Klimamodelle: Wenn Wolken durch das Gitter fallen
Zu Besuch beim Deutschen Wetterdienst, der nicht nur das Wetter von morgen berechnet, sondern auch weit in die Zukunft schaut. Worauf wir uns einstellen müssen.
"Natürlich können wir nicht das Wetter des Jahres 2054 voraus berechnen", sagt Barbara Früh. Die Meteorologin ist Klimamodelliererin beim Deutschen Wetterdienst (DWD) – seit 2010 beschäftigt sie sich mit der Zukunft. Mehr als 20 Personen arbeiten in ihrem Team.
In jahrelanger Arbeit haben sie gemeinsam mit Kollegen anderer Forschungsinstitute das Klimamodell Cosmo-CLM entwickelt und immer weiter verfeinert. Deshalb sagt Barbara Früh selbstbewusst: "Das Wetter eines typischen Jahres in den 2050er-Jahren können wir dagegen sehr präzise voraussagen."
Klimamodelle berechnen Durchschnittswerte des Wetters für einen längeren Zeitraum – genau das ist ja "Klima". Die Zeitmaschine steht in Offenbach, Frankfurter Straße 135, im Hauptsitz des Deutschen Wetterdienstes. Fast einen ganzen Häuserblock nimmt das moderne sechsstöckige Bürogebäude ein. Im Erdgeschoss arbeitet, aufwendig gesichert, das Meteorologische Rechenzentrum. Mit ihm kann man in die Zukunft schauen: für ein paar Tage, also auf das Wetter von übermorgen in der Hocheifel oder in der Uckermark – aber auch auf das Klima in Deutschland Mitte des Jahrhunderts.
Systemrelevante Daten
Mit einer Chipkarte öffnet Pressesprecher Uwe Kirsche eine schwere Glastür. Ein paar Meter weiter eine zweite. "Das hier ist Hochsicherheitsgebiet", sagt Kirsche. Eine Zugangsberechtigung bekommt man nur nach einer intensiven Überprüfung – unter anderem durch den Bundesnachrichtendienst. Verlässliche Wetterdaten sind systemrelevant für eine moderne Gesellschaft.
Lesen Sie auch:
Meereis im Klimawandel: Neuer Negativ-Rekord am Südpol
"Der gesamte Luftverkehr, der Katastrophenschutz, nicht zuletzt die Bundeswehr", erklärt Kirsche, "verlassen sich auf unsere Vorhersagen." Dasselbe gilt für Behörden, die Wirtschaft – und nicht zuletzt jede und jeden von uns, die wir nach einem Blick auf das Smartphone oder die Wetterkarte der Tagesschau die großen und kleinen Dinge des Lebens planen.
Entsprechend wichtig ist, dass die Vorhersagen präzise sind. Die Grundidee der Wetter- wie auch der Klimamodellierung ist simpel: Kennt man erstens den Ausgangszustand der Atmosphäre und kennt man zweitens die physikalischen Prozesse, die in der Atmosphäre ablaufen, dann kann man drittens die künftige Entwicklung berechnen.
Zumindest wenn es Fachleuten wie Barbara Früh gelingt, eine mathematische Gleichung zu formulieren, die beispielsweise ausrechnet, wie stark die Sonnenstrahlung unsere Ozeane erhitzt, wie schnell erwärmte Luft nach oben strömt und wie viel Feuchtigkeit sie dabei mit sich reißt. Wann und wo dadurch Druckunterschiede entstehen, die Wind zur Folge haben, der aber verwirbelt wird, zum Beispiel an einer Gebirgskette. Und so weiter.
Die Modellierer zerteilten die Welt in Millionen von Quadern: Über die Erdoberfläche wurde ein Gitternetz gelegt und die Luft über jedem einzelnen Quader zusätzlich "in Scheiben geschnitten". Für jedes dieser Abermillionen Kästchen berechnet die Software in jedem Rechenschritt meteorologische Größen wie Temperatur, Luftdruck, Feuchte, Windgeschwindigkeit und vieles mehr.
Die Ergebnisse werden dann jeweils an die Nachbarkästchen gemeldet, wo sie als Ausgangspunkt für den nächsten Rechenschritt dienen. Dann werden erneut alle Gleichungen gelöst, die Resultate weitergemeldet, und dann noch einmal – und so weiter. So werden virtuelle Luftpakete durch die Quader geschoben, simulierte Wassermassen heizen sich auf, Modell-Sturmfronten brauen sich zusammen und entladen sich wieder.
Je weiter eine Wetterprognose vorausschauen soll, desto weiträumiger muss gerechnet werden. Zum Beispiel hängt das Wetter in der Uckermark in zehn Minuten vor allem vom aktuellen Wetter in der Umgebung der Uckermark ab. Doch je weiter der Blick, desto größer das Gebiet, das Einfluss nimmt – und das man deshalb berechnen muss. Desto mehr muss man sich um die Ozeane kümmern, das Meereis, die Landoberfläche in immer ferneren Regionen.
Für Vorhersagen von fünf Tagen in Deutschland muss der Deutsche Wetterdienst bereits das Wetter auf der ganzen Erdkugel berechnen. Denn ob es nächste Woche in der Uckermark regnet, hängt vom Luftdruck über dem Mittelmeer genauso ab wie von der Wassertemperatur am Nordpol oder der Windgeschwindigkeit hinter dem Ural.
Viermal täglich Neustart der Vorausberechnung
Viermal am Tag – um 0 Uhr, 6 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr – startet der Supercomputer die Wetter-Vorausberechnung von vorn. Als Ausgangspunkt werden jeweils aktuelle Messdaten genommen, also das reale Wetter zum Zeitpunkt X im Gitter Q. Nach rund zwei Stunden Rechenzeit hat die Maschine das Ergebnis für 78 Stunden Wetterzukunft ermittelt. Die Enddaten werden dann von weiteren, kleineren Computern für alle möglichen Abnehmer aufbereitet, sie werden in Wetterkarten umgewandelt, an Fluglotsen und Radioredaktionen übermittelt, auf Wetter-Apps ausgespielt.
Natürlich prüfen die Meteorologen ständig, ob das, was sie prognostiziert haben, später auch tatsächlich eingetroffen ist; schon allein um ihre Modelle zu verbessern. Das Ergebnis ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig besser geworden und mittlerweile verblüffend exakt: In mehr als 90 Prozent der Fälle tritt nach zwei Tagen tatsächlich das vorherberechnete Wetter ein.
Hundertprozentige Sicherheit wird wohl niemals möglich sein – selbst bei unendlicher Rechenleistung und noch exakteren Modellen. "Das Wettersystem in der Atmosphäre ist chaotisch", erklärt Barbara Früh. "Bei nur geringsten Verschiebungen der Anfangsbedingungen resultieren möglicherweise ganz andere Ergebnisse."
Sie benutzt das Bild eines Schmetterlings, der im peruanischen Regenwald mit den Flügeln schlägt, was hier ein Donnerwetter auslösen könne. Doch die Fortschritte, die der Deutsche Wetterdienst und andere Wissenschaftler gemacht haben, sind beachtlich: Heute sind ihre Sieben-Tages-Prognosen genauer als die Vorhersage für den übernächsten Tag in den 1970er-Jahren.
"Im Prinzip arbeiten wir bei der Klimamodellierung genauso wie bei der Wettervorhersage", sagt Barbara Früh. Doch während ihre Wetterkollegen die Temperatur, den Regen, die Stürme der kommenden Woche berechnen, schaut sie in die ferne Zukunft. Weil aber selbst die Rechenleistung des Supercomputers im Meteorologischen Rechenzentrum begrenzt ist, müssen die Klimamodellierer größere Raster nehmen als die Wetterkollegen.
Verglichen mit den Klimaberechnungen wirkt die Erstellung der Wetterberichte fast wie eine Bierdeckel-Kalkulation. Um das Klima für Deutschland über die nächsten 80 Jahre durchzurechnen, ist der Supercomputer fünf bis sechs Monate beschäftigt.
Auch der Bewuchs der Gitterzelle ist wichtig
"Wir unterteilen die Erde in Gitterzellen von rund hundert mal hundert Kilometer", sagt Barbara Früh. Rheinland-Pfalz zum Beispiel ist etwa drei solcher Zellen groß. "Wichtig ist, alles zu ermitteln, was sich an solch einem Gitterpunkt auf das Wetter auswirkt", erklärt die Meteorologin. Nehmen wir zum Beispiel die Gitterzelle mit dem Mittelpunkt 50,02° N, 6,56° O im geografischen Koordinatensystem der Erdoberfläche – der Punkt liegt im Eifelkreis Bitburg- Prüm am Westrand des Bundeslandes, in einem Wäldchen nahe dem Dorf Fließem.
Es ist eine wellige Hochfläche, von einzelnen, fast 700 Meter hohen Bergrücken durchzogen, von der Schnee-Eifel zum Beispiel, der Kalk- und der Waldeifel. Bei der Erstellung des Klimamodells muss die Topografie genauso wie die Hydrologie mathematisch modelliert werden. Auch der Bewuchs der Gitterzelle ist wichtig, in diesem Fall ist sie sehr waldreich.
Aus solchen Erkenntnissen ergeben sich Parameter, mit denen wohl nur Leute wie Barbara Früh etwas anfangen können: Mittlere Orografie – 254,1583099365234 Meter; Oberflächen-Hintergrund-Albedo – 0,1787201762199402; Bodentiefe bis zum Grundgestein – 0,083 Meter; volumetrische Bodenfeldkapazität – 0,2879999876022339. Und so weiter. Es sind solche Daten, die im Modell abbilden, wie dieses Stückchen Erdoberfläche in der Realität Wetter und Klima beeinflusst.
Den größten Unterschied zwischen Wettervorhersage und Klima-Modellrechnungen liefert der Mensch. Nämlich die Frage: Wie viel Treibhausgase wird die Menschheit künftig noch in die Luft blasen? Dies kann weder Barbara Früh noch sonst ein Forscher wissen, weshalb die Klimamodelle verschiedene Zukünfte berechnen – im Fachjargon: Szenarien.
Eine dieser Zukunftsberechnungen nimmt zum Beispiel an, dass jetzt endlich mit echtem Klimaschutz begonnen wird, so wie im Abkommen von Paris 2015 beschlossen. Damals einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Welt darauf, die Erderwärmung "auf deutlich unter zwei Grad Celsius" zu begrenzen, besser noch auf höchstens 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. RCP2.6 nennen Klimaforscher diese Zukunft, das optimistischste Szenario.
Allerdings folgten der gefeierten Absichtserklärung von Paris kaum Taten, die Emissionen stiegen weltweit immer stärker an, nicht einmal Corona-Lockdowns konnten das stoppen. Deshalb berechnen die Modellierer beim Deutschen Wetterdienst und anderswo auch Szenarien ohne oder fast ohne Klimaschutzmaßnahmen. Das pessimistischste heißt RCP8.5 und beschreibt einen praktisch ungebremsten Ausstoß an Treibhausgasen. Daneben gibt es noch Szenarien namens RCP6.0 und RCP4.5, die ein wenig oder etwas mehr weltweiten Klimaschutz simulieren.
Spannbreiten zukünftiger Temperaturen in Deutschland
Barbara Frühs Klimamodell hat Spannbreiten für die künftigen Temperaturen in Deutschland berechnet: Bis Mitte des Jahrhunderts werden sie – gegenüber dem Beginn der Aufzeichnungen 1881 – um 1,9 bis 2,3 Grad Celsius steigen. Mitte des Jahrhunderts wird also in Deutschland bereits eine stärkere Erhitzung erreicht sein, als im Pariser Abkommen als globales Limit beschlossen wurde. Es gibt auch Erkenntnisse zu Dürre und Niederschlag, zu "tropischen Nächten, an denen die Luft nicht mehr unter 20 Grad abkühlt, zu den "Frosttagen" und "Eistagen". An letzteren herrscht durchgehend Frost.
Für die Interpretation solcher Daten ist beim Deutschen Wetterdienst zum Beispiel Andreas Walter, Leiter des Sachgebiets "Anpassung an den Klimawandel", zuständig. Walter räumt mit einem verbreiteten Missverständnis auf: "Ein wärmeres Klima in Deutschland bedeutet nicht, dass es keine frostigen Winter mehr geben wird!" Der Experte fasst die Daten so zusammen: "Wir bekommen nur etwas weniger Kälte. Dafür aber mehr Hitze – und vor allem mehr Extreme."
Auch regionale Ergebnisse liefert das Klimamodell des DWD, zum Beispiel für Deutschlands Südwesten – von Freiburg bis Mainz und Wiesbaden: "Spätestens ab 2050 wird das Leben ungemütlich für Menschen in der Region Wiesbaden, Mainz, Mannheim, Karlsruhe, im Oberrheingraben bis hinunter nach Freiburg", sagt Andreas Walter. "Das sind ja schon heute die heißesten Gegenden in Deutschland."
Früher (also im Durchschnitt der Jahre 1971 bis 2000) war es dort an nicht einmal 30 Tagen pro Jahr wärmer als 25 Grad Celsius. Mitte des Jahrhunderts werden es bis zu 80 Tage sein, Ende des Jahrhunderts sogar mehr als 120 Tage. Spitzentemperaturen von mehr als 45 Grad sind dann möglich – so was kennt man als Deutscher heute höchstens aus dem Urlaub in Dubai.
Auch in der Region Köln, Aachen und im Ruhrgebiet wird Hitze in einigen Jahrzehnten viel häufiger sein: Sorgte früher der klimatische Einfluss des Atlantiks rheinaufwärts bis Düsseldorf oder Neuss für gemäßigte Sommer, so werden ab Mitte des Jahrhunderts auch hier die tropischen Tage mehr. "Im Ruhrgebiet trägt die dichte Bebauung ihren Teil zum Hitzestress bei", sagt Andreas Walter.
Die steigenden Wassertemperaturen von Nord- und Ostsee, die dafür sorgen, dass es auch an den deutschen Küsten immer wärmer wird. "Der kühlende Effekt, der heute noch von den Ozeanen ausgeht, wird zurückgehen." Eine weitere Gefahr seien steigende Meeresspiegel und das damit verbundene höhere Auflaufen von Sturmfluten. Walter: "Das Leben der Küstenbewohner wird sich langfristig drastisch verändern."
Von der Leipziger Tieflandbucht über die Lausitz, die Mark Brandenburg bis nach Dresden werden steigende Temperaturen unter kontinentalem Einfluss für den Anstieg unerträglicher Hitze sorgen. "Die Entwicklung kann man bereits heute nachweisen", sagt Andreas Walter und kramt eine Liste mit in der Vergangenheit gemessenen "Heißen Tage" hervor. "Sie sehen: Über Jahre hat ihre Anzahl in den betroffenen Gebieten sehr stark zugenommen." Und damit ist exakt das nachmessbar eingetroffen, was die Klimamodelle vor Jahren für Südostdeutschlands Zukunft berechnete.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.