wünschen energisch: "Ich denke nicht, dass es der Auftrag der Nato ist, im Irak einzugreifen", erklärte er. Auch Bundeskanzler Schröder unterstützte Chirac, vermied allerdings jede direkte Konfrontation mit der USA und verpackte seine Kritik diplomatisch.

Die Erfahrung lehre, so Schröder, "dass es nicht ausreicht, Kriege zu gewinnen, wenn sie denn nötig sind, sondern dass es viel schwieriger, aber viel notwendiger ist, Frieden zu gewinnen". So verständigten die Staats- und Regierungschefs in Istanbul lediglich auf ein minimales Angebot militärischer Hilfe für den Irak- etwa bei der Ausbildung von Sicherheitskräften.

Das wurde allerdings in der Irak-Erklärung in schöne Worte verpackt. "Wir sind vereint in unserer Unterstützung für das irakische Volk und bieten der neuen souveränen Übergangsregierung volle Zusammenarbeit an", hieß es dort. Dabei verbargen die europäischen Nato-Staaten nicht, dass sie auch bei der Irakpolitik unabhängig von der USA eigene Interessen einbringen wollen. "Unsere Sicherheit entscheidet sich in dieser Region", wurde ein Mitglied der deutschen Delegation zitiert.

Auch am Hindukusch werden nach einer älteren Aussage von Bundesverteidigungsminister Struck deutsche Interessen verteidigt. Deshalb stimmte die deutsche Delegation einem stärkeren Engagement der Nato in Afghanistan zu. Die Truppenstärke soll von 6.500 auf 10.000 Soldaten aufgestockt werden. Anders als beim Irak scheint das militärische Engagement in Afghanistan auch bei erklärten Nato-Gegnern kaum Proteste hervorzurufen .

Die Kritik an der Irakpolitik von USA und Großbritannien stand hingegen bei den gegen den Nato-Gipfel in Istanbul Protestierenden im Vordergrund. Auch am Montag gingen mehrere Tausend Menschen in Istanbul gegen die Nato auf die Straße. Als Demonstranten in die abgeriegelte Sicherheitszone eindringen wollte, in der der Gipfel tagte, ging die Polizei mit großer Härte gegen sie vor. Zahlreiche Personen wurden verhaftet.

Die unterschiedlichen Interessen zwischen den europäischen Ländern und den USA werden sich in Zukunft noch stärker artikulieren und könnten der Nato in Zukunft noch manche Konflikte bescheren. Der Namen des US-Präsidenten dürfte dabei keine große Rolle spielen. Trotzdem wird die Niederlage der USA in Istanbul bei Bushs Konkurrenten in der Präsidentschaftswahl aufmerksam beobachtet werden. Schließlich rückt von Seiten der Opposition immer mehr das Argument in den Mittelpunkt, dass die gegenwärtige Administration für das schlechte Ansehen in der Welt verantwortlich sei. Als Lösung wird, gut amerikanisch, weniger ein Politik-, umso mehr ein Imagewechsel vorgeschlagen.