Klima, Klagen, Konsequenzen: Wenn Emissionen zu langsam sinken

Viele zweifeln, ob der Ausbau von Autobahnen (wie hier im Oktober bei Holdorf) angesichts der Klimakrise noch zeitgemäß ist. Foto: Corradox / CC-BY-SA-4.0

Deutsche Klimaziele wurden 2022 im Bau- und im Verkehrssektor verfehlt. Umweltverbände sprechen von Rechtsbruch. Die Bauministerin zeigt zumindest mehr Einsicht als der Verkehrsminister.

Um die selbst gesetzten Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen die Emissionen fortan pro Jahr um sechs Prozent gesenkt werden. Dies gab am Mittwochmorgen der Präsident des Umweltbundesamts (UBA), Dirk Messner, zu bedenken. "Seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent."

2022 lag die Emissionsminderung nach vorläufigen Zahlen des UBA insgesamt bei 1,9 Prozent – damit seien gut 15 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase freigesetzt worden als 2021, teilte das Umweltbundesamt am Mittwoch in Berlin mit. Demnach wurden "nur" noch rund 746 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Die endgültigen Werte stehen allerdings erst zu Beginn des kommenden Jahres fest.

Bis 2030 sollen die Emissionen in Deutschland um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Seither sind sie um 40,4 Prozent gesunken. Klimaneutralität wird laut dem "verschärften" Klimaschutzgesetz bis 2045 angestrebt.

Das wäre nach Ansicht von Forschenden und der Klimagerechtigkeitsbewegung bereits zehn Jahre zu spät, um einen fairen deutschen Beitrag zu den 2015 in Paris vereinbarten internationalen Klimaschutzzielen zu leisten. Wenigstens auf unter zwei Grad soll die Erderhitzung damit noch begrenzt werden – das 1,5-Grad-Ziel halten große Teile der wissenschaftlichen Community schon für nicht mehr realistisch.

Insgesamt konnten die diesjährigen Zielwerte des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) zwar in der Summe eingehalten werden. Bei den Emissionen im Energiesektor gab es aber voraussichtlich einen Anstieg um 10,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gegenüber 2021. Der Ausstoß in diesem Sektor lag somit bei rund 256 Tonnen.

Auswirkung des Ukraine-Krieges: weniger Energie, aber schmutziger

Hintergrund sind die Einsparungen beim Gasverbrauch aufgrund des Ukraine-Krieges und der fossile Ersatz für russische Gaslieferungen: Erwartbar hat die Reaktivierung alter Kohlekraftwerke mit erhöhtem Einsatz von Stein- und Braunkohle dazu geführt, dass die im Industriebereich die Emissionen im Verhältnis zum Energieeinsatz gestiegen sind – der Energieeinsatz selbst ist dort rückläufig.

Klar verfehlt wurden die ohnehin bescheidenen deutschen Ziele aber 2022 im Verkehrsbereich und im Gebäudesektor. 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente wurden 2022 nach vorläufigen Zahlen im Verkehrsbereich ausgestoßen. Damit liegen die Emissionen hier rund 1,1 Millionen Tonnen (0,7 Prozent) über dem Wert von 2021 und rund neun Millionen Tonnen über der zulässigen Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen.

"SPD, FDP und Grüne brechen geltendes Recht"

Umweltverbände werfen der Bundesregierung deshalb einen klaren Rechtsbruch vor. Sie gehen davon aus, dass Sondereffekte wie ein milder Winter und gestiegene Energiekosten als Auswirkung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Klimabilanz unterm Strich noch geschönt haben – die Nichteinhaltung der Sektorziele wollen sie dennoch nicht akzeptieren.

"SPD, FDP und Grüne brechen geltendes Recht", erklärte an diesem Mittwoch Antje von Broock vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). "Das bestätigen die Zahlen des UBA. Die Klimaklage des BUND zielt darauf ab, diesen Rechtsbruch zu beenden."

Wissings offener Widerwille

Auch nach Meinung des Netzwerks Fridays for Future muss die Verfehlung der Klimaziele im Gebäude- und im Verkehrssektor "Konsequenzen haben". Insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (beide FDP) seien nicht bereit, die Klimakrise zu bekämpfen. Wissing selbst hatte vor wenigen Tagen erklärt: "Wir können unser Land nur mit konkreten Vorschlägen voranbringen und nicht mit Klima-Blabla."

Die Aktivistin Luisa Neubauer hatte via Twitter geantwortet: "Lieber Herr Wissing, man kann Ihr Niveau der Klimadebatte niemandem mehr erklären, aber gut, Sie wollen Vorschläge, daran soll's nicht scheitern." Dazu zählt sie ein Tempolimit, einen Stopp des Autobahnbaus und den Abbau von Pkw-Subventionen.

All das wurde allerdings nicht zum ersten Mal erwähnt – Wissing will es nur einfach nicht. Genauso wenig, wie er ein Ende der Neuzulassungen für Autos mit Verbrennungsmotor im Jahr 2035 will; und ebenso wenig, wie er sich ins Zeug legen will, damit der Taktfahrplan im Bahnverkehr vielleicht doch vor 2070 umgesetzt wird. Auf jenes ferne Jahr verschob er das Vorhaben Anfang März allen Ernstes. Verbindliche Vorgaben im Klimaschutzgesetz interessieren ihn schlicht überhaupt nicht.

Machtwort von Scholz gefordert

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse hier einschreiten, forderte an diesem Mittwoch die deutsche Sektion von Fridays for Future: "Statt dabei zuzuschauen, wie in Volker Wissings Ressort die Emissionen immer weiter ansteigen, ist der selbsternannte 'Klimakanzler' jetzt in der Pflicht, für die Umsetzung der im Gesetz und im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zu sorgen."

UBA-Präsident Messner verlangt mehr Tempo beim Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien: "Wir müssen es schaffen, dreimal so viele Kapazitäten wie bisher zu installieren, um den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern. Eine Hängepartie wie in den letzten Jahren darf es dabei nicht mehr geben", erklärte er an diesem Mittwoch.

Von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) kommt in Sachen Klimaschutz zumindest weniger offener Widerwille als von Wissing. Zwischen Geywitz und dem UBA gibt es eine Zusammenarbeit und laut einer Pressemitteilung vom 20. Februar gemeinsame Überlegungen, wie dem Wohnraummangel ökologisch zu begegnen sei.