Klimakatastrophe, Krieg und Aufrüstung: Wie viel Angst ist rational?

Angst haben, ohne sich von ihr beherrschen zu lassen, ist in manchen Situationen überlebenswichtig. Symbolbild: Pete Linforth auf Pixabay (Public Domain)

Angemessenes Gefahrenbewusstsein ist überlebenswichtig. Während Klima-Aktivisten Hysterie vorgeworfen wird, sprechen Psychologen aus der Bewegung von kollektiver Verdrängung

Wenige Tage bevor der Weltklimarat IPCC den zweiten Teil seines neuesten Sachstandsberichts vorlegte, hat der Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO) davor gewarnt, der jungen Generation zu viel Angst zu machen.

Er fürchte die Folgen "apokalyptischer Ängste" für die psychische Gesundheit junger Menschen, hatte Petteri Taalas am Montag vergangener Woche zu Beginn der Abschlussberatungen für den IPCC-Bericht gesagt. "Wir müssen vorsichtig sein, wie wir über die Ergebnisse der Wissenschaft berichten, über Kipppunkte, und ob wir über einen Kollaps der Biosphäre oder das Verschwinden der Menschheit sprechen."

Entwarnung gibt der am Montag veröffentlichte IPCC-Bericht aber keineswegs. Auch wenn es noch nicht zu spät ist, das Schlimmste zu verhindern, wird darin verdeutlicht, dass das Zeitfenster sich zu schließen beginnt – während Regierungen und Großkonzerne die Dringlichkeit eines Kurswechsels bisher nicht erkannt haben und weltweit schon jetzt 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen durch zunehmende Extremwetterereignisse gefährdet sind.

Das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens, die Erderhitzung gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf 1,5 Grad zu begrenzen, erscheint kaum noch realistisch – bereits 2030 könnte dieser Schwellenwert erreicht werden. Missernten tragen schon jetzt zu steigenden Lebensmittelpreisen bei.

Küstenstädte müssen bereits viel Geld in Anpassungsmaßnahmen investieren, um sich gegen steigende Meeresspiegel zu schützen und wenigstens mittelfristig ihre Existenz zu sichern. Während Hamburg noch hofft, das irgendwie hinzubekommen, wird in Indonesien schon der Bau einer neuen Hauptstadt geplant – Jakarta soll nach und nach aufgegeben werden.

Aktuell beherrscht der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Schlagzeilen – der Westen rüstet auf und der Klimaschutz droht in vielen Ländern noch weiter nach hinten geschoben zu werden – auch wenn die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zunehmend als Problem erkannt wird. 100 Milliarden für eine schnelle Energie- und Verkehrswende – das war und ist in Deutschland undenkbar. Für die Bundeswehr wird dieser Betrag mal eben als Sondervermögen locker gemacht.

Kollektive Verdrängung

"I want you to panic", hatte die damals 16-jährige schwedische Klimagerechtigkeitsaktivistn Greta Thunberg Anfang 2019 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesagt – was ihr von Teilen der älteren Generation drastische Schmähkritik einbrachte.

Laut einer multinationalen Umfrage, deren Ergebnisse im Herbst 2021 veröffentlicht wurden, hat aber inzwischen die Mehrzahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Angst vor den Folgen der Klimakrise. Kommentatoren, die meinen, dass alles halb so wild sei, halten das für eine Folge politischer und medialer Panikmache.

Aber wo verläuft angesichts der Klimakrise, wie sie im IPCC-Bericht von 270 Fachleuten aus 67 Ländern abgebildet wird, die Grenze zwischen angemessenem Gefahrenbewusstsein und der Sorte Angst, die rationales Handeln erschwert, indem sie entweder lähmt oder zu Kurzschlusshandlungen führt? Und wie sollen Eltern ihren Kindern die Klimakrise erklären, ohne sie zu traumatisieren?

"Das wichtigste ist, als Erwachsener die Realität anzunehmen, wie sie ist, und damit umzugehen", sagt der klinische Psychologe Lars Werner, der sich selbst in der Klimagerechtigkeitsbewegung engagiert. "Das ist entscheidend in der Kommunikation mit unseren Mitmenschen und gerade auch mit unseren Kindern. Ihnen zu sagen, wie es ist – und einen angemessenen Umgang damit zu finden."

Das Problem sei bisher, dass die Mehrheit der Gesellschaft das Problem kollektiv verleugne. Kinder und Jugendliche seien vielleicht auch deshalb eher bereit, die Realität zu akzeptieren, als Erwachsene, die sich auch mit ihrer eigenen Rolle in den letzten Jahrzehnten auseinandersetzen müssten – und damit, womöglich Teil des Problems gewesen zu sein.

Der Sorge vieler Eltern, dass Kinder und Jugendliche, die den Weg des Aktivismus wählen, dadurch erst einmal Nachteile haben könnten – von Auswirkungen auf schulische Leistungen bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen, wie sie der "Aufstand der letzten Generation" mit Aktionen des zivilen Ungehorsams nach sich zieht – stellt Werner die Folgen der Verdrängung gegenüber: sich irgendwann in einer Welt wiederzufinden, in der multiple, aber zusammenhängende Krisen gar nicht mehr verdrängt werden können.

Die frühzeitige Auseinandersetzung mit der Realität könne daher eine befreiende Wirkung haben, sagt Werner. Heute Angst zu haben, sich aber nicht von dieser Angst beherrschen zu lassen, sei in jedem Fall besser, "als sich eine Welt vorzugaukeln, die es nicht mehr gibt".

"Wir behandeln die Falschen"

So schrieb auch die Psychologie-Dozentin Jana Mestmäcker in einem Erfahrungsbericht über zivilen Ungehorsam, sie fühle sich "freier als zuvor", nachdem sie sich in Göttingen mit einem Schild auf die Fahrbahn gesetzt und den Verkehr behindert habe, um vor Gewalt und Chaos im Zuge der Klimakatastrophe zu warnen.

Bei der Mehrzahl der Betroffenen stoßen solche Aktionen aber auf Unverständnis. Eine Herausforderung für die Kommunikationsstrategie der Klimabewegung bleibt daher das Spannungsfeld zwischen Alltagsstress und kurzfristigen Existenzängsten durch steigende Energiepreise einerseits und der mittel- bis langfristigen Gefahr für die natürlichen Lebensgrundlagen.

Hinzu kommt: Wer sich vorerst für Verdrängung entscheidet und diesen "Elefanten im Raum" nicht sehen will, findet eher nicht den Weg dem Psychologen – und in den meisten Fällen ist die "professionelle Hilfe" bei psychischen Problemen eher darauf ausgerichtet, den Status quo besser zu ertragen und im bestehenden System wieder im Alltag zu funktionieren.

Ohne schwerpunktmäßig die Klimakrise anzusprechen, hat der Psychiater, Theologe und Psychotherapeut Manfred Lütz schon vor mehr als zehn Jahren ein Buch mit dem Titel "Irre! - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen" veröffentlicht. In den Nachrichten sehe er regelmäßig Kriegshetzer und Wirtschaftskriminelle, die man leider nicht behandeln dürfe.

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