"Nationale Kraftanstrengung": Scholz verkündet Aufrüstungspläne
Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers dürfte vor allem eine Branche gefreut haben. Bundestag stimmt unter anderem Entsendung weiterer Soldaten nach Litauen zu
In den Villen von Großaktionären der Rüstungsindustrie könnten die Sektkorken geknallt haben, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Sonntagmorgen von einer "nationalen Kraftanstrengung" sprach, der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in Aussicht stellte und mit Blick auf die nukleare Teilhabe F-35-Kampfjets von Lockheed Martin als mögliche Atomwaffenträger nannte.
"Für die Jüngeren ist es kaum fassbar: Krieg in Europa", sagte Scholz in seiner Regierungserklärung während einer Sondersitzung im Bundestag. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine markiere eine "Zeitenwende".
"Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor." Im Kern gehe es um die Frage, ob Macht das Recht brechen dürfe, betonte er, als habe sich diese Frage in diesem Jahrhundert noch nie gestellt. Scholz präzisierte sogleich, es gehe darum, ob es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gestattet werden könne, die Uhren in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückzudrehen.
Die Ukraine müsse jetzt unterstützt werden, Deutschland stehe damit "auf der richtigen Seite der Geschichte". Dieser Krieg sei eine Katastrophe für die Ukraine, werde sich aber auch als Katastrophe für Russland erweisen.
Mehr als zwei Prozent des BIP für Rüstung
"Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren", kündigte Scholz an. Es müsse verhindert werden, "dass Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift – und man werde im Fall eines russischen Angriffs jedes Nato-Mitgliedsland wie das eigene Land verteidigen. Was das in letzter Konsequenz und mit allen ins Spiel gebrachten Waffensystemen bedeuten würde, darauf ging Scholz nicht näher ein.
Da die Ukraine bisher kein Nato-Mitglied ist, bleibt es vorerst bei Waffenlieferungen an deren Truppen sowie massiver Aufrüstung der Bundeswehr und der Entsendung von 350 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten zur Verstärkung der Nato-Truppen in Litauen. Hinzu kommen spürbare Sanktionen gegen Russland.
"Putin will ein russisches Imperium errichten", warnte Scholz. "Dauerhaft ist Sicherheit in Europa nicht ohne Russland möglich", räumte er ein. Aktuell gefährde aber Putin diese Sicherheit.
Beim Thema Sanktionen beteuerte Scholz, er habe im Blick, dass diese die Verantwortlichen "und nicht das russische Volk" treffen sollten. Daher würden russische Oligarchen und deren Geldanlagen ins Visier genommen. Unter anderem haben man sich nun darauf verständigt, einige russische Banken vom internationalen Kommunikationsnetz Swift auszuschließen. Deutschland behalte sich weitere Sanktionen vor – und zwar ohne "Denkverbote", betonte Scholz.
Energiepolitisch gab sich Scholz vorausschauend: "Je schneller wir den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, desto besser", betonte er mit Blick auf die angestrebte Unabhängigkeit von russischem Erdgas. Allerdings stellte er für die Energiewende dann doch keine größeren Sprünge in Aussicht, als im Koalitionsvertrag der "Ampel"-Parteien vereinbart: Klimaneutralität bis 2045 werde weiterhin angestrebt, stellte Scholz klar. Allerdings kündigte er auch den Bau von zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland an und nannte als Standorte Brunsbüttel und Wilhelmshaven.
Wie Scholz und weitere Redner betonte in der Aussprache auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), dieser Krieg sei "Putins Krieg". Dies sei nun wohl der Moment, in dem Deutschland seine außenpolitische Zurückhaltung aufgeben müsse.
Merz hofft auf energiepolitisches Rollback
Unionsfraktionschef Friedrich Merz versprach Scholz und der Bundesregierung seine Unterstützung für die Sanktionen gegen Russland: Die Union werde umfassende Maßnahmen unterstützen "und nicht im Kleinen herummäkeln", sagte der CDU-Vorsitzende am Sonntag. Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg des Kanzlers mitgehen, sagte Merz.
Morgenluft witterte er auch für eine verlängerte Nutzung von Atomkraft und Kohle: Auch wenn Scholz mit den Unionsparteien der Meinung sei, "dass wir jetzt endgültig auf keine weiteren Optionen der Energieerzeugung mehr verzichten dürfen, dann finden Sie dabei unsere tatkräftige Unterstützung", betonte Merz.
Zugleich warnte der Unionsfraktionschef, das von Scholz angekündigte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben der Bundeswehr bedeute zunächst neue Schulden. Wie diese aufgenommen und möglicherweise in der Verfassung verankert würden, gehe das nicht allein "mit einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen". Darüber müsse noch in Ruhe im Detail gesprochen werden. "Das machen wir dann in allen Teilen gemeinsam", sagte Merz.
Bei Nato-Kritik droht Vorwurf der Feindbegünstigung
Mit harschen Tönen steckte der CDU-Chef den aus seiner Sicht zulässigen Meinungskorridor ab: Wer auch der Nato eine Teilschuld an der Eskalation gibt, macht sich demnach zum Werkzeug von Putins Propaganda. Merz sprach in diesem Zusammenhang von "mehr oder weniger gutgläubigen Interessenvertretern in aller Welt, auch und gerade hier in Deutschland", von "Putin-Verstehern" und "Freunden Russlands". Diese als "nützliche Idioten" im Sinne Leninscher Denkmuster zu bezeichnen, sei wohl noch die freundlichste Umschreibung, so Merz.
Die Ko-Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Amira Mohamed Ali betonte in ihrer Rede, auch wenn ihre Partei in der Vergangenheit mehrfach Völkerrechtsbrüche durch die Nato kritisiert habe, sei dieser russische Angriff "durch nichts zu relativieren und zu rechtfertigen". Sie räumte zudem ein, "dass wir die Absichten der russischen Regierung falsch eingeschätzt haben". Putins Großmachtfantasien dürften "nicht Realität werden", sagte sie.
Allerdings widersprach Mohamed Ali entschieden den von Scholz genannten Aufrüstungsvorhaben: "Die Geschichte lehrt uns, dass Wettrüsten keine Sicherheit schafft." Nötig seien Abrüstung und Diplomatie. Mit Blick auf die Sanktionen gab sie zu bedenken, die Reichen und Mächtigen längst Mittel hätten, diese zu umgehen. Hinzu komme, dass ausgerechnet italienische Luxusartikel von den Sanktionen ausgenommen seien.
Sicher ist, dass die aktuelle Situation keineswegs allen Bereichen "der Wirtschaft" schadet: Schon kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine waren die Aktienwerte von Rüstungsfirmen wie Rheinmetall und Hensoldt deutlich gestiegen.
Das Parlament stimmte am Nachmittag mehrheitlich für den Antrag der Ampel-Regierungsparteien und der Union, in dem der sofortige Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine gefordert wird und stellte sich hinter die Beschlüsse, die Ukraine "im Rahmen ihres Selbstverteidigungsrechts zu unterstützen" und russische Banken vom Swift-Abkommen auszuschließen. Dagegen votierten bei zwei Enthaltungen Die Linke und die AfD-Fraktion, die jeweils eigene Anträge gestellt hatten.
Im Antrag der Fraktion Die Linke, wurden Sanktionen befürwortet, soweit die in Russland "die Oligarchen und Kriegsprofiteure direkt treffen", Waffenlieferungen an die Ukraine und die Entsendung weiter Bundeswehr-Soldaten an die Ostflanke lehnt die Linksfraktion ab.
Die AfD hatte in einem ebenfalls abgelehnten Antrag von der Bundesregierung gefordert, Deutschlands Veto gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine von 2008 zu erneuern und sich für einen sofortigen Waffenstillstand und die Entsendung einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen oder der OSZE in die Ukraine einzusetzen. Diese solle den Waffenstillstand überwachen und "für eine Trennung der Konfliktparteien und die Entwaffnung nicht regulärer Kämpfer auf beiden Seiten des Konflikts" sorgen.
Linke warnen vor "Strategie der Abschreckung mit Atomwaffen"
Sieben Abgeordnete der Linksfraktion gaben zu der Abstimmung eine Erklärung ab, in der sie begründeten, warum sie dem Antrag der Regierungsfraktionen und der Union nicht zustimmen konnten, obwohl der militärische Großangriff Russlands auf die Ukraine ein völkerrechtswidriger Krieg sei, "den wir unmissverständlich verurteilen", wie sie betonten.
Der Antrag der Bundesregierung bedeutet den Beginn einer erneuten massiven Aufrüstung und er begründet die Strategie der Abschreckung mit Atomwaffen der Nato in Europa. Der Antrag geht davon aus, dass Sanktionen, die die Bevölkerung treffen, friedensbefördernde Schritte sind. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, das Gegenteil ist der Fall.
Die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, Sahra Wagenknecht, Sören Pellmann, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Klaus Ernst, Christian Leye (alle Die Linke)
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